„Wenn wir was?" frug der Jüngere gespannt und drehte sich halb nach seinem älteren Gefährten um.
„Ei zum Teufel, wenn wir uns eben noch unnützer Weise abquälten!" - setzte dieser rasch und wild hinzu. - „Es sind doch nur Unitarios und dürfen nie nach der Republik zurückkommen. Ueberdies steht mir der Himmel da drüben im Südwesten ebenfalls nicht so richtig aus. - Kriegen wir hier einen Temporale, so sind wir geliefert, und - ich meinestheils bin fest entschlossen, diesen Augenblick meinen Rückweg anzutreten - gehst Du mit?"
„Du hast mir die Gedanken aus der Seele gelesen," lachte der Jüngere - „mag der Inglese sehen, wie er über die Berge kommt - wir lassen ihm überdies unser charque3 in der Hütte zurück, und sie dürfen sich nicht beklagen, daß sie nichts zu essen hätten. Aber komm, die Zeit vergeht, und es ist bitter kalt hier oben. Wenn wir uns tüchtig in Trab setzen, können wir die estancia noch bei guter Zeit morgen früh erreichen."
„War mir's doch, als ob ich da vorn ein Geräusch wie von knirschendem Schnee hörte," sagte der Alte da plötzlich /87/ und schützte seine Augen mit dem Arme gegen den blendenden Schein der weißen Decke - „da wieder."
„Mir kam es auch erst so vor," sagte der Jüngere, seinen Poncho um sich herziehend und dann niederknieend, um das eine Schaffell, das er sich der Kälte wegen um seine Füße gewickelt, etwas fester zu binden, „aber es wird der puma4 sein, der vor etwa einer halben Stunde quer vor mir über den Schnee sprang und hinunter nach dem Wasser zu hielt. Rosas müßte einen tüchtigen Preis auf das Einbringen unserer Gesellschaft gesetzt haben, wenn er die Gauchos bis hier in den Schnee hinter ihnen her treiben könnte. - So," - rief er dann, indem er, seine Fußbekleidung in Ordnung gebracht, wieder in die Höhe sprang und den Hut in die Stirn drückte - „jetzt bin ich fertig, und nun können wir doch sagen, daß wir unsern Weg bis hierher ganz anständig bezahlt bekommen haben."
Felipe antwortete nichts, horchte nur noch einmal zurück, wo sie Die, die ihrer Treue viel zu gutmüthig vertraut hatten, ohne Ahnung zurückließen, daß die Führer und Wachen sie verrätherischer Weise im Stich ließen, und schritt dann dem Gefährten rüstig voraus durch den tiefen Schnee, um sobald als möglich die von diesem freie Passage wieder zu erreichen und von da ab rasch dem wärmeren Thal zueilen zu können.
„He, Felipe, rief's da nicht hinter uns?" sagte, stehen bleibend, plötzlich der junge Bursche.
„Was kümmert's Dich?" brummte aber, die Schritte eher noch dadurch beschleunigend, der ältere Gefährte; „laß sie schreien, aber mach', daß Du aus Schußweite -"
Seine Rede wurde hier auf etwas rauhe Art unterbrochen, denn neben ihm, wie aus dem Schnee heraus, sprang eine Gestalt, flog ihm nach der Kehle und hatte ihn auch im nächsten Moment, ehe er nur daran denken konnte nach seinem Messer zu greifen, zu Boden geworfen, wo er wie in einen /88/ Schraubstock eingeklemmt und regungslos dalag, „Asistencia!" wollte er rufen, aber schon bei dem ersten Laut blitzte ein blanker Stahl vor seinen Augen, und der Ruf erstarb ihm auf den Lippen. - Sein Angreifer sprach kein Wort - lautlos, doch mit riesiger Kraft hielt er ihn zu Boden. Wenige Minuten später hörte Felipe, daß sich Jemand näherte, gleich darauf fühlte er sich selber von noch Anderen gefaßt und aufgehoben, und als sie den nächsten Felsenvorsprung erreicht und hinter sich hatten, fand er sich plötzlich zu seinem Erstaunen ganz frei neben seinem jüngeren Gefährten stehend, der auf gleiche Weise überwältigt worden sein mußte, und nur sein erster Angreifer sagte mit leiser, aber nichtsdestoweniger drohend genug klingender Stimme:
„Du bist alt genug zu wissen, compañero, daß wir keinen Spaß verstehen – verhalte Dich ruhig und sag' uns, was Du weißt, und Du hast für Dich selber nichts zu fürchten; mache dagegen einen einzigen Versuch zu fliehen, oder uns zu verrathen, und Du bist ein Kind des Todes."
Der alte Peon, der seine Arme kaum frei fühlte, griff fast unwillkürlich nach seinem Gürtel zurück, das Messer zu fühlen. Der Fremde, der die Bewegung bemerkte, sagte jedoch mit kaltem, fast höhnischem Lächeln:
„Es ist in guten Händen - könnte Dir selber aber auch jetzt nur Schaden thun. Wir wissen überhaupt Alles, und Ihr Beiden mögt es unserer guten Laune, Euch hier in der Falle zu wissen, zuschreiben, daß unsere Messer nicht schon lange, und statt aller weiteren Umstände, mit Euren Kehlen Bekanntschaft gemacht haben."
„Und weshalb?" - frug jetzt der Alte, der seine Geistesgegenwart rasch wiedergewonnen und nun aus ihrer Lage soviel Vortheil als möglich zu ziehen suchte - „etwa weil wir Euch heut Abend in unserer Nähe spürten und uns nach kurzer Beratschlagung aufmachten, Euch unsere Hülfe und Arme anzubieten? - Ich dachte allerdings nicht, daß Ihr so zahlreich wäret," setzte er dann langsamer hinzu, indem sein Blick rasch die ihn umgebende Schaar, vierzehn oder fünfzehn /89/ drohende Gestalten, überflog - „aber wenn Ihr uns nicht braucht, ist damit nicht gesagt, daß wir den Tod verdient hätten."
„Der Teufel traue Dir nur, compañero," lachte der Anführer der mashorqueros - „doch ich will sehen, inwieweit Du wenigstens jetzt aufrichtig bist; so beantworte vor allen Dingen meine Fragen kurz und treu, wir haben weder Zeit noch Lust, Ausweichungen oder Unbestimmtes zu hören - also: haben die Flüchtlinge Feuergewehre und sind sie gut bewaffnet?"
„So ziemlich," erwiderte Felipe, der nicht den mindesten Grund sah, irgend etwas geheim zu halten, dem gefährlichen Burschen die Sache aber auch nicht wollte zu schwierig erscheinen lassen, um ihn bei guter Laune zu erhalten - „ihre Waffen sind wohl gut, aber ich glaube kaum, daß irgend Einer von ihnen, den jungen Engländer ausgenommen, ordentlich verstehen wird damit umzugehen. Don José, weiß ich gewiß, kann kaum seine Pistolen wieder laden, wenn er sie erst einmal abgeschossen."
„Wo haben sie ihre Gewehre?" fragte der Gaucho zurück.
„Neben sich auf der Erde liegen," sagte Felipe.
„Und ist es nicht möglich, die unschädlich zu machen?"
„Unschädlich?" brummte der Peon - „der junge cringo5 schläft mit einem Auge offen und seine Pistolen hat er gespannt in der Hand - ich bin fest überzeugt, er selber hält jetzt schon, sollten sie uns vermißt haben, Wache, und kein Fuchs könnte sich ungesehen hin zur Hütte schleichen."
„Gut," sagte der Henker nach kurzer Pause und Ueberlegung - „ich will Euch Beiden Gelegenheit geben zu beweisen, daß Ihr mir, als wir Euch überraschten, die Wahrheit gesagt habt und es redlich mit uns und der Federacion meint. Einer von Euch, und dazu wird der Aelteste am /90/ besten passen - kehrt augenblicklich, als ob nicht das Geringste vorgefallen wäre, in die Hütte zurück - eine Ausrede habt Ihr bald. - Ihr glaubtet, irgendwo etwas gehört zu haben und wäret recognosciren gegangen. - Du legst Dich zum Schlafen nieder, als ob Alles sicher sei, und bemächtigst Dich, wenn die Fremden wieder schlafen, der Gewehre und des Pulvers. Ist es möglich, so wird es am besten sein, dem Engländer vor allen Dingen den Schädel einzuschlagen - es wäre für Dich dann auch die Gefahr beim Entfliehen mit den Waffen nicht halb so groß, und nachher haben wir leichte Arbeit."
„Und das würde lohnen?" - frug der alte Peon lauernd.
„Ah, Du verlangst auch noch Lohn außer dem Geschenk Deiner eigenen Kehle!" lachte der Henker. „Du bist unverschämt, alter Bursche; aber es sei. Machst Du die Burschen unschädlich, so sollt Ihr Beide Euren Antheil von dem, was wir bei ihnen als Beute finden, haben, aber jetzt auch rasch, denn der dämmernde Morgen muß uns, nach vollbrachtem Geschäft, auf dem Heimweg sehen."
„Gut," sagte der alte Peon, mit der Hand nachdenkend sein Kinn streichend - „dann darf ich aber nicht gehen, sondern Pedro da, mein compañero, muß zur Hütte zurückkehren. Ich war gerade ausgerückt, um ihn von seiner Wache abzulösen, und käme ich statt seiner wieder, so schöpften die Fremden augenblicklich Verdacht."
„So laß uns Beide gehen," meinte Pedro rasch - „unter irgend einer Ausrede -"
„Danke, danke," unterbrach ihn aber der Henker lachend, „Einen von Euch wollen wir doch lieber als Geißel zurückbehalten - nicht etwa daß ich glaubte, der Andere würde sich viel daraus machen ihn im Stiche zu lassen,