„Wad jeht dir det an?“, entgegnete sie.
„Für Sie immer noch SIE.“
„Ach nee. Wad sind wir heute wieder etepetete.“
„Nur korrekt“, korrigierte Kullmann. „Das Hotel war nicht billig. Da kann man schon ein Publikum mit Manieren erwarten.“
Die anderen deutschen Gäste stimmten Kullmann lautstark zu.
„Ikke hab alles bezahlt. Also kann ikke hier machen, wad ikke will. Iss det klar?“
„Nicht so hastig, Frau ?“ Damit wollte Kullmann erfahren, mit wem er das unfruchtbare Gespräch führte.
„Adele Deubler, un det iss mei Kleener, der Manni.“
„Manfred Deubler“, stellte sich der kräftige Mann vor.
„Frau Deubler. Wir gehen davon aus, dass hier alle bezahlt haben“, beendete Kullmann seinen Satz.
Adele Deubler verstummte endlich. Stattdessen zündete sich die kleine Frau eine Zigarette an und paffte eine dicke Rauchschwade in die Luft.
Die kleine Gruppe von zwölf Touristen steuerte die Treppe mit schmiedeeisernem Geländer an. Zwei ältere Ehepaare bildeten den Abschluss. Sie waren so sehr in ihre Bewunderung für das Ambiente vertieft, dass sie den Anschluss verpasst hatten.
Kullmann schloss sich ihnen an, gemeinsam besprachen sie die mit Kunstmalereien gestalteten Wände und Decken, als seien sie vom Fach, was Anke ein Lächeln entlockte.
„Ist das Ihr Enkelkind?“, fragte eine der beiden Damen nachdem sie im zweiten Stock angekommen waren, wo ihnen ihre Zimmer gezeigt wurden. Dabei schaute sie auf Lisa.
Zunächst überlegte Kullmann, was er darauf antworten sollte, da kam ihm Anke zu Hilfe. „Ja. Wir machen einfach einmal einen Drei-Generationen-Urlaub. Mal sehen, wie das funktioniert.“
„Wie schön“, jubelten die beiden Damen gleichzeitig los und steuerten zielstrebig auf das kleine Mädchen zu.
Lisa reagierte gereizt auf die fremden Frauen. Sie war müde. Lustlos hing sie in Ankes Arm und begann lautstark zu quengeln.
„Wad een Jetue um so eene Jöre“, schimpfte Adele Deubler lautstark. „So wad kann nur den Urlaub verderben.“
„Sie lieben Kinder wohl nicht?“, stellte eine der alten Damen entrüstet fest.
„Nee, det tu ikke mir nischt an.“
„Aber Sie waren doch auch mal ein Kind. Haben Sie das schon vergessen?“
„Det iss wohl det dümmste, wad ikke jehört habe, nisch war mei Kleener“, richtete Adele Deubler sich an ihren Mann. Der nickte zustimmend.
„Was für ein ungehobeltes Volk.“
„Bild dir bloß nischt ein, Alte. Wer hier dumm ist, det iss wohl klar. Schau dir nur im Spiegel an.“
Kullmann schob sich zwischen die beiden streitenden Damen, um das unangenehme Gespräch zu beenden.
„Genug der Freundlichkeiten. Schauen wir uns die Zimmer an.“
„Nach dem ersten Eindruck bin ich sicher, dass unsere Zimmer wundervoll sein werden“, schwärmte die alte Dame dankbar dafür, dass Kullmann das Streitgespräch beenden konnte.
„Und nachdem Lisa geschlafen hat, wird sie sich von ihrer besten Seite zeigen“, versprach Anke.
„Entschuldigen Sie unser aufdringliches Benehmen, aber wir hatten leider nicht das Vergnügen, eigene Kinder zu bekommen. Umso mehr freue ich mich, dass wir so ein reizendes Kind in unserer Mitte haben. Ich heiße Gertrud Ossom, das ist mein Mann Arthur.“
Arthur begrüßte Anke mit einem festen Händedruck, dass Anke befürchtete, er würde ihre Hand zerquetschen.
Die Freundin Agnes Gebauer trat schnell hervor, um sich und ihren Mann Hugo ebenfalls vorzustellen. Nach dem ausgiebigen Händeschütteln fühlte sich Anke erleichtert, als sie endlich Kullmann und Martha ins Zimmer folgen konnte. Es war groß, hell und – wie das Foyer auch - mit antiken Möbeln ausgestattet. Durch eine Seitentür ging es weiter. Dort befand sich Ankes Refugium für die kommenden sieben Tage. Was Anke am besten gefiel war die Verbindungstür. So konnten sie immer miteinander kommunizieren und gleichzeitig jeder seinen eigenen Raum für sich genießen.
Kapitel 2
Ankes Arm schmerzte. Sie öffnete die Augen, wollte ihn anheben, doch der Arm bewegte sich nicht. Verwundert schaute sie auf und erkannte, dass Lisa darauf lag. Im gleichen Augenblick öffnete Lisa die Augen und schaute Anke an. Vergessen war der Schmerz.
Anke streckte sich und gähnte herzhaft.
Lisa tat es ihr nach, streckte sich mit genau den gleichen Bewegungen wie ihre Mutter und gähnte ebenfalls mit weit aufgerissenem Mund.
„Jetzt geht’s uns besser“, stellte Anke fest.
Lisa nickte.
Bevor Anke begann, ihre Koffer auszupacken, stellte sie sich ans offene Fenster. Ihr Blick fiel auf ein altes, graues Haus.
Zum Glück war es niedrig. Über das Dach hinweg konnte sie bis zum Meer hinausblicken. Das Geräusch von kreischenden Möwen erfüllte die Luft. Überall schwirrten die großen, weißen Vögel herum - über dem Wasser, den Bäumen, den Häusern.
Sie hob Lisa hoch, damit sie es auch beobachten konnte.
Lisa war vom Anblick des Meeres begeistert, für die Möwen hatte sie keinen Blick übrig. Anke hatte Mühe, sie noch länger auf dem Arm zu halten. Die Kleine wollte nur noch ans Wasser. Anke verschloss das Fenster, begab sich ins Badezimmer, wo sie sich frisch machte. Als sie zurückkehrte, saß Martha bei Lisa und spielte mit ihr.
„Wir haben das Hotel erkundet“, berichtete sie. „Auf dem Dach gibt es eine schattige Terrasse. Dort könnten wir etwas essen, bevor wir uns die Stadt ansehen.“
„Lisa will zum Strand.“
„Bis zum Strand ist es weit. Die Stadt Rovinj ist von Hafengelände umgeben“, erklärte Martha.
„Aber von meinem Fenster aus kann ich ihn doch sehen“, widersprach Anke.
Martha ließ sich die Aussicht zeigen.
„Das sieht wirklich verlockend aus, liebe Anke. Aber es täuscht. Ich schlage vor, wir gehen hinauf auf die Dachterrasse. Von dort können wir alles viel besser überblicken.“
Die Terrasse wurde zum größten Teil von einem massiven Dach abgedeckt und bot genügend Schatten für alle. Auf der Seite, die zum Hafen zeigte, standen Liegestühle unter freiem Himmel. Ein Lüftchen zog hindurch. Die Temperaturen waren angenehm.
Die beiden älteren Ehepaare hatten sich schon ein schattiges Plätzchen gesichert. Vor ihnen standen kühle Getränke.
Das Berliner Ehepaar Manfred und Adele Deubler ging alle Ecken ab, um die Aussicht zu überprüfen. Als der Mann sich umdrehte, rülpste er laut.
Anke erschrak. Lisa bekam ganz große Augen. So etwas hatte sie noch nicht gehört.
Agnes Gebauer schimpfte: „Sie haben wohl nicht gelernt, wie man sich benimmt.“
„Ach je, Ach je“, äffte er die alte Dame nach. „Sind wir hier in der Benimmschule oder im Urlaub?“
„Benehmen sollte man sich überall, egal, wo man sich befindet.“
„Ikke hör mir nischt det Jetue einer ollen Schachtel an“; brummte er. „Wenn ikke rülpsen muss, weil der Fraß mir in der Wampe liegt, denn tu ik det.“
Damit war für ihn das Thema erledigt.
Kullmann,