„Ist alles gut bei dir? Fühlst du dich nicht wohl? Du wirkst plötzlich so müde!“ fragte ich sie besorgt. Schlaff hingen die Flügelchen an ihrem Körper herab.
Bss… bss… bss…
„Ich… habe… keine Energie… mehr. Ich… brauche… deine… Hilfe…“ summte sie nur noch leise und schloss ihre Äuglein.
Rettung im letzten Augenblick
Mir blieb fast das Herz stehen.
„Betty? Um Himmels willen, Betty? So sag doch etwas. Öffne bitte wieder deine Augen. Was soll ich denn tun?“ bettelte ich sie an, doch sie rührte sich nicht.
So behutsam ich konnte, trug ich sie zum Tisch, auf dem in einer Vase die Blumen standen, die ich zur Begrüßung nach der Rückkehr von unserer letzten Reise von Lýsa geschenkt bekommen hatte. Sanft legte ich sie auf ein Blütenblatt, das auf die Tischplatte gefallen war.
Behutsam streichelte ich ihr über die flauschigen Haare, doch nur leicht hob und senkte sich ihr kleiner Körper beim Atmen.
Wie von der Tarantel gestochen rannte ich hinaus und schrie laut: „HILFE!“
„Schnell, Betty braucht Hilfe! So helft mir doch!“ rief ich aus vollem Herzen und wischte mir eine Träne von der Wange.
Augenblicklich kamen meine Freunde herbeigestürmt. Allen voran Stubbur, unser Arzt.
„Snørgl, was ist denn geschehen?“ rief er aufgeregt und japste nach Luft. Mit seinen kurzen Beinen musste er immer doppelt so viele Schritte laufen wie wir.
„Betty,“ schluchzte ich und deutete mit ausgestrecktem Arm durch die offene Tür meiner Baumwohnung. „Sie rührt sich nicht mehr!“ wimmerte ich.
Raschen Schrittes eilte er in meine Wohnung, während Galdur, Gulltoppur, Tamin und Pegjandi, die kurz nach Stubbur eingetroffen waren, mich doch etwas verwirrt ansahen.
„Wer ist denn Betty?“ fragte mich der inzwischen neben mir aufgetauchte Styggur außer Atem und blickte mich fragend an. „Die kenne ich ja gar nicht.“
Auch die anderen sahen mich erwartungsvoll an. Und so erzählte ich ihnen von der kleinen Besucherin, die mich so hartnäckig geweckt hatte.
„Seit wann gibt es denn in unserem Teil des Waldes Hummeln?“ fragte nun Reifur und kaute wieder einmal auf einem Halm herum. Als ich mich zu ihm umblickte sah ich, dass alle anderen Wichte und auch unsere tierischen Freunde sich inzwischen vor meinem Baum versammelt hatten.
„Snørgl, komm sofort herein!“ hörte ich Stubbur nach mir rufen und augenblicklich eilte ich wieder in meine Baumwohnung zurück.
„Schnell, löse einen halben Teelöffel Zucker in lauwarmen Wasser auf und fülle es hier hinein in dieses Blütenblatt“, forderte er mich auf, sobald ich die Türschwelle überschritten hatte.
„Wofür soll das denn…“, wollte ich noch fragen, doch sein strenger Blick verriet mir, dass ich diese Frage lieber zu einem anderen Zeitpunkt stellen sollte.
Glücklicherweise hatte ich immer etwas Zucker in meinem Schränkchen. Während ich den Zucker in eine kleine Schale füllte, drückte ich Vökull, der hinter mich getreten war, einen kleinen Becher in die Hand und bat ihn mir etwas Wasser zu bringen. Ich habe immer ein Fässlein vor meiner Baumwohnung stehen, in dem ich das Regenwasser sammele. Ich dachte mir, dass die Sonnenstrahlen das Wasser sicherlich bereits etwas erwärmt haben würden. Doch eigentlich hatte ich ihn nicht gebeten, sondern fast schon angebrüllt. Flugs lief er aus der Wohnung und nach seiner Rückkehr nahm ich ihm dankend den Becher ab und goss das Wasser in das Schälchen mit dem Zucker. Schnell löste sich der Zucker in dem warmen Wasser auf. Sorgsam goss ich das Zuckerwasser in das Blütenblatt und brachte es zu Stubbur, der immer noch beruhigend zu Betty sprach und ihr dabei sanft über ihr Köpflein strich. Als ich ihm das Blütenblatt überreichte, nickte er leicht mit dem Kopf und zwinkerte mir zu.
„Betty“, flüsterte er wieder an das kleine Hummelmädchen gewandt. „Sieh nur, Snørgl hat dir Zuckerwasser zubereitet. Bitte, nimm ein paar Schlucke, dann wird es dir schnell wieder besser gehen.“
Dicht gedrängt standen wir nun alle um den Tisch herum: Gulltoppur, Pokki, Léttféti, Gosi, Vökull, Pegjandi, Svipdapur, Tamin, Galdur, Reifur, Djarfur, Styggur, Vegard, Dellingur, Dagbjartur und wen haben wir denn da noch? Ah ja, natürlich Stubbur, der unsere Wunden verarztet und Beschwerden lindert. Als unser Arzt weiß er stets, was zu tun ist.
Er ist so klein und doch so mächtig, wie er da so neben mir steht und die kleine Hummel betrachtet, die über ihren klitzekleinen Fühler das energiebringende Zuckerwasser zu sich nimmt.
Wir alle waren sehr beeindruckt, als wir während unseres letzten Abenteuers erfuhren, dass er und Pokki bereits im Tal der Schmetterlinge gewesen waren und von den Elfen in das Geheimnis der Vanille eingeweiht worden waren.
Auch die anderen warteten gespannt draußen vor meiner Baumwohnung: Kibuz der Kauz, der einen uralten Baum am Ufer des Sees bewohnt, welcher an das Tal der Schmetterlinge angrenzt. Pauri der Papageitaucher, der zusammen mit dem flinken Mink, der Seeadlerdame Halia und ihrem Sohn Sami nach unserem ersten Abenteuer bei uns geblieben waren. Aber wo war denn das Glühwürmchen? So sehr ich auch nach ihr Ausschau hielt, ich konnte es nirgends entdecken. Wahrscheinlich war es bei den Elfen Lýsa, Elin und Sóla im Tal der Schmetterlinge. Mich selbst kennst du ja noch aus den ersten beiden Abenteuern, die wir schon zusammen erlebt haben. Wie hat Tamin mich immer genannt? Ach ja: Snørgl, der lesende Wicht…
„Sie schafft das – sie ist ein tapferes Hummelmädchen“, hörte ich Stubbur wie aus weiter Ferne zu mir sagen.
Gosi der Baumeister
„Hallo“, sagte Betty leise, nachdem sie endlich wieder ihre Augen aufgeschlagen hatte. „Habe ich lange geschlafen?“
„So könnte man sagen“, lächelte Stubbur sie an und war sicherlich genauso erleichtert wie ich, als sie wieder zu sich kam. Stubbur hatte unsere Wichtenfreunde und auch die Tiere wieder nach Hause geschickt, damit Betty sich in Ruhe erholen konnte. Er und ich hingegen hatten den ganzen Tag neben ihr Wache gehalten und sie nicht aus den Augen gelassen. Noch etwas erschöpft schloss sie erneut ihre Augen und… schnarchte sogar ein wenig.
„Woher wusstest du, was ihr helfen würde?“ flüsterte ich Stubbur zu.
„Es ist schon sehr viele Jahre her, da entdeckte ich an einem recht kalten Frühlingsmorgen, ich denke es waren sicherlich nicht mehr als 5 Grad, eine junge Hummel. Sie war sehr schwach und bat mich um Hilfe – genau wie unsere Betty.“
„Wie bitte?“, unterbrach ich ihn verwundert. „Die können bei so einer kalten Temperatur überleben? Ich wusste gar nicht, dass das geht. Von Bienen weiß ich, dass sie erst bei Temperaturen ab 10 Grad Celsius ausfliegen.“
„Da hast du recht. Hummeln erzeugen die zum Fliegen notwendige Körpertemperatur durch Vibration ihrer Brustmuskulatur. Doch hör weiter zu: Die junge Hummel erzählte mir, dass sie eine Jungkönigin war, die nach überstandener Winterruhe nun ein neues Volk gründen wolle. Dazu müsse sie einen geeigneten Platz für das Nest finden. Ich wunderte mich, da ich nicht wusste, dass Hummeln Nester haben. So fragte ich sie, wie diese Nester denn bei den Hummeln aussehen würden. Sie erklärte mir, dass dies zum Beispiel eine kleine Erdhöhle oder ein Mauseloch wie bei den Erdhummeln sein kann. Sie selbst bevorzugt eine Moosschicht oder auch einen hohlen Baumstamm. Als Königin sammelt sie Nektar und Pollen, die sie zu sogenanntem ‚Bienenbrot‘ verarbeitet. Dieses Bienenbrot legt sie in eine aus Wachs gefertigte Zelle und darauf später ihre Eier.“