Im Auftrag der Dunkelheit. Narcia Kensing. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Narcia Kensing
Издательство: Bookwire
Серия: Blutlicht
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095746
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kalte, boshafte Lache erklang. »Komm heraus, ich werde dir nichts tun.«

      »Hallo, kann mir jemand helfen?« Jill rief aus voller Kehle, aber niemand antwortete ihr.

      »Nun, meine Süße, du hast dir keinen guten Platz zum Baden ausgesucht. Hier ist niemand, der dir hilft.«

      Allmählich nahm das Zittern zu, Jill spürte ihre Zehen nicht mehr. Ihr war so kalt, dass sie sich einer Ohnmacht nahe fühlte.

      Es nutzte nichts. Wenn sie weiter auskühlte, war sie dem Rohling erst recht ausgeliefert. Wenn sie stattdessen jetzt herauskam, hatte sie vielleicht noch eine Chance, ihm davonzulaufen. Sie raffte all ihren Mut zusammen und ging auf das Ufer zu. Jetzt konnte sie das Gesicht des Mannes erkennen. Er war wahrlich keine Schönheit. Schulterlanges, fettiges Haar hing ihm wie ein Vorhang ins Gesicht. Seine schmalen Augen fixierten Jills Brüste, als sie auf ihn zukam. Jill bemühte sich nicht, ihre Blöße vor ihm zu verbergen, dadurch hätte sie ihm vermutlich noch mehr Freude bereitet. Obwohl ihre Beine nicht nur vor Kälte zitterten, zog sie sich ans Ufer hinauf und versuchte, so schnell wie möglich die Felsen zu erklimmen und die Straße zu erreichen. Ihre Nacktheit kümmerte sie nicht weiter, abgesehen von dem kühlen Wind, der ihr auf der nassen Haut eine Gänsehaut bescherte. Sie wollte von diesem Ort verschwinden, alles andere war ihr egal. Notfalls würde sie auch nackt nach Hause laufen, auch wenn sie ihrem Vater dann endgültig den Beweis für seine Anschuldigung lieferte, sie würde sich prostituieren.

      Jill hätte sich denken müssen, dass der Kerl sie niemals kampflos würde gehen lassen. Schon spürte sie eine Hand an ihrem Knöchel. Mit dem freien Fuß trat Jill um sich, traf jedoch nur Luft. Mit roher Gewalt zerrte der Mann an ihrem Fuß, bis siel den steilen Hang hinunter glitt. Steine schlugen ihr mehrmals gegen Knie und Ellenbogen, die Haut an ihren Händen schürfte ab. Der Mann griff um ihre Taille, er roch nach Schnaps und Schweiß. Jill stieß einen Schrei aus. Dies war nicht der Moment für falsche Eitelkeiten. Sie wand sich in seinem Arm, trat ihm vor die Beine und krallte sich in seine Haare, doch der Kerl gab nicht auf. Jill rechnete mit dem Schlimmsten. Weshalb nur war sie so unvorsichtig gewesen? Dieser Fehler hätte ihr niemals unterlaufen dürfen.

      »Lass mich los, du Penner!«

      Seine rechte Hand packte und knetete ihre Brust. Ein Ekelgefühl überwältigte Jill, bis ihr übel wurde. Sie wollte nur noch nach Hause.

      Sie hatte die Augen bereits in Erwartung des Unumgänglichen geschlossen, als der Kerl sie plötzlich losließ und ein ersticktes Keuchen ausstieß. Jill taumelte zur Seite und prallte gegen einen Felsen. Im Mondlicht beobachtete sie, wie sich eine weitere Person näherte und dem ungehobelten Rüpel mit der Faust gegen den Kopf schlug. Der Getroffene schrie auf, fuhr sich mit der Hand ins Gesicht und kroch dann den Hang hinauf. Binnen weniger Sekunden war er verschwunden. Jill hörte seine sich entfernenden Schritte auf der Straße. Der Mann, der ihn verjagt hatte, war groß, beinahe ein Riese. Er überragte sie um zwei Kopflängen. Seine Schultern waren breit, seine langen dunklen Haare zu einem Zopf gebunden. Vorsichtig näherte er sich und streckte Jill eine seiner massigen Hände entgegen. Zögernd ließ sie sich auf die Beine helfen. Sie war noch immer nackt, aber niemals zuvor hatte sie sich so erleichtert gefühlt. Sie hob den Blick. Der Mann, der mit einem milden Lächeln im Gesicht vor ihr stand, räusperte sich verlegen.

      »Ich habe deine Rufe gehört.« Seine Stimme glich einem tiefen Schnurren. »Es tut mir leid, das ist sicher keine schöne Situation, um sich kennenzulernen.«

      »Ist schon gut. Danke.« Jill nahm ihre Kleidung vom Boden auf und schlüpfte zuerst in ihre Hose. Wenigstens war ihre Haut mittlerweile trocken. Sie spürte die Blicke des Fremden auf ihrem Körper. Er untersuchte sie mit den Augen, schien jede Narbe und jede Unebenheit in sich aufzusaugen und sich ins Gehirn zu brennen. Es war fast vollkommen dunkel, trotzdem hatte Jill das Gefühl, dass er sie ganz genau beobachtete. Hastig zog sie ihr Hemd über und strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht.

      »Was hast du denn allein um diese Zeit am Hafen verloren? Das ist keine sichere Gegend für eine junge Frau«, sagte er.

      Jill musterte den Mann. Er war gut gekleidet und verströmte einen Geruch nach teurem Parfum. Sie wusste nicht weshalb, aber sie fühlte sich von diesem Koloss keineswegs bedroht. Er strahlte Ruhe und Selbstsicherheit aus.

      »Ich bin im Meer geschwommen. Es war eine dumme Idee.«

      »Allerdings. Aber weshalb mitten in der Nacht?«

      Jill rechtfertigte sich von Natur aus nicht gerne, aber sie glaubte, dass sie ihrem Retter eine Antwort schuldig war.

      »Ich habe auf einen Freund von mir gewartet, aber er ist nicht gekommen. Er wohnt dort oben in der alten Scheune.«

      Jill sah in den Augen des Mannes kurz etwas aufblitzen, das sie nicht zu deuten imstande war. Es war, als läge Wissen in seinem Blick.

      »Er wird bestimmt wiederkommen. Mach dir keine Sorgen.«

      »Ich gehe jetzt besser nach Hause.« Jill verspürte nicht den Drang, sich weiter mit ihm zu unterhalten.

      »Ich könnte dich heimbringen«, sagte er, als Jill sich bereits zum Gehen abwandte. Sie drehte sich noch einmal um.

      »Woher soll ich wissen, ob du nicht die gleichen Absichten hegst wie der Kerl, den du verjagt hast?« Da der fremde Mann ihr von sich aus sofort das du angeboten hatte, sah sie keinen Grund für Höflichkeiten. »Ich weiß nicht, was du für deine Hilfe verlangst, aber ich habe kein Geld. Und ich werde meine Hose nicht noch einmal für dich ausziehen, falls du das dachtest.«

      Der Mann lächelte verlegen. »Nein, das darfst du nicht falsch verstehen. Ich verlange überhaupt nichts von dir. Ich möchte bloß, dass du sicher nach Hause kommst.« Er trat einen Schritt auf sie zu. »Du scheinst ein kesses Mädel zu sein, solche Frauen imponieren mir.« Sein Blick glitt über ihre löchrige Hose. »Zu schade, dass du dich nicht deiner natürlichen Schönheit entsprechend kleidest.«

      Jill schnaubte. »Meine Familie ist arm. Ich kann mir weder teure Kleidung noch Parfum leisten. Ich bin kein Umgang für dich. Und ich kann schnell laufen, ich werde schon allein nach Hause kommen. Mach dir keine Sorgen.«

      Sein Gesicht verzog sich zu einem schelmischen Lächeln. »Kannst du nicht einfach ein Kompliment annehmen? Ist es denn so schwer für dich? Ich wollte nur höflich sein. Mir scheint, dir ist es unangenehm, wenn jemand freundlich zu dir ist. Du musst wahrlich kein schönes Leben führen.«

      Jill verschränkte die Arme vor der Brust und bedachte ihn mit einem anklagenden Blick. »Wenn du höflich wärest, hättest du mir deinen Namen genannt.«

      »Ich entschuldige mich vielmals. Mein Name ist Cryson.« Er deutete eine Verbeugung an. »Und wie heißt du?«

      »Jill.«

      »Ein einfacher, aber kräftiger Name. Freut mich, dich kennenzulernen, Jill.«

      Ihr fehlten zum ersten Mal in ihrem Leben die passenden Worte. Alles, was sie zustande brachte, war ein Nicken.

      »Nun, hübsches Mädchen Jill, wenn du tatsächlich keinen Geleitschutz haben willst, dann lass mich dir wenigstens etwas schenken.« Er steckte seine Hand in die Innentasche seines teuren Mantels und zog einen kleinen Gegenstand heraus. Er blitzte im Mondlicht und war beinahe so groß wie Jills Hand. Wie gebannt starrte sie auf dieses Ding, das aussah, als hätte jemand mehrere Metallröhrchen aneinander geklebt. Er drückte ihr das Teil in die Hand. Es war schwer.

      »Was ist das und was soll ich damit?« Es war ihr unangenehm, etwas geschenkt zu bekommen.

      »Das ist ein Musikinstrument. Eine Flöte.« Er nahm Jills Hand und schloss sie um das Instrument, dann führte er sie sacht an Jills Mund heran. Nach einigen Versuchen schaffte sie es, durch Blasen in das eine Ende des Instruments einen sauberen Ton zu erzeugen.

      »Es ist wunderschön, aber das kann ich nicht annehmen.«

      »Doch, das kannst du. Verliere die Flöte nicht. Sie ist wertvoll. Wenn du wieder einmal Hilfe benötigst, kannst du darauf spielen.« Er zwinkerte ihr zu.

      Jill stieß ein keuchendes