In meiner Wohnung angekommen, fand ich meine Reisegefährten vor, und es lässt sich denken, dass wir uns sehr viel zu erzählen hatten. Als wir endlich, es war zwölf Uhr, zu Bette gehen wollten, schallte es „Fire, fire, fire!“ durch die stillen Gassen. Ich sprang auf und schaute aus dem Fenster, da bemerkte ich, dass der Himmel gerade über den gegenüberstehenden Häusern glutrot war.
Da ich noch angezogen war und keiner der übrigen mitgehen wollte, so sprang ich allein die Treppe hinunter und dem hellen Scheine zu. Eine Straße nach der anderen eilte ich hinab – immer stand der Schein fast dicht vor mir; endlich, nachdem ich wohl dreiviertel Stunden gelaufen war, kam ich zur Brandstätte. Es war ein kleines hölzernes Gebäude, das ganz in Flammen gestanden hatte, aber noch nicht niedergebrannt und von den herbeigeeilten Spritzen schon gelöscht war. Ich kam eben noch zur rechten Zeit, das letzte Verglimmen des Feuers mit anzusehen.
Es waren mehrere Deutsche unter den zum Brande geeilten Leuten, und ich fragte jetzt einen von ihnen, wie weit ich bis zu meiner Wohnung in Pearlstreet hätte. Zu meinem Schrecken erhielt ich die Antwort, dass ich mehr als zwei englische Meilen von meinem Bette entfernt sei. Der Mann versicherte mir auch, dass, wenn ich nach jedem Feuer in New-York laufen wollte, ich sicher die ganze Nacht weiter nichts zu tun hätte, da es selten wäre, dass es weniger als zweimal die Nacht brenne, ein Feuer aber regelmäßig alle vierundzwanzig Stunden sei. Ich fand auch seine Worte vollkommen bestätigt, denn nach wenigen Stunden brannte es noch einmal, und während der ganzen drei Monate, die ich in New-York zubrachte, erinnere ich mich nur weniger Nächte, die ohne Feuerlärm vorübergingen. Die Löschanstalten sind übrigens hier vorzüglich, und die angesehensten Bürger gehören zu den Feuerwehrleuten; auch die Spritzen sind höchst elegant und geschmackvoll aus Messing und Stahl gearbeitet und werden von den Menschen selber gezogen. Wie unähnlich sind sie unseren alten roten Donnerkästen, bei denen es eine halbe Stunde dauert, ehe nur die Pferde ins Geschirr kommen.
Acht Tage waren mir in New-York so rasch vergangen, dass ich glaubte, ich sei kaum zwei dort, und ich hatte viele Deutsche in der kurzen Zeit kennen gelernt.
(Siehe Band 142 in dieser gelben Buchreihe: Rudolf Cronau: Die deutschen Einwanderer in Amerika)
Der Aufenthalt im Wirtshause war mir unerträglich geworden, denn keine Nacht konnte ich schlafen. Ich legte mich im wahren Sinne des Wortes bloß aufs Bett, um die Wanzen zu füttern.
Durch einen Braunschweiger wurde ich mit einer deutschen Familie bekannt, zu der ich zog und für Kost und Logis wöchentlich 3 Dollars zahlte. Es war damals ungefähr der gewöhnliche Preis. Die Wäsche, für die ich 4 Cents (20 Pfennig) das Stück gab, musste besonders vergütet werden.
Ich war mit der Absicht nach New-York gekommen, mich von dort aus nach Vera-Cruz einzuschiffen, hörte aber über die mexikanischen Verhältnisse so viel Ungünstiges, dass ich zuerst unschlüssig wurde und endlich, als mehr und mehr Leute mir den unruhigen, ungewissen Zustand des mexikanischen Reiches schilderten und mich als neuen Ankömmling warnten, dahin zu gehen, mir die Sache ernstlich überlegte und beschloss, mir erst die Vereinigtes Staaten recht ordentlich anzusehen, ehe ich mich nach anderen Ländern wendete.
Besser schienen mir die Aussichten im Lande selbst zu sein. Ein junger Farmer von Illinois, den ich in New-York sprach, sagte mir, dass es für einen Landmann leicht sei, dort eine Pachtung zu bekommen, d. h. eine Pachtung im amerikanischen Sinne des Worts, wo der Pächter ein Stück „geklärtes“ Land mit den dazu gehörigen Gebäuden erhält, dasselbe bearbeitet, wozu der Eigentümer größtenteils das Handwerkszeug liefert und dafür den dritten Teil der Ernte abgibt; zugleich versicherte er mir noch, dass zwei Mann recht bequem sechzig Acker besorgen könnten. Freilich verschwieg er, dass dies mit dem amerikanischen Landbau ganz und gar vertraute Leute sein müssten.
Allerlei Pläne gingen mir damals im Kopfe herum; ich konnte mich aber noch immer nicht zu etwas Bestimmtem entschließen, und darüber verging wieder eine gute Zeit.
So viel hatte ich indessen von den deutsch-amerikanischen Kirchen gehört, dass ich endlich beschloss, eine zu besuchen. Ein Bekannter erbot sich, mich am nächsten Sonntag zu einer der besseren hinzuführen. Es war dies die deutsche reformierte Kirche. Wir kamen etwas spät, und ich war über die Aufregung und Unordnung, die in dem heiligen Gebäude zu herrschen schien, erstaunt. Ich sollte bald noch mehr staunen. Der Prediger, ein ziemlich starker, robuster Mann, sah gewaltig rot im Gesichte aus und sprach heftig, obgleich er nicht schlecht zu predigen schien; dann und wann jedoch hielt er ein und trank etwas, das er neben sich stehen hatte. Plötzlich, als alles in völliger Ruhe zu sein schien und der Mann auf der Kanzel den Text erläuterte, stand eine Dame von ihrem Sitze auf und fing an laut zu reden. Was sie wollte, konnte ich nicht gleich verstehen, doch mit Erstaunen erkannte ich meine Hauswirtin und vernahm die abgebrochenen Worte: „Schändlichkeit – nicht dulden – Frechheit – Männer – Kanzel werfen.“
Als ich noch über den wahrscheinlichen Sinn dieser Worte nachdachte, entstand ein allgemeiner Aufruhr im Gotteshause. „Runter von der Kanzel mit dem Schreier – werft ihn ‘naus – prügelt ihn durch!“ Das waren ungefähr die Ausrufe, die laut wurden, und mit toller Eile machte sich die Menge daran, den Pfarrer von der Kanzel zu holen. Das war aber nicht so leicht. Die Kanzel, zu der auf beiden Seiten eine schmale Treppe hinaufführte, hatte am Fuße derselben eine kleine Tür, die von innen verschlossen werden konnte. Die Aufrührer sprangen nach der rechts befindlichen Treppe, aber der Seelenhirt bewies ihnen, dass er im wahren Sinne des Wortes zur streitenden Kirche gehöre; mit ein paar Sätzen war er an der Tür und verteidigte sich ritterlich. Viele Hunde sind freilich des Hasen Tod; die Besatzung der Festung war zu schwach. Während er einen Teil derselben verteidigte, musste er den anderen bloßgeben; die Aufrührer rannten eine Bresche, stürmten die andere Treppe hinauf und griffen die Besatzung von hinten an.
Der gute Herr Pastor wurde in das Innere der Kirche geschleppt, entschlüpfte aber seinen Verfolgern, sprang in eine Ecke und rief, indem er eine kunstgerechte Boxerstellung annahm, seine bisher gespielte Rolle vergessend, und zwar in recht gutem Englisch: „God damn you, come on, all of you!“ Und wirklich waren diese Worte nicht bloße Prahlerei gewesen, denn seit er seinen Rücken gedeckt hatte, hielt er sich den ganzen Schwarm vom Leibe.
Ich hatte mich während des ganzen Vorfalls auf eine Bank gestellt, dem Spektakel zuzusehen, und kann wohl sagen, dass ich mich recht gut amüsierte. Übrigens fochten sie nicht ritterlich; denn obgleich sich die vorderen nicht an ihn wagten, schlugen ihn die hinteren mit Regenschirmen auf den Kopf, und der Übermacht weichend, machte er einen Ausfall und gelangte ins Freie. Weiter wollte die liebe Gemeinde nichts, und mehrere sprachen davon, den anderen Prediger zu holen; doch waren die Gemüter zu aufgeregt, und die Streiter der Kirche (Kreuzritter) gingen auseinander. Zu Hause erfuhr ich von meiner Wirtin die Ursache des Aufruhrs.
Die Gemeinde hatte diesen handfesten Prediger verabschiedet und einen anderen erwählt, der an diesem Sonntage das erste Mal predigen sollte, die Rechnung aber dabei ohne den Wirt gemacht. Der Ex-Seelenhirt begab sich nämlich schon mit Tagesanbruch, und zwar mit Hilfe eines anderen Schlüssels, in die Kirche und setzte sich in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, ruhig auf die Kanzel. Als nun die Gemeinde mit dem anderen Prediger ankam und den alten Geistlichen schon da oben auf der Kanzel antraf, ging dieser, der ein ruhiger, friedliebender Mann war, gleich wieder zurück, und trotz Drohen und Schimpfen fing der bisherige seine Predigt an. Er hätte auch vielleicht seinen Willen durchgesetzt, wenn nicht jene Amazone den Funken zum Pulverfass getragen. Wie ich in späteren Jahren gehört habe, sind dieselben Unruhen in dieser Kirche noch mehrere Male