Mein Geschäftsleben war indessen höchst trauriger Art. Aus Broadway hatten wir uns schon der teuren Miete wegen, und da sich der Verkauf dort keineswegs so glänzend wie erwartet zeigte, fortgezogen und unseren Laden in demselben Keller in Nassaustreet aufgeschlagen, wo wir wohnten. An Miete ersparten wir dadurch, aber verloren doch auch viele Kunden, und die einzelnen Jungen, die abends kamen und mit Zimtöl betupfte Cent-Zigarren kauften, konnten uns dafür nicht entschädigen. Auch mit meinem Kompagnon glaubte ich Ursache zu haben, nicht besonders zufrieden zu sein – und ich hatte eigentlich zwei, denn seine Frau, die Kirchenamazone, regierte mehr mit, als mir und vielleicht auch ihm lieb war.
Eine flüchtig gezogene Bilanz über unser Soll und Haben brachte mir außerdem die überraschende Entdeckung, dass wir nicht allein zu unserem schnellen Reichwerden noch keinen einzigen Schritt getan, sondern sogar mein kleines Kapital in den wenigen Wochen schon um ein Bedeutendes vermindert hatten.
Als mir in dieser Hinsicht die Schuppen etwas von den Augen fielen, fing ich auch an zu überlegen, ob denn das eigentlich der Zweck gewesen sei, wegen dessen ich die Heimat verlassen habe, und mit jedem Tage reifte mehr und mehr der Entschluss in mir, diesem eingeschlossenen Leben zu entsagen und hinaus – hinaus in die Welt zu ziehen.
Lange überlegen ist überhaupt meine Sache nicht, und dem Entschlusse folgte rasch die Tat. Mit meinem Kompagnon fand ich mich bald ab. Ein kleines Reisegeld abgerechnet, sollte er alles bis Ende März in seinem Geschäft behalten und mir dann einzig und allein mein eingelegtes Geld zurückerstatten. In H.s Verwahrung ließ ich meine zwei Koffer mit Wäsche und Büchern zurück und nahm bloß etwas reine Wäsche, Pulver, Blei und meine Doppelflinte mit auf meinen Ausflug, um mir die Welt einmal so recht nach Herzenslust anzusehen. Wohin? wusste ich nicht, es war mir auch ganz gleich, nur wollte ich vor allen Dingen den Niagarafall besuchen und beschloss also, meine erste Ausflucht nach Norden, nach Albany hin, zu machen, von dort nach dem Niagara zu gehen und dann ganz ruhig zu erwarten, wohin mich das Schicksal weiter werfen würde.
Frei war ich, frei. Hoch und froh hob sich mir zum ersten Mal wieder die Brust in dem wundervollen Gefühl gänzlicher Unabhängigkeit. Nicht mehr beneidete ich die Wandervögel, deren Zuge gen Süden ich noch vor kurzer Zeit so wehmütig nachgeblickt hatte. Auch ich war frei wie sie und nicht weniger willig, meine gelösten Schwingen zu gebrauchen.
State of New-York
State of New-York
Am 24. Oktober, nachmittags fünf Uhr, ging das neue Dampfboot „DIAMANT“ von New-York nach Albany, und auf seinem Verdeck, die freie, balsamische Luft mit Wonne einatmend, stand ich und betrachtete mit entzücktem Auge die sich immer großartiger und herrlicher ausdehnende Landschaft.
Wohl mochte indessen meine Tracht, die enganschließenden ledernen Beinkleider, hohen Wasserstiefel, die kurze grüne Jagdpekesche und grüne Pelzmütze, sowie der offene Hemdkragen einem an dies alles nicht gewöhnten Auge seltsam erscheinen, wenigstens kleiden sich die Amerikaner nicht so, und manches Auge richtete sich neugierig auf den Fremden. Aber was kümmerten mich die Leute. Mit fröhlichem Wellenschlag rauschten wir an den wundervollen Ufern des Hudson hinauf, der neuen, fremden Welt rasch entgegen; von dort winkten schon die blauen dämmernden Berge lockend herüber, und ein Zauber schien über das ganze Land ausgegossen, dessen jungfräulichen Boden ich jetzt betreten sollte.
Kalt und feucht brach indes die Nacht herein, und als am anderen Morgen aus trübem Gewölk die Sonne wieder hervorschaute, schimmerten schon in ihren ersten Strahlen die Turmspitzen von Albany.
Da der Dampfwagen denselben Morgen nach Utica abging, so benutzte ich diese Gelegenheit. Die damals noch kleine Stadt Albany lockte mich auch sehr wenig, sie genauer kennen zu lernen. Das waren nur eben wieder Häuser mit Läden und Schankwirtschaften und fremden gewinnsüchtigen Menschen – nichts weiter. Die aufzusuchen, war ich nicht nach Amerika gekommen; ich suchte die Natur.
Dampfwagen – ich schreibe das jetzt so leichtsinnig hin und kann mich doch noch recht gut jenes mächtigen Eindrucks erinnern, den dies erste Befahren einer Eisenbahn auf mich machte. Das Klappern und Schnauben der Maschine, das rasche Durchschneiden der Luft, das fremde wunderbare Land, das an beiden Seiten pfeilschnell an uns vorüberflog – ich konnte mich nicht satt an dem allen sehen.
Übrigens fuhr ich meiner sehr beschränkten Kasse wegen dritter Klasse, zwischen einer keineswegs mehr gemischten Gesellschaft. Es waren fast durchschnittlich irische Arbeiter, die irgendwo in das Land hinaufgingen, am Kanal oder der Eisenbahn zu hacken und zu graben. Die Nähe dieser Leute war allerdings nicht angenehm, und ein Teil derselben, nach der gewöhnlichen Art der Iren, außerdem betrunken. Glücklicherweise saß ich aber an einem Fenster und hielt mich so viel wie möglich fern von ihnen, als plötzlich ein wilder Tumult und lautes, schallendes Gelächter aus der ärgsten Gruppe herübertönte. Ich drehte den Kopf dorthin und sah, wie der Zugführer mit einem der Schar, der ebenfalls leicht angetrunken schien, stritt und heftig gestikulierte.
Im Anfang konnte ich nicht verstehen, was die beiden miteinander hatten, aber das Lachen wurde bald allgemein, als sich herausstellte, dass der Bursche auf den falschen Zug gekommen war und nun verlangte, der Zugführer sollte anhalten und ihn aussteigen lassen. Natürlich weigerte sich dieser; der Arbeiter tobte dabei im Anfang, legte sich aber dann, als er sah, dass er damit nichts ausrichtete, aufs Bitten und erklärte, er verlöre sein Brot und mache seine Familie unglücklich, wenn er nicht augenblicklich umkehre und mit dem nächsten Zug von New-Albany, ich weiß nicht mehr wohin, fahre. Der Beamte erklärte ihm endlich, dass er unter keiner Bedingung anhalten könne, dass er aber ihm zu Gefallen etwas langsamer wolle fahren lassen; mehr könne er nicht für ihn tun, und wolle er dann herausspringen, möge er es auf die Gefahr seines eigenen Nackens versuchen.
Der Ire ging mit Freuden auf den Vorschlag ein, und der Führer ließ wirklich den Zug etwas langsamer gehen, mehr aber vielleicht, wie ich ziemlich fest überzeugt bin, den Spaß zu haben, den armen Teufel „über Bord“ springen zu sehen, als ihm irgendeinen Gefallen zu erweisen. Was liegt den Leuten dort an einem Menschenleben!
Der Zug ging jetzt nicht mehr so rasch, aber doch immer noch schneller als vier Pferde in gestreckter Karriere einen leichten Wagen fortreißen könnten, und der Ire schaute unschlüssig aus der halbgeöffneten Tür.
„Jetzt springt oder eure Zeit ist vorbei!“ rief der Zugführer.
„Aber ich breche den Hals“, sagte der Mann; „könnt ihr nicht langsamer fahren?“
„Wenn ihr nicht wollte, lässt 's bleiben“, brummte der andere – „'s wird gleich wieder rascher gehen“, und dabei wollte er die Tür schließen.
„Halt – ich will!“ rief aber der Mann, – „lässt mich hinaus – da kommt Gras –“
„Halt um Gottes willen!“ schrien ein paar Stimmen und fassten ihn am Kragen, – „da unten liegt Holz und ihr brecht Hals und Beine.“
„Jetzt kommt Rasen!“ rief der Führer, – „eins, zwei –“
„Drei!“ schrie der Mann, indem er sich von denen, die ihn halten wollten, losriss, und flog im nächsten Augenblick aus der Tür hinaus, die sich rasch wieder hinter ihm schloss. Ich steckte den Kopf aus dem Fenster, zu sehen, was aus ihm würde, konnte aber nur noch die auf dem Rasen lang ausgestreckte dunkle Gestalt erkennen; denn der Zug schoss in diesem Augenblicke wieder mit rasender Schnelle vorwärts.
„Hol's der Teufel, er hat den Hals gebrochen!“ rief einer der Leute.
„Und was läg' daran?“ sagte der Führer, der sich lachend abwandte, seinem Geschäfte nachzugehen.
Ich habe später nie erfahren können, was aus