Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Серия: gelbe Buchreihe
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783754180402
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eine Kutte getragen und nie gebettelt habe, sprang Murner wieder in die Schranken, zieh Wimpheling der Ketzerei und verklagte ihn sogar als Feind der christlichen Kirche beim Papst Julius II. Nur wenige waren damals frei von der Neigung, einen Gegner durch die Denunziation der Ketzerei zu schrecken oder zu Falle zu bringen. Keine hatte so vernichtende Folgen; denn das letzte Glied der Kette war der Scheiterhaufen. Zu seinem Glück hatte Wimpheling vielvermögende Freunde: der Bischof von Straßburg, das Domkapitel, bedeutende Gelehrte setzten sich für ihn ein, worauf der Papst ihm nicht nur die Reise nach Rom erließ, wohin er bereits vorgeladen war, sondern sogar den Mönchen Schweigen auferlegte. Solche Verbote pflegten nicht beachtet zu werden.

Grafik 269

      Johannes Trithemius, latinisiert aus Johann(es) Tritheim, auch Johannes von Trittenheim, Johann Heidenberg sowie Johannes Zeller genannt (* 1. Februar 1462 in Trittenheim; † 13. Dezember 1516.

       Gegen die Weltgeistlichkeit vereint, bekämpften sich die Orden oft heftig untereinander, so die Dominikaner und Franziskaner wegen der unbefleckten Empfängnis der Maria. Ein merkwürdiger Mann, der mit den Humanisten in Beziehung stand, Vielschreiber, Sammler denkwürdiger Notizen, Liebhaber der Geheimwissenschaften, Johannes Trithemius, Abt des Klosters Sponheim bei Kreuznach, verfasste im Jahr 1494 aus besonderer Vorliebe für Anna, die Mutter der Jungfrau, flink mit der Feder, wie er war, ein Werk in 13 Kapiteln über diese Heilige, deren Verehrung vermutlich aus dem von den Türken eroberten Byzanz ins Reich eingedrungen war, in dem er die Meinung verfocht, sie habe ihre Tochter ohne Erbsünde empfangen. Gegen diese schwer beweisbare Behauptung erhob sich ein Prediger des Dominikanerordens in Frankfurt am Main, namens Wigand Wirt, in einem an Trithemius gerichteten Brief. Der berühmte, an Bewunderung gewöhnte Abt stellte Wirt in seiner Antwort als einen Geisteskranken hin, der des Arztes bedürfe und den im Jenseits die ewige Verdammnis erwarte.

Grafik 367

      Wigand Wirt in einem an Trithemius gerichteten Brief

       Nach zwei Jahre lang geführter erbitterter Fehde mischten sich die Universität Köln und mehrere Theologen ein und entschieden, dass Wirt eine unehrerbietige Ansicht über die Geburt der Jungfrau habe und Trithemius um Verzeihung bitten müsse, dass aber beide Teile die Streitfrage ruhen zu lassen hätten. Wirt, dem das unleidlich war, wandte sich klagend an Papst Alexander VI., richtete aber nichts aus, da Trithemius die Mehrheit auf seiner Seite hatte: die Universitäten von Paris und Köln, mehrere Orden, mehrere Kardinäle und Erzbischöfe, viele Gelehrte und fast den ganzen Klerus von Deutschland. Die Verehrung der heiligen Anna, von der man bisher nicht viel Wesens gemacht hatte, wurde begierig wie eine neue Mode ergriffen. Als ein Frankfurter Stadtpfarrer die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariä auf der Kanzel besprach und die Dominikaner, die diese Lehre bestritten, als Verunehrer der Jungfrau angriff, konnte der zum Schweigen verurteilte Wigand Wirt nicht an sich halten; er stellte sich eines Tages der Kanzel gegenüber auf, um den Franziskaner durch unentwegtes Anstarren außer Fassung zu bringen. Wirklich, als dieser die Augen des Feindes dreist auf sich gerichtet fühlte, geriet er in Wut und schoss einen Pfeil ab, indem er sagte, er sei froh, nicht zu denen zu gehören, die den Kaiser Heinrich ermordet hätten; es war nämlich Überlieferung, dass Heinrich VII. in Italien an Gift gestorben sei, das ein Dominikaner ihm gereicht habe. „Du lügst“, schrie Wigand Wirt, „und hast deine Lüge wie ein Ketzer ausgespien.“ Wieder entspann sich eine Fehde und gingen Klagen nach Rom, Wirt verfasste ein bitterböses Büchlein, das der Erzbischof von Mainz verbrennen ließ. Die Dominikaner, die über die erlittene Niederlage umso erbitterter waren, als sie in gelehrten Disputationen über die Frage gesiegt hatten, beschlossen auf einem Ordenskapitel, das im Jahre 1506 in Wimpfen stattfand, sich durch eine großartige, gewagte Unternehmung Recht zu verschaffen. Ihr Plan war, die heilige Jungfrau selbst sich über die sie am nächsten angehende Angelegenheit im Sinne der Dominikaner aussprechen zu lassen. Einer Aussage aus so sicherer Quelle gegenüber, meinten sie, müsse jeder Widerspruch verstummen. Als Ort, wo die Einfalt des Volkes das Gelingen des Planes am ehesten gewährleiste, erschien ihnen die Stadt Bern geeigneter als Nürnberg oder Frankfurt. Vier Männer, die an der Spitze des Berner Dominikanerklosters standen, nahmen es auf sich, die Gottesmutter erscheinen zu lassen.

      Johann Jetzer (* um 1483 in Zurzach; † wahrscheinlich 1515 ebenda) war Schneidergeselle und zwischen 1506 und 1508 Mitglied des Dominikanerordens in Bern.

      Sie erprobten ihre Kunst zunächst an einem Schneidergesellen aus Zurzach, namens Jetzer, der kürzlich in das Kloster eingetreten war, der auch die Wunder, die sich ihm offenbarten, gläubig hinnahm, bis er einmal in der Stimme der Maria die des Priors erkannte und den Betrug durchschaute. Nicht abgeschreckt durch diesen Unfall, setzten die Unternehmer, nachdem Jetzer Schweigen gelobt hatte, ihr Spiel fort und ließen nunmehr die Jungfrau in der Kirche erscheinen und sich beklagen, dass die ketzerischen Franziskaner, die eine falsche Lehre über sie verbreiteten, noch in der Stadt geduldet werden. Die Zuhörer, von der Wimpfener Versammlung offenbar richtig beurteilt, zweifelten nicht an der Wirklichkeit der Erscheinung; aber von Jetzers Seite mehrten sich die Schwierigkeiten. Zwar hatte er sich durch Drohungen in den Betrug hineinziehen lassen, spielte aber ungern eine Rolle, die ihm viele Quälereien zuzog, denn er war auch stigmatisiert worden, und als die Brüder seinen Widerwillen merkten, wussten sie sich nicht anders zu helfen, als dass sie dem gefährlichen Mitwisser nach dem Leben trachteten. Einer vergifteten Suppe mit Not entronnen, entwischte er aus dem Kloster, stellte sich dem Rat und gestand das Vorgefallene. Nachdem die Untersuchungen seine Aussage bestätigt hatten, wurden die vier Schuldigen dem weltlichen Gericht übergeben und verbrannt. Jetzer wurde in einen Käfig gesperrt, entkam aber.

       Vielleicht ist diese groteske Geschichte mit Ausschluss der Hinrichtung, welche wirklich im Jahre 1509 stattgefunden hat, nicht wahr. Vieles spricht dafür, dass die Erscheinungen der Jungfrau Erfindungen des frechen, hysterischen Jetzer, und dass die unglücklichen Mönche Betrogene waren, denen durch die Folter ein falsches Geständnis erpresst wurde. Dann wäre aber bewiesen, dass die Mönche noch dümmer und abergläubischer waren, als man allgemein für möglich hielt, und dass sie in allen Kreisen aufs äußerste verhasst waren; denn sonst wären sie kaum das Opfer eines so unverschämten Betruges geworden.

      Jakob Wimpheling stand der mönchischen Streitfrage nicht etwa gleichgültig gegenüber, sondern war überzeugter Anhänger der unbefleckten Empfängnis. Geiler von Kaisersberg, die Posaune von Straßburg, den alle Humanisten verehrten, spickte seine Predigten mit unterhaltenden Histörchen, wie es üblich war; aber er tat es, um von der erhabenen Lehre, die den Kern seiner Predigt bildete, einen Übergang ins alltägliche Leben herzustellen. Dem entarteten mittelalterlichen Denken und Treiben der Mönche gegenüber fühlten sich diese älteren Humanisten durchaus als Vertreter der Vernunft und ihre Arbeit als eine Reinigung; die Grundformen von Staat und Kirche sollten dadurch aber nicht zerstört, sondern im Gegenteil durch die Säuberung deutlich sichtbar werden. Inmitten chaotischer Verhältnisse und Meinungen wiederholten sie die Lehre von der gemeinsamen Herrschaft von Papst und Kaiser, wie das Mittelalter sie aufgestellt hatte. Die Ansicht von der Suprematie der Konzilien, die das erste Viertel des 15. Jahrhunderts beherrscht hatte, war von den Humanisten aufgegeben, sie hielten die Alleinherrschaft des Papstes innerhalb der Kirche für erforderlich zum Wohl derselben. Auch an der Vorherrschaft des Papstes über den Kaiser hielten sie fest; außerhalb der römischen Kirche gebe es kein Kaisertum, lehrte Hug, Leutpriester in Straßburg, ja nach ihm war der Kaiser des Papstes Vasall. Geiler von Kaisersberg, Sebastian Brant, Wimpheling waren alle Hörer des berühmten Rechtslehrers Peter von Andlau gewesen, der an der Universität Freiburg römische Rechte las und in seinem Libellus de Caesarea Monarchia die Linien eines Reichs-Staatsrechtes zu ziehen versucht hatte.

       Das Fundament des Reiches, so sagte er, bildet die Doppelherrschaft von Papst und Kaiser. Duo sunt quibus hic mundus principaliter regitur; scilicet pontificales auctoritas et regalis potestas. Dies sind die beiden hauptsächlichen Mächte, durch welche Gott beschloss und wollte, dass ihm die schuldige Ehre dargebracht werde und dass durch sie das menschliche Geschlecht mittels der Regeln des Rechts heilsam unterrichtet werde, das Böse zu vermeiden und das Gute zu tun. Der Papst hat die Suprematie über den Kaiser nach den von Innocenz IV. 1245 auf dem Konzil zu Lyon aufgestellten Sätzen. Allerdings kann auch