Die ihre Seele töten. Wilfried Stütze. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilfried Stütze
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753196503
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zu finden wiederum war auch nicht schwer. Zwei Kinder waren angeblich in Celle gestorben, nachdem er ihnen Teekräuter zugesteckt hatte. Das war natürlich Unsinn. Sie sahen völlig abgemagert aus, vermutlich litten sie an Schwindsucht. Vielleicht waren sie gestorben, vielleicht auch nicht. Der Tee, den er mitführte, wann immer er ihn besorgen konnte, sollte seinen nervösen Magen beruhigen. Den Kindern hatte er bestimmt auch gut getan. Sie sollen jedenfalls durch sein Hexenkraut gestorben sein. Die Gerichtsbarkeit der Stadt Celle und vor allem die Geistlichkeit und der Magistrat hatten offenbar keine Einwände, aus welchen Gründen auch immer, ihn verhaften zu lassen. Dass er eigentlich Christ sei, wie er immer wieder betonte, nahm man ihm nicht ab, wollte es wohl auch nicht.

      Der Mönch hat ganze Arbeit geleistet, dachte er und blieb stehen. Er war die ganze Zeit in der Zelle hin und her gegangen. Zumindest hat man eine Voruntersuchung angeordnet, aber keiner wird mir helfen können oder gar Partei ergreifen. Ich bin eben verdächtigt, ein Hexenmeister oder zumindest ein Zauberer zu sein oder beides.

      Natürlich wusste er genau, worum es eigentlich ging, warum ihn die spanische Inquisition oder besser der König von Spanien so konsequent verfolgen ließ. Viele südspanische Familien, nichtjüdische und jüdische, hatten sich zusammengeschlossen und die in erster Linie von den Niederländern bezahlten Kaperfahrer mitfinanziert, die wiederum die spanische Silberflotte, schwer beladen mit Silber aus den südamerikanischen Kolonien, ausraubten, wo immer sie gestellt werden konnten. Das Geld aber brauchte die spanische Krone, um den Landkrieg gegen die nördlichen Niederlande zu finanzieren. Die Familie Don Miguel Francisco y Dominguez war natürlich ebenfalls stark engagiert, wollte sie doch wie alle anderen Familien die Unabhängigkeit der Niederlande vom katholischen Spanien erreichen. Eine Republik, mit der sich gute Geschäfte machen lassen würden.

      Es gab unterschiedliche Motive. Don Miguel hatte seine. Die führende Schicht in Amsterdam hatte im Jahre 1602 eine Kompanie, ein neues, so nie da gewesenes Unternehmen gegründet. Eine Aktiengesellschaft, die „Niederländische Ostindische Kompanie“. Don Miguel hatte seinen Bruder Juan per Boten beauftragt, für ihn eine Beteiligung in erheblichem Umfang zu sichern. Nachdem die Organisatoren verraten waren, vielleicht hatte ja so ein elendiger Kaperfahrer, der sich zur Ruhe setzen wollte, den Verrat begangen, machte es sich die spanische Regierung zum Ziel, alle bekannten Rädelsführer und ihre Familien zu vernichten.

      Die hallenden Schritte auf dem Gang und das Öffnen der Zellentür holten Miguel aus seinen Gedanken in die Wirklichkeit zurück. Es waren drei. Einer hatte eine schwarze Ledermaske über den Kopf gezogen. Die Mundpartie und das Kinn blieben frei. Der ganze Mann wirkte auf ihn wie zwei Kugeln, die man aufeinander geschraubt hatte. Oben die kleinere und unten die deutlich größere. Dazwischen, also zwischen Rumpf und Kopf war nichts. Er sah einfach komisch aus. Wie ein Clown eben. Irgendetwas in seinem Inneren sagte Miguel, dass gerade von diesem so merkwürdig aussehenden Mann Todesgefahr ausging.

      „Gehen wir, Hexenmeister“, knurrte der Dicke. „Der Magistrat will dich verhören. Zeitverschwendung! Pure Zeitverschwendung“, kam es aus ihm heraus.

      Auch noch eine Fistelstimme zu diesem Körper. Miguel musste unwillkürlich lächeln.

      „Das Lachen wird dir schon noch vergehen, Jude. Du wirst brennen“, grinste der Maskenmann.

      „Na, dann gehen wir zum Schafott. Worauf wartest du, Knecht?“ Er sagte es ganz im Ton eines spanischen Grande, eben eines Don Miguel Francisco y Dominguez.

      Nach einer kurzen verdutzten Kunstpause schnappten die beiden anderen ihn, nahmen ihn in die Mitte und brachten ihn aus dem Rathausgefängnis. Schon nach wenigen Minuten konnte er in der Ferne das Celler Schloss erkennen.

      „Wo bringt ihr mich hin?“, fragte er seinen Bewacher zur Linken.

      „Ins Kanzleigebäude zum Verhör und dann kommst du ins Weiße Haus, dort …“

      „Sei nicht so geschwätzig“, fistelte der Dicke.

      „Ist ja schon gut, Meister Hans. Ich wollte ja nur …“ Meister Hans, dachte Miguel. Er ist sicher der Scharfrichter. Der wollte sich nur seinen zukünftigen Delinquenten einmal ansehen. Die anderen beiden hätten auch gereicht, um ihn zum Verhör zu bringen – und dann ins Weiße Haus. Was immer das auch ist.

      Der Gerichtssaal war ziemlich geräumig, vermutlich wurde er auch für Versammlungen anderer Art benutzt. Hinter einem etwa vier Meter langen Tresen saßen zwei Mitglieder des Magistrats, ein Schreiber und ein weiterer Mann, der sich als Esaias Pufendorf, Syndicus der Stadt Celle, vorstellen sollte.

      Der Mönch ist nicht zu sehen. Er hält es in diesem Stadium nicht mal für nötig, dabei zu sein, dachte Miguel.

      Er nahm noch wahr, dass Meister Hans mit einem Kopfnicken zum Tresen den Raum verließ. Dann sprach der Magistrat ihn an: „Euer Name ist Miguel Dominguez und euren Beruf gebt ihr mit Kaufmann an.“

      Miguel erwiderte in bewusst ruhigem Ton: „Mein Name und Titel ist Don Miguel Francisco y Dominguez, aber Don Miguel genügt. Ich betreibe in der Tat ein weitverzweigtes Handelshaus. Man zählt mich zu den Fernkaufleuten, wie man in deutschen Landen zu sagen pflegt.“

      Sichtlich ungehalten nestelte der Magistrat an seinen Papieren herum, erwiderte aber nichts.

      „Nun, Don Miguel, die Bürgerinnen Magda Bertrams und Sophia Dammann beschuldigen Euch, ihre Kinder Hans und Otto verzaubert und mit einem Kraut getötet zu haben. Daraufhin hat der Rat der Stadt Celle, der auch Richter in bürgerlichen Angelegenheiten ist, Ihre Verhaftung angeordnet, um die jetzt folgende Untersuchung durchzuführen. Es wird ihnen also nichts weniger als Kindstötung vorgeworfen, mit Zauberei und dergleichen möge sich fortan ein anderes Gremium befassen. Der Syndikus wird Sie jetzt zur Sache befragen.“

      Klang zwar alles vernünftig und professionell, sagte sich Miguel, aber warum wurde ich durch einen Scharfrichter abgeholt? Es ist alles ein abgekartetes Spiel und ich werde es verlieren, verdammt.

      Nachdem Don Miguel seinen Vers aufgesagt hatte, dass er den Kindern nur Teekräuter geschenkt hatte, er sie also nicht getötet haben konnte, zog sich das Gericht zur Beratung zurück und er wurde in das Weiße Haus unweit des Kanzleigebäudes gebracht. Das Weiße Haus, sicher durch seinen weißen Anstrich, auch des Gebälks, so genannt, war in Celle ein Ort der Marter und Verhöre. In seinen Torturkellern und Martergewölben ging der Scharfrichter Meister Hans seinem Gewerbe nach. Nicht selten des Nachts legte er die Daumenschrauben an, hantierte mit spanischen Stiefeln und Haarseilen und weiteren schrecklichen Folterwerkzeugen. All das konnte Miguel nicht wissen, aber er ahnte es bereits.

      Das Untersuchungsgefängnis in diesem Haus wird also für die nächste Zeit meine Bleibe sein, dachte Miguel, kaum dass er in seine neue Zelle gebracht wurde. Das Stroh war tatsächlich frisch, aber Ratten und Mäuse raschelten und die Feuchtigkeit kroch langsam in den ganzen Körper. Wenn man nur lange genug in diesem Loch steckt, geht man unweigerlich an Lungenentzündung oder sonst was ein, schüttelte sich Miguel. Na bitte, ein kleines vergittertes Fenster gibt es auch wieder. Ich bin dem allen hier ausgeliefert, dachte er. Der Mönch hat alles organisiert und mit Sicherheit die Familien der Kinder bestochen, in einer Höhe, die ihr Gewissen praktisch neutralisiert hat. Und wer weiß, vielleicht war es ja doch ein Zauberkraut, werden die Mütter sich beruhigt haben und ihre Kinder haben nur Glück gehabt.

      Am zweiten Tag nach seinem Verhör wurde die Zellentür aufgeschlossen.

      „Schalom! Der Herr lässt die seinen nicht im Stich.“

       Ich muss schon eine ziemliche Weile auf diesem wackligen Holzklotz gesessen haben. Nicht mal das Aufsperren der Tür habe ich so richtig mitbekommen.

      „Ich bin der Kaufmann Ibrahim Maintz. Meine Familie ist schon in zweiter Generation hier in Celle ansässig“, sprudelte der Mann los.

      „Was kann ich für dich tun, Don Miguel Francisco y Dominguez?“

      „Schalom“, erwiderte Miguel einigermaßen erstaunt über seinen Besuch. „Sag einfach Miguel.“

      „Also gut, Miguel. Wie kann ich deine Lage erleichtern? Ich könnte Dir nicht