Das lange 19. Jahrhundert. Matthias von Hellfeld. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Matthias von Hellfeld
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783754118368
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gekämpft. Die Vielzahl der Orte, an denen sich Truppen gegenüberstanden, und die Gleichzeitigkeit der Kämpfe legen die Globalisierung des Konflikts offen. Dieser an verschiedenen Orten ausgetragene Krieg machte deutlich, dass die Kontinente näher zusammengerückt waren. Jene europäischen Großmächte, die auch Kolonialmächte waren, mussten nun ihre Interessen an verschiedenen Stellen der Erde gleichzeitig vertreten können. Für das Deutsche Reich, Preußen und Österreich galten diese Konsequenzen der ersten Globalisierung nicht, denn sie hatten in der Mitte des 18. Jahrhunderts keine Kolonien um deren Erhaltung oder Erweiterung sie kämpfen mussten. Frankreich und England hingegen hatten diese Entwicklung ins politische Kalkül einzubeziehen und die finanziellen Folgen ihrer Kolonialpolitik zu tragen. Besonders Frankreich war nach seinen Teilnahmen am Siebenjährigen Krieg und am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg sowie durch die notorische Verschwendungssucht seines Königs Ludwig XVI. in finanzielle Probleme geraten.

      Amerikanische Unabhängigkeit

      Ludwigs XVI. Engagement im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg sollte sich als schwere Hypothek erweisen. Zwar verhalf Frankreich den Amerikanern zum Sieg über England und ebnete so den Weg zur amerikanischen Unabhängigkeit und zur Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika, aber der Preis für diesen Einsatz war hoch. Einerseits hatten Frankreich und England eigene koloniale Absichten und wirtschaftliche Interessen, die sie in Nordamerika durchsetzen wollten. Deswegen hatten sie zwischen 1756 und 1763 um die Vorherrschaft auf dem amerikanischen Kontinent Krieg geführt. Aber sie waren andererseits auch in Europa Konkurrenten, weswegen der Ausgang des Krieges in Amerika auch auf dem „alten“ Kontinent Auswirkungen haben würde. Der Krieg um die amerikanische Unabhängigkeit begann im April 1775 mit einigen Scharmützeln mit britischen Kolonialtruppen und fand in der am 4. Juli 1776 verkündeten Unabhängigkeitserklärung von 13 amerikanischen Staaten ihren vorläufigen Höhepunkt. Aber die britische Kolonialmacht nahm diese Erklärung nicht ohne Widerspruch zur Kenntnis. England drängte die Aufständischen in die Defensive und eroberte kurz darauf New York. In dieser Situation wandten sich die Amerikaner an den französischen König und baten um militärische Unterstützung. Unter der Führung des Plantagenbesitzers Georg Washington gelang es den Amerikanern durch die sofort einsetzende massive Militärhilfe Frankreichs die britischen Truppen zurückzudrängen. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg dauerte bis zum Oktober 1781, als die britische Armee nach einer verheerenden Niederlage bei Yorktown zur Kapitulation gezwungen war. Am 3. September 1783 wurde der amerikanische Unabhängigkeitskrieg mit dem Frieden von Paris offiziell beendet und die „Vereinigten Staaten von Amerika“ wurden von der britischen Krone anerkannt.

      Ludwig XVI. konnte sich brüsten, dem englischen Konkurrenten um die Macht in Europa und in den Kolonien eine empfindliche Niederlage beigebracht zu haben. Die Friedensverhandlungen fanden zudem in Paris statt, was für die Briten eine zusätzliche Schmach bedeutete. Der britische Verhandlungspartner war so verärgert, dass er sich weigerte, für das offizielle Gemälde Modell zu sitzen, das ihn neben den beiden Gründervätern der USA, John Adams und Benjamin Franklin, gezeigt hätte. Aber der Sieg, den Ludwig XVI. in Amerika erreicht hatte, leitete gleichzeitig seine Niederlage in Frankreich ein, denn in der Unabhängigkeitserklärung waren zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die universellen Menschenrechte verkündet worden. Die französischen Soldaten, die an der Seite ihrer amerikanischen Waffenbrüder kämpften, wurden von ihnen mit den Ideen und den Zielen der Aufständischen infiziert. Die Erklärung beinhaltete neben den unveräußerlichen Menschenrechten auch das Recht des Volkes, sich einer schlechten Regierung zu entledigen. Alle Menschen seien „gleich erschaffen“, stand in der Erklärung und jeder von ihnen habe das Recht „nach Glückseligkeit“ zu streben. Davon konnte in Frankreich keine Rede sein. Der König besaß alles, das Volk nichts. Die Adligen brauchten keine Steuern zu zahlen und frönten einem prunkvollen Leben am Hofe des Königs, die Bauern und Handwerker mussten dafür Abgaben und Steuern aufbringen. Als die französischen Soldaten in ihre Heimat zurückkehrten, waren sie empfänglich für das, was einige Jahre später als „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ durch ihr Land hallte.

      Vier Jahre nach dem Ende des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs begannen im Mai 1787 in Philadelphia die Verhandlungen über eine gemeinsame amerikanische Verfassung. Schließlich verabschiedeten die Delegierten eine Verfassung, die neben dem Recht auf Glaubens-, Meinungs- und Pressefreiheit auch den Schutz vor Willkürmaßnahmen des Staates und der Gerichte garantierte. Die amerikanische Verfassung vom 17. September 1787 ist bis heute gültig und stellt durch die Trennung von Exekutive und Legislative und wegen der Einführung des Zweikammer-Systems einen Meilenstein der Menschheitsgeschichte dar. Rund anderthalb Jahre später stand Ludwig XVI. vor dem Staatsbankrott, weil das Kriegsabenteuer in den USA und die kostspielige Hofhaltung in Versailles ein tiefes Loch in die Staatskasse gerissen hatten. Mitte 1789 fasste er deshalb den Entschluss, die „Generalstände“ nach Paris zu laden. Diese Versammlung war seit 1614 nicht mehr einberufen worden, weil sie der Regierungsauffassung der absolutistischen Herrscher Frankreichs im Wege gestanden hatte. Nun sollten die Vertreter der Städte, des Adels, der Bauern und Bürger dem König durch die Genehmigung von Steuererhöhungen aus der Finanzmisere helfen. Aber die mehr als tausend Delegierten, die sich zur ersten Sitzung am 5. Mai 1789 in Paris einfanden, waren von der Eröffnungsrede des Königs enttäuscht, denn Ludwig wollte Frankreich nicht mit dringend notwendigen Reformen verändern, sondern durch Notmaßnahmen lediglich die Symptome der Krise beheben. Am 17. Juni 1789 sprachen sich Vertreter des 3. Standes, die Bauern und Bürger, dafür aus, aus der Versammlung der „Generalstände“ eine Verfassungsgebende Nationalversammlung zu machen, die das feudalistische System der französischen Sonnenkönige beenden sollte. Jahrzehnte lang hatten sie ansehen müssen, wie die Lage auf dem Land, bei den vielen Millionen Bauern immer dramatischer geworden war. Hungersnöte und Missernten, hohe Abgaben und Steuern, von denen der Adel ausgenommen war, hatten das Leben für die meisten Menschen beschwerlich gemacht. Jetzt wollten sie die Gelegenheit beim Schopfe packen und mit diesem sozialen Elend aufräumen. Schnell stellte sich heraus, dass sich auch einige Geistliche und Adlige von der aufrührerischen Stimmung anstecken ließen und die Forderungen des 3. Standes, die Monarchie zu stürzen, die Adelsprivilegien abzuschaffen, das Kircheneigentum zu konfiszieren und schließlich eine Republik auszurufen, unterstützten.

      Der König war empört über diese „Anmaßung“ und erteilte den Befehl, die Ständeversammlung aufzulösen. Die Delegierten sollten sich an verschiedene Orte begeben und keinen Kontakt mehr untereinander haben. Der Sitzungssaal wurde geschlossen und verriegelt, gleichzeitig berief er für den 23. Juni 1789 eine „königliche Sitzung“ ein, von der die aufmüpfigen Delegierten aber ausgeschlossen waren. Als ein Königsbote den Delegierten die Entscheidungen Ludwigs XVI. mitteilte, ließ sich der Graf Mirabeau zu seinem Wutausbruch hinreißen. Kaum hatte er sich beruhigt, zogen die Delegierten ins benachbarte Ballhaus und schworen, bis zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung nicht mehr auseinander zu gehen. Dieser „Ballhaus-Schwur“ war die Kampfansage an das „Ancien Regime“ und zugleich der Startschuss zur wichtigsten Revolution der europäischen Geschichte. Als der König begann, Truppen in Paris zusammen zu ziehen, breitete sich revolutionäre Unruhe in der Stadt aus. Am 14. Juli 1789 stürmte eine aufgebrachte Menge die Bastille – das Gefängnis im Osten der Stadt - und öffnete die Tore für die Gefangenen. Die Nachricht vom Sturm auf die Bastille verbreitete sich ebenso schnell wie das Gerücht, es stehe ein Militärputsch bevor.

      Die Nationalversammlung ließ sich davon nicht beeindrucken und führte in den kommenden Monaten radikale Änderungen in Frankreich durch, die am 26. August 1789 mit der Verkündung der „allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte“ einen ersten Höhepunkt erreichten. Die Adelsprivilegien wurden abgeschafft, die „Bürger und Menschenrechte“ erklärt und der Kirchenbesitz verstaatlicht. Ein Jahr nach Beginn der Revolution feierte die Pariser Bevölkerung mit 60.000 Delegierten aus den neu gegründeten Départments auf dem Marsfeld ein Förderationsfest, bei dem Ludwig XVI. einen Schwur auf das Wohl der Nation leisten musste. Aber die Jubelstimmung konnte kaum verdecken, dass die politische Lage zunehmend instabiler geworden war. Radikale Republikaner, deren wichtigste Sprecher Maximilien Robespierre und Georges Jacques Danton waren, und gemäßigte „Girondisten“ standen sich gegenüber. Zum Ort politischer