Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754149591
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zurückschritt. „Aber warte nur, Kamerad, den Empfang gestern im heimathlichen Hause und Deine Hartherzigkeit gegen die arme Frau heute tränk' ich Dir jedenfalls ein, und - hahaha - vielleicht kriegen die Frau Steuerräthin und die Frau Commerzienräthin auch ihren Theil ab von dem Spaße. Jedenfalls ist es der tollste Einfall, den ich in meinem Leben gehabt, und der Onkel wird mir am Ende böse darüber. Aber, bah! Zuletzt muß er doch darüber lachen. Und Herr Hobelmann - hahaha - wenn's nur erst Abend wäre!"

      V.

      Der Abend kam, und in den Salons des Regierungsraths Kettenbrock, der ein ziemlich großes Haus machte und brillant eingerichtet war, sammelten sich nach und nach die Gäste, bei deren Empfang Franz Kettenbrock natürlich nicht fehlen durfte. Im Anfang machte ihm das auch Freude, denn er knüpfte da manche alte Bekanntschaft wieder an, und schon lang' vergessene Namen und Gesichter tauchten auf's Neue vor ihm auf und /33/ weckten schlummernde Erinnerungen zu neuem Leben. Als aber die Frau Steuerräthin ihre Tochter und die Frau Commerzienräthin ihre beiden Nichten mitbrachten, und dann noch außerdem ein paar alte adelige Fräulein hereinrauschten, den armen jungen Mann in ihre Mitte nahmen und ihn mit ihren faden, alltäglichen Phrasen todt zu quälen suchten, da erwachte ein Gefühl der Empörung in Franz.

      Ihm zu Ehren ward die kleine Festlichkeit gegeben, und er als Hauptperson wollte und brauchte sich nicht langweilen zu lassen. Im Anfang hatte er allerdings leichte Gewissensbisse über seinen tollen Plan gehabt, und wie sein alter Onkel so vergnügt und glücklich in den hell erleuchteten Räumen umherschritt, und ihm einmal über das andere, wo das nur irgend unbemerkt geschehen konnte, in seiner Freude die Hand drückst, da beschloß er schon das Ganze ungethan und den alten egoistischen Hobelmann ruhig sitzen zu lassen. Aergerte diesen das nicht erfüllte Versprechen, so geschah ihm das gerade recht. Aber Stunde um Stunde verging, und den äußersten Belebungsversuchen des alten Regierungsrathes zum Trotz zog sich die Gesellschaft immer wieder in einzelne steife Gruppen zurück, die nur dann und wann darauf ausgingen, den Havanesen abzufangen und sich anzueignen. Franz hatte auch volle Arbeit, ihnen geschickt auszuweichen oder, wenn wirklich einmal gefaßt, den gelegten Schlingen zu entgehen, mit denen ihn besonders die beiden „Muhmen" verfolgten. Eben war er solcher Art ganz verbittert der Frau Commerzienräthin entschlüpft und stand in einem kleinen Nebenzimmer in tiefen Gedanken, als ihm plötzlich der Onkel seinen Arm unterschob und sagte:

      „Das weiß doch der Henker, in unsere Gesellschaften, wir mögen's anstellen wie wir wollen, ist nun einmal kein Leben zu bringen, und wie ich sehe, ennuyirst Du Dich ebenfalls schmählich."

      „Aber, lieber Onkel, - wie können Sie glauben -"

      „Papperlapapp, ich bin nicht blind. Das langweilige Volk, anstatt Dich mit zu unterhalten, wartet darauf, daß Du ihnen irgend etwas Außergewöhnliches - etwas Havanesisches zum Besten geben sollst, und da stehen sie und thun den Mund /34/ nicht auf, außer wenn sie Dich ausfragen oder heimlich untereinander flüstern und ihre Nebenmenschen lästern. Das Gescheiteste wird sein, ich lasse anfangen zu tanzen, damit nur etwas Bewegung in sie kommt."

      Franz sah schlau vor sich nieder.

      „Und wenn ich nun mit etwas Havanesischem zwischen sie führe?"

      „Das wär' recht," rief der Onkel - „irgend etwas, um Wechsel, um Bewegung in die Sache zu bringen."

      „Aber Sie werden vielleicht böse, Onkel?"

      „Ich? wahrhastig nicht. Wo willst Du denn hin?"

      „Nicht fort - ich bin im Augenblick wieder da. Wie viel Uhr haben wir jetzt?"

      „Es wird gleich halb zehn Uhr sein."

      „Schön, lieber Onkel. So lassen Sie den Ball nur beginnen."

      „Aber den Tanz wirst Du doch eröffnen?"

      „Gewiß, wenn Sie es wünschen. Bis Sie in Ordnung sind, bin ich wieder da. Ich will nur mein Schuhwerk wechseln, denn ich blieb vorhin mit der linken Sohle an einer Schwelle hängen und habe sie mir abgesprengt."

      „Bleib mir nicht zu lange aus. So wie Steuerraths Euphrosine die Gnadenarie und etwa noch „Die schönsten Augen" zu Ende gesungen hat, geb' ich der Tanzmusik das Zeichen."

      Der junge Havanese benutzte den nächsten Moment, um die Thür zu erreichen, und einige ihm nachgeschleuderte Blicke aus schönen Augen nicht achtend, stürzte er hinaus, warf seinen Paletot über und war wenige Secunden später auf der Straße.

      „Wie viel Uhr haben wir, Kutscher?" rief er einer der unten haltenden Droschken entgegen.

      „Gerade schlägt's halb zehn Uhr."

      „Ecke der Kreuzgasse und Neuen Straße! Dort wird ein Herr zu mir einsteigen, dann drehst Du augenblicklich um und fährst hierher zurück - aber nicht an die Front des Hauses. Weißt Du, wo der Garten an der Promenade ausmündet?" /35/

      „Von dem Hause hier? - gewiß - es brennt gerade eine Laterne an der Pforte dort."

      „Dorthin fährst Du, aber nicht den nächsten Weg. Fahr aus dem Emmer-Thor hinaus und das Stück über die Promenade bis an die Gartenthür - verstanden?"

      „Sehr wohl."

      „Hier ist Dein Fahrgeld für beide Touren und laß Dein Pferd ein wenig austraben."

      Der Kutscher, sehr zufrieden mit dem ihm gegebenen Gelde, zog seinem Gaul ein paar tüchtige Peitschenhiebe über und ließ die alte Droschke über das holprige Straßenpflaster rasseln. Es dauerte auch nicht lange, so befanden sie sich an der bezeichneten Ecke, und kaum hielt dort die Droschke, als Herr Hobelmann auch schon, in seinen Mantel gehüllt, erschien.

      „Sie sind außerordentlich pünktlich," sagte er sehr freundlich.

      „In unserer Anstalt muß Alles nach der Minute gehen," erwiderte Franz. - Der Kutscher hatte die erhaltene Weisung wohl gemerkt. Er fuhr hinaus auf die Promenade.

      „Ihre Anstalt liegt außerhalb der Stadt?" sagte Herr Hobelmann.

      „Nein," lautete die Antwort, „nur frisch und luftig am entgegengesetzten Ende derselben."

      „Sie haben doch meinethalben keine Schwierigkeiten gehabt?"

      „Nicht im Mindesten - das heißt bis jetzt noch nicht. Lassen Sie sich nur nicht das Geringste merken, daß Sie eine Ahnung davon haben, wo Sie sich befinden. Die Leute wollen natürlich nicht, wie Sie sich wohl denken können, für Verrückte angesehen werden. Mit den verschiedenen Persönlichkeiten und ihren Eigenthümlichkeiten werde ich Sie unter der Hand bekannt machen. Sie sind doch Ihres Versprechens eingedenk gewesen und haben zu Hause nichts erwähnt?"

      „Sie können sich auf meine Diskretion verlassen. Aber wenn mich der Oberarzt bemerkt?"

      „Ich habe Ihnen schon gesagt," erwiderte Franz, „daß derselbe mein Onkel ist, und dem muß ich Sie natürlich gleich /36/ vorstellen, sobald wir eingetreten. Er hat das Fest arrangirt und sämmtliche Irrsinnige sind von ihm nach aller Form der Etikette eingeladen worden. Jeder betrachtet sich deshalb vollkommen in seinem Recht, und da die Anstalt ziemlich kostspielig ist und nur Geisteskranke aus den höheren, wenigstens bemittelten Ständen aufnimmt, so dürfen Sie sich auch auf glänzende Toiletten gefaßt machen."

      „Ich bin auf's Aeußerste gespannt," versicherte Herr Hobelmann.

      „Und da sind wir schon," sagte Franz, während er vorn an das Droschkenfenster klopfte. „Bitte, folgen Sie mir so rasch Sie können, denn ich habe mich schon eigentlich etwas über meine Zeit aufgehalten." Die Droschke hielt, und Franz Kettenbrock, der seinem Begleiter so wenig als möglich Zeit zum Umschauen gönnen wollte, sprang behend aus dem Wagen und in die Gartenthür. Herr Hobelmann folgte ihm eben so flink, und bald betraten sie das innere Haus und erstiegen die mit Teppichen belegte Treppe.

      „Das sieht ja hier ganz vornehm aus," flüsterte Herr Hobelmann - „und alle die harrenden Diener da?"

      „Sind theils Wächter, theils nur für den Abend von dem Magistrat entlehnte Polizeidiener, die sich hier aufhalten, um einer möglichen Unordnung vorzubeugen," erwiderte Franz. „Natürlich würden sie die Kranken,