Renaissance 2.0. Christian Jesch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christian Jesch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754127643
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sich dieses Industriegelände befindet."

      "Und was wollen Sie dann vom Gottkaiser?", fragte der alte Mann pikiert.

      "Ich war davon ausgegangen, dass es in Akeḿ, Deusakem meine ich, ebenfalls eine Basis der Sturmredner gegeben haben könnte und dass sich diese genau hier im Schloss befunden hat."

      Mit einem lauten Geräusch kippte die schwere Sitzfläche des Chefsessels samt Sekretär nach Vorne. Der alte Mann fiel mehr aus dem Stuhl, als dass er aufstand. Mit weit aufgerissenen Augen kam er auf die Gruppe zu. Innerlich rang er um Worte, was die Umstehenden deutlich erkennen konnten. Dann öffnete der Sekretär zwei, dreimal den Mund und schloss ihn wieder, ohne ein Wort gesagt zu haben.

      "Woher wissen Sie das?", brachte er dann doch endlich über die Lippen.

      "Dann habe ich also doch recht gehabt", frohlockte der Älteste. "Ich war mir wirklich nicht sicher." Dem alten Sekretär wurde plötzlich klar, was er da ungewollt verraten hatte. "Sind denn noch Sturmredner hier?", fuhr der Älteste fort.

      "Ich glaube, es wird Zeit, dass Sie die drei zum Gottkaiser bringen, Sekretär", übernahm jetzt der Wächter das Gespräch und schob den alten Mann in Richtung einer hohen, massiven Holztür.

      "Wir können da nicht so einfach hineinspazieren", wehrte dieser sich jedoch heftig. "Ich muss das Ganze erst noch mit unserer Herrlichkeit abklären."

      "Dann tun Sie das", drängte der junge Wächter. Der Sekretär kehrte zu seinem Schreibtisch zurück, nahm den Telefonhörer ab, wählte eine Nummer, die er mit seinem ganzen Körper verdeckte und flüsterte dann einige Worte, welche die anderen im Raum nicht verstehen konnten. Schließlich drehte er sich erneut um und nickte.

      "Der Gottkaiser gewährt Ihnen eine Audienz. Zuvor jedoch einige Regeln. Wenn Sie den Raum betreten haben, bleiben Sie solange an der Tür, bis der Gottkaiser Ihnen zu verstehen gegeben hat, näher zu treten. Dann verweilen Sie in einem Abstand von mindestens drei Metern vor ihm, um sich dann hinzuknien. Sehen Sie dem Gottkaiser niemals, ich wiederhole, niemals direkt in die Augen. Am besten halten Sie Ihren Blick gesenkt." Der Älteste schaute seine beiden Weggefährten nachdenklich an, nickte dann jedoch, als Bestätigung, die Anweisungen verstanden zu haben.

      "Gut. Dann folgen Sie mir jetzt bitte."

      Der alte Mann ging erneut auf die Holztür zu, zu der ihn bereits der Wächter zuvor geschoben hatte. Dieses Mal drückte er die beiden Türgriffe herunter und öffnete die Doppeltür, die in einen pompösen, scheinbar endlosen Saal führte. Linker Hand, auf der völlig entgegengesetzten Seite, war ein mächtiger Thron auszumachen, auf dem ein Mann mittleren Alters saß. Der Sekretär stellte die kleine Gruppe in einer Reihe, parallel zur gegenüberliegenden Wand mit dem Kaiserstuhl auf, packte den jungen Wächter an den Schultern und schob diesen wieder in sein Büro zurück. Die zwei Männer und die Frau blieben, wie es das Protokoll verlangte, an Ort und Stelle stehen. Der Gottkaiser Jachwey betrachtete die Gruppe eine Weile. Schließlich gab er ihnen mit einem Handzeichen zu verstehen, näher zu treten. Die drei Sturmredner legten die nahezu einhundert Meter bis zum Herrscherstuhl schweigend und in aller Ruhe zurück. Je weiter sie in den Raum hineingingen, desto bedrückter fühlten sie sich. Der ganze Pomp, die Größe, der mächtige Thron und das überdimensionale Gemälde an der Rückwand gab ihnen das Gefühl winzig klein zu sein.

      "Ihr seid also Sturmredner", eröffnete der Gottkaiser das Gespräch. Seine Stimme schallte durch den Raum, wie ein Donner, dachte der Älteste. Er vermutete dahinter eine Konstruktion, welche die Stimme Jachweys irgendwie mehrfach brach, um sie hin und her zu werfen.

      "Ja, eure Heiligkeit", erwiderte der Älteste.

      "Und Ihr habt ein Anliegen an mich", fuhr Jachwey fort.

      "Auch das ist richtig, eure Heiligkeit."

      "Dann tragt mir dieses vor."

      Der Ältest begann alles, was er über Ysana, die Liga des Untergangs, deren Vorstellung von einer Welt der Mutanten kannte zu berichten, bis er schließlich zum eigentlichen Punkt kam. Den geheimen Akten der Obersten. Jachwey hörte sich die Informationen sehr genau an. Dabei blieb sein Gesicht regungslos. Der Älteste glaubte jedoch zu erkennen, dass der Gottkaiser sehr wohl verstand, welche Auswirkungen das Handeln der Hexe auf die Welt haben würde.

      Kapitel 8

      Ysana war mit ihrer Gruppe noch nicht lange unterwegs, als die ersten Fragen aufkamen. Vor Allem machten sich die übrigen Mutanten Gedanken darüber, was sie essen sollten. Da sie sich völlig unvorbereitet auf den Weg gemacht hatten, gab es keinen Proviant. Und das brachte die Anführerin ein wenig in Bedrängnis, denn sie hatte sich auch bislang nicht die Mühe gemacht, darüber nachzudenken. Ysana rief sich die Karte in ihrem eidetischen Gedächtnis auf und studierte sie, während die Gruppe weiterlief. Es gab einige kleinere Dörfer und Städte entlang ihrer Route. Dort konnte sie Nahrung besorgen, wenn sie denn genügend Geld hatten. Doch das war das nächste Problem. Kaum einer von ihnen hatte welches bei sich. Natürlich waren die primitiven Menschen ihnen unterlegen. Aber sie wollte auch nicht zu viel Aufmerksamkeit auf die Liga des Untergangs lenken.

      "Einige der Mutanten werden langsam unruhig", unterbrach Tenju ihre Gedanken. "Sie fragen sich, wann es etwas zu essen geben wird."

      "Ich denke gerade darüber nach. Es gibt ein paar Siedlungen und kleine Städte auf unserem Weg, doch wir dürfen nicht auffallen."

      "Dir ist schon klar, dass wir kaum Geld bei uns haben", flüsterte der Telepath leise.

      "Und wie mir das klar ist, Tenju. Aber, wenn wir unsere Fähigkeiten einsetzen, um an etwas Essbares zu kommen, dann nur unauffällig."

      "Soweit ich das lesen kann, ist die Truppe noch ganz bei dir. Es gibt keine Pläne eines Aufstandes. Mal ganz davon abgesehen, dass sie dazu auch nicht den Mut haben, gegen dich anzutreten."

      "Das wäre auch bedauerlich. Die Mutanten sind meine Familie und wir Metamenschen müssen zusammenhalten. Schließlich sind wir die herrschende Rasse in diesem Moloch. Wir werden hier eine kurze Rast machen und uns einen Plan zurechtlegen, wie wir möglichst unerkannt im nächsten Dorf an Nahrungsmittel kommen. Sag den anderen Bescheid."

      Tenju nickte und schickte eine Gedankenbotschaft an die acht übriggebliebenen Mitglieder der Liga, die teilweise weit zurückgefallen waren. Während die zwei darauf warteten, dass die anderen sie einholten, setzten sie sich nebeneinander auf einen kleinen Felsbrocken am Wegesrand. Die Teenager sahen ziemlich erschöpft und verschwitz aus, wie sie da so langsam näher kamen. Ysana fragte sich, ob sie es überhaupt, selbst mit Proviant, mit dieser Gruppe zur alten Industrieanlage schaffen würde. Die Jugendlichen waren mit Sicherheit nie in ihrem Leben auf einer Wanderung gewesen. Durchtrainiert waren sie schon gar nicht. Am ehesten trauten sie den Frauen zu, durchzuhalten. Sie waren mental stabiler als die Männer, die immer allzu gerne und viel zu früh aufgaben.

      "Wann gibt es endlich was zu essen und zu trinken?", war dann auch die erste Frage, die von einem der männlichen Teenager kam.

      "Genau das ist der Grund, warum ich euch habe zusammenrufen lassen. In ein paar Kilometern kommen wir an einem Dorf vorbei. Zunächst einmal die Frage, wer von euch hat Geld?" Ysana schaute jeden einzelnen erwartungsvoll an. Einige wenige fingen an in ihren Taschen zu graben und förderten dabei einige Scheine und Münzen hervor. Viel kam dabei nicht heraus. Es würde aber vielleicht ausreichen, die Leute in den Läden von den anderen abzulenken, die sich anderweitig versorgten.

      "Wir werden also einige Sachen ganz legal kaufen, während die anderen den benötigten Rest, den wir nicht bezahlen können, unbemerkt organisieren werden. Unbemerkt heißt, dass keiner von euch auch nur im geringsten, besonders nicht mit seinen Fähigkeiten, auffällt. Ich will nicht, dass es sich schon jetzt herumspricht, dass Metamenschen frei umherlaufen. Das könnte uns an unserem großen Tag Probleme bereiten."

      Ysana schaute sich im Kreis ihrer Mitstreiter um und versicherte sich, dass jeder ihre Worte auch verstanden hatte. Erst als Tenju ihr die Botschaft schickte, jeder wüsste, was zu machen sei und was nicht, stand sie auf und es ging weiter. Schweigend schritten sie durch die Einöde. Nur die Wenigsten sagten etwas. Meist waren es nur einzelne Worte, dann verstummte