Der Bericht Eversmanns war in jedem Punkte zutreffend, doch war die Leti unschuldig, was die letzte Anklage betraf. Ich war sechs Monate lang krank gewesen, was mich sehr zurückgebracht hatte; und seit meiner Genesung konnte ich meine Studien nicht wieder aufnehmen, da ich mich stets bei der Königin aufhielt, zu der ich mich schon um zehn Uhr morgens verfügte, um mich erst um elf Uhr abends zurückzuziehen. Der König, welcher der Wahrheit auf den Grund kommen wollte, stellte mir eines Tages verschiedene Fragen über die Religion. Ich zog mich sehr gut aus der Sache und befriedigte ihn in allen Punkten; doch als ich ihm die zehn Gebote aufsagen sollte, verwirrte ich mich und brachte es nicht zuwege, was ihn in solchen Zorn versetzte, dass er mich fast geschlagen hätte. Mein armer Lehrer musste für den Schaden stehen. Er wurde tags darauf davongejagt. Die Leti blieb auch nicht verschont. Der König gebot der Königin, ihr einen tüchtigen Verweis zu geben und ihr die Ungnade anzudrohen, falls sie je wieder Männer bei sich empfinge; selbst Geistliche sollten ausgeschlossen sein. Die Königin gehorchte mit Freuden und begrüßte die Gelegenheit, sie zu demütigen. Die Leti verteidigte sich, so gut es ging. Sie beschwerte sich über mich; sagte, dass ich weder Ehrfurcht noch Achtung vor ihr habe, dass ich ihr stets zuwiderhandle und dass sie für mein Betragen nicht verantwortlich sein könne, da sie ja fast nie mehr in meiner Nähe sei. Die Königin behandelte mich sehr ungnädig und sagte mir so harte Worte, dass ich trostlos darüber war. Trotz meiner Jugend machte es großen Eindruck auf mich. „Wie!“ dachte ich, „ein Gedächtnisfehler soll so viele Vorwürfe verdienen? Ich habe der Leti nicht gefolgt, das ist wahr; ich habe nicht ihre Zuträgerin werden wollen, sie hat mir keine Geheimnisse entlockt, die mir die Königin anvertraute; ich habe allen Befehlen der Königin gehorcht, und heute macht sie mir dennoch ein Verbrechen daraus. Ich habe allen erdenklichen Verdruss ihr zuliebe erduldet, bin mit Hieben zugerichtet worden, und dies ist der Lohn!“
Im nächsten Augenblick verwünschte ich meine Güte für die Leti. Es lag nur an mir, mich über ihre schlechte Behandlung bei der Königin zu beklagen; und ich gestehe, dass ich einige Zeit schwankte, ob ich die Königin oder diese Person verraten sollte. Allein meine Herzensgüte siegte über diese rachsüchtigen Gedanken, und ich beschloss zu schweigen. Meine Lebensweise wurde jetzt eine ganz andere; meine Stunden begannen um acht Uhr morgens und dauerten bis um acht Uhr abends. Ich hatte nur die Stunden der Mittags- und Abendmahlzeiten als Pausen, und sie vergingen auch wieder unter Verweisen, die mir die Königin gab. War ich dann in mein Zimmer zurückgekehrt, so begann die Leti mit den ihrigen. Sie war sehr erbittert darüber, dass sie niemanden mehr bei sich sehen durfte, und rächte sich an mir. Es verging kaum ein Tag, an dem sie die gefürchtete Kraft ihrer Fäuste nicht an meiner armen Person erprobte. Ich weinte die ganze Nacht, wusste mich gar nicht zu beruhigt, hatte keinen Augenblick der Erholung und wurde wie verdummt. Meine Lebhaftigkeit war verschwunden; mit einem Wort, man hätte mich körperlich wie geistig nicht wiedererkannt. Sechs Monate lang dauerte dies Leben, bis wir nach Wusterhausen übersiedelten.
Ich fing an, bei der Königin wieder in Gunst zu kommen und folglich ein wenig mehr Ruhe zu haben; sie bewies mir sogar ihr Vertrauen und teilte mir alle ihre Pläne mit. Vor der Rückkehr nach Berlin sagte sie mir eines Tages: „Ich habe Ihnen allen Kummer erzählt, den ich bis jetzt erfahren habe, doch habe ich Ihnen nur den kleinsten Teil all der Gründe gesagt, die ihn verursachten; ich will sie jetzt nennen, und ich verbiete Ihnen aufs strengste, mit jenen Leuten zu sprechen noch irgendwelchen Verkehr mit ihnen zu pflegen. Erwidern Sie ihren Gruß, das ist alles, was Sie nötig haben.“ Dabei nannte sie mir halb Berlin, das, wie sie sagte, mit ihr verfeindet sei. „Zwar will ich nicht“, fügte sie hinzu, „dass Sie mich kompromittieren. Falls man Sie fragt, warum Sie mit diesen Leuten nicht sprechen, antworten Sie, dass Sie Ihre guten Gründe dafür haben.“
Ich folgte genau dem Geheiß der Königin und hatte bald alle Welt gegen mich. Die Leti jedoch fing an, sich gewaltig zu langweilen. Das Verbot des Königs hatte sie außerstande gesetzt, ihre Liebes- und Staatsintrigen weiterzuführen, zumal der Einfluss des Fürsten von Anhalt seit der Blaspiel-Affäre sehr gesunken war, so dass die Person um die Geschenke kam, die sie von dem Fürsten zu erhalten pflegte. Er erwähnte nichts mehr von einer Verbindung zwischen mir und dem Markgrafen von Schwedt. All dies veranlasste die Leti, sich an ihre Beschützerin, Lady Arlington, zu wenden, um sie zu bitten, sich ihrer bei der Königin anzunehmen, so dass sie zu meiner Hofmeisterin ernannt würde, ein Titel, der ihr manche Vorrechte brächte, falls dies verweigert würde, solle sie ihr doch um Gottes willen diese Stellung bei den Prinzessinnen von England verschaffen.
Mylady schrieb ihr einen Brief, der für die Königin berechnet war. Er enthielt große Versprechungen über eine Beförderung der Leti in England, eine Aufzählung ihrer guten Eigenschaften und das Bedauern, dass sie in Berlin so wenig Anerkennung fänden; sie möge doch die Auszeichnungen und Belohnungen für meine Pflege fordern und, sofern sie ihr nicht bewilligt würden, ihren Abschied nehmen und sich nach einem Lande verfügen, in welchem das Verdienst mehr Würdigung erfahre. Dies alles war nur eine List, um die Königin zu bewegen, ihr alles zu gewähren, was sie verlangte. Die Leti schickte den Brief der Mylady an die Königin und fügte demselben einen höchst impertinenten von ihrer eigenen Hand hinzu. Sie wolle, sagte sie, Genugtuung haben oder ihren Abschied nehmen. Die Königin war in großer Verlegenheit, da sie Rücksichten auf diese Person zu nehmen hatte, um ihre Beschützerin nicht zu reizen, die den größten Einfluss auf den König von England hatte. Sie wandte sich also an mehrere Personen, um die Leti von ihrem Entschlüsse abzubringen, jedoch vergebens. Endlich sprach die Königin auch mit mir darüber, und ich war auf das höchste erstaunt, da mir gegenüber die Leti nichts hatte verlauten lassen. Die Königin fragte mich eindringlich, wie ihr Verhalten mir gegenüber sei. Ich sagte ihr nur Lobenswertes davon und beschwor die Königin, den Brief der Leti doch ja nicht dem König zu zeigen, bevor ich mit ihr gesprochen hätte. „Wenn Sie sie umstimmen können“, sagte sie, „so bin ich bereit, bis morgen zu warten, aber später wird es nicht mehr Zeit sein, dass sie ihr Gesuch zurückzieht.“ In mein Zimmer zurückgekehrt, sprach ich alsbald mit jener Person. Meine Tränen, meine Bitten und Liebkosungen erweichten sie, oder vielmehr, sie war recht froh, einen einleuchtenden Vorwand zu finden, um ihre Meinung zu ändern. Sie schrieb also einen zweiten Brief an die Königin, in dem sie diese flehentlich bat, den ersten Brief beim König nicht zu erwähnen.
So hatte es für dieses Mal sein Bewenden. Die Zärtlichkeit, die ich ihr bei dieser Gelegenheit bezeigt hatte, verschaffte mir vierzehn Tage lang Ruhe; allein die Leti hielt nur inne, um desto besser ihren Anlauf zu nehmen. Ich litt sechs Monate hindurch wie im Fegefeuer. Meine gute Mermann, die mich jeden Tag von Hieben gequält sah, wollte die Königin in Kenntnis setzen, doch ließ ich es nie geschehen. Um das Maß ihrer Bosheiten vollzumachen, wusch mich die Megäre mit einem bestimmten Wasser, das sie von England hatte kommen lassen und das so scharf war, dass es mir die Haut aufschürfte. Kaum acht Tage genügten, um mein Gesicht zu entstellen und meine Augen heftig zu entzünden. Als die Mermann die schreckliche Wirkung jenes Wassers bemerkte, nahm sie die Flasche und warf sie zum Fenster hinaus, sonst wären meine Augen und mein Teint auf