"Ich weiß wirklich nicht, wovon du redest, Anasy."
"Ich rede davon, dass wir euch Psychopathen beim letzten Zusammentreffen gewaltig den Arsch versohlt haben. Und, dass wir dir gesagt haben, hier nie wieder lebend aufzutauchen."
"Das hat mich schon damals nicht interessiert und tut es auch jetzt nicht. Ihr seid doch nur zwei Inzest-Missgeburten."
"Und dein Vater ist, wie wir alle wissen, eine Kröte. Da wir nun genügend Höflichkeiten ausgetauscht haben, solltet ihr besser abziehen. Sonst schnüre ich dir die Luftzufuhr ab, bis du blau und grün anläufst."
"Das kannst du?", wollte Rakun von Ysana daraufhin wissen. "Das will ich sehen."
"Halt deine dämliche Fresse, du hirnloser Einzeller!", fauchte Wulff den muskulösen Jugendlichen an. "Und was willst du machen, wenn wir nicht gehen?", wendete er sich jetzt an Ysana.
"Möchtest du das wirklich erleben?", fragte diese zurück. Wulff war nicht clever genug, sich an Details des letzten Zusammentreffens zu erinnern. Daher verstand er auch nicht ihre Anspielung. Er hörte nur diese flüsternde Stimme.
"Kommt, Leute. Helfen wir ihnen, den Jungen in die Feuerwache zu bringen, damit sie sich dort um ihn kümmern können. Danach gehen wir wieder." Roquet und Rakun schauten sich fragend an. Sie hatten ja vieles von ihrem Anführer erwartet. Nicht aber, dass er sie aufforderte den beiden zu helfen. Trotzdem taten sie, wie man ihnen gesagt hatte. Sie hoben Neniu vom Boden auf, legten sich seine Arme um die Schultern, sodass er zwischen ihnen zum Stehen kam und begaben sich in Richtung des Gebäudes hinter ihnen.
"Was soll das, ihr Vollaffen?", brüllte Wulff hinter ihnen her.
"Du hast doch eben gesagt…", begann Roquet eine Erklärung. Doch weiter kam er nicht. Wulff rannte laut schreiend wie ein Berserker auf Anasy zu. Seine Arme waren ausgestreckte und seine Hände schienen nach etwas greifen zu wollen. Zum Beispiel nach Anasys Hals. Nur wenige Zentimeter, bevor er sein angepeiltes Ziel erreichen konnte, blieb er plötzlich stehen, als wäre er vor eine Wand gelaufen. Wie von einem Schlaganfall getroffen, konnte der Anführer auf einmal keines seiner Glieder mehr bewegen. Noch nicht einmal seine Augenlider ließen sich schließen. Er war verdammt dazu in das grinsende Gesicht von Anasy zu blicken, den er so gerne umbringen wollte. Er dachte daran, wie er an sein Messer kommen könnte, welches hinten in seinen Gürtelschlaufen steckte, um es dann dieser grinsenden, kleinen Made in den Bauch zu rammen. Statt etwas zu unternehmen, sahen sich seine Begleiter das Schauspiel nur an. Innerlich vermutete Wulff, dass die beiden zusammen nicht genügend Hirn besaßen, um zu erkennen, was gerade passierte. Neniu hielten sie dabei immer noch zwischen sich fest. Nach gut einer Minute, in der sich die Szenerie nicht veränderte, beschlossen Roquet und Rakun die letzte Anordnung ihres Führers weiter zu befolgen. Sie drehte sich von dem Geschehen weg, um den Jungen weiter in Richtung Feuerwache zu tragen. Ysana schaute ihnen nach. Unerwartet löste sich alles wieder auf und Wulff konnte sich erneut frei bewegen. Verstört wanderte sein Blick von Anasy zu Ysana weiter zu seinen zwei Begleitern, welche das Gebäude fast schon erreicht hatten. Schließlich blieben seine Augen auf dem Mädchen hängen.
"Hexe", war alles, was er sagte.
"Was habe ich denn gemacht?", fragte Ysana verständnislos. Sie hatte offensichtlich nicht die geringste Ahnung, warum Wulff meinte, sie wäre für irgendetwas verantwortlich.
"Oh doch. Das warst du. Ich weiß es." Eine kurze Pause entstand. "Du verdammte Schlampe. Eines Tages werde ich dich auseinander nehmen. Und dann wirst du es bereuen." Sein Gesichtsausdruck war voller Hass und fester Überzeugung.
"Du bist doch wirklich ein Psycho mit Wahnvorstellungen."
"Wenn du es nicht bist, dann muss es dein Bruder sein. Egal. Ich werde euch beiden ein Ende setzten. Und dann werde ich euch ausnehmen, wie einen Fisch. Danach hänge ich alles hier auf, zusammen mit euren Köpfen, damit mir nie wieder jemand Widerstand leistet."
"Du bist doch krank, Wulff", bemerkte Anasy trocken. "Hörst du dir eigentlich manchmal zu, wenn du redest? Das ist doch nicht normal. Frag doch mal deinen Boss, die Kröte, nach einem guten Therapeuten. Das kann dir wirklich nur helfen."
"Werdet ihr wohl endlich mal diesen Krüppel fallen lassen und zurückkommen?", brüllte Wulff den beiden hinterher, die immer noch dabei waren, Neniu zu tragen. Roquet und Rakun schauten sich an, zuckten mit den Schultern und ließen den Jungen fallen. Dann kehrten sie um.
"Wenn ich euch das nächste Mal treffe, dann mitten zwischen die Augen." Der Anführer machte eine Kehrtwende. Ohne auf seine Begleiter zu warten, ging er los. Seine Wut war dermaßen groß, dass er jetzt schon wusste, der nächste, der ihm begegnete, würde in einem Krankenhaus aufwachen. Oder auch gar nicht mehr.
Als Roquet und Rakun die Zwillinge passiert hatten, gingen diese zu Neniu, hoben ihn auf, um ihn dann in die zweite Etage des Gebäudes zu bringen, wo sie lebten. Mit Wasser und einigen feuchten Lappen fingen sie an ihn zu reinigen. Dann kümmerten sich die beiden, so gut sie konnten, um die entstandenen Wunden. Die Psychopathen hatten dem Jungen ganz schön zugesetzt. Die Platzwunde am Kopf hatte sich noch weiter geöffnet. Am Oberkörper waren einige Blutergüsse dazu gekommen. Ysana betrachtete sich auch die alten blauen Striemen und Flecken, die sein Körper aufwies.
"Der Junge muss wohl so einiges durchgemacht und eingesteckt haben", sagte sie zu ihrem Bruder, der zustimmend mit dem Kopf nickte.
"Hoffentlich übersteht er das hier,"
"Meinst du, wir sollten ihn zu Tandra zurückbringen?", wollte sie jetzt von Anasy wissen.
"Ich weiß nicht, ob er die Strapazen überlebt. Ich glaube, es ist besser, wenn er sich erst einmal bei uns erholt."
"Oder sollten wir sie herholen?"
"Wie gesagt, gib ihm zunächst etwas Zeit. In ein oder zwei Tagen sehen wir weiter. Ich glaube nicht, dass er sterben wird. Ich mache mich mal auf den Weg und besorge etwas zu Essen für unseren Patienten."
"Pass aber auf Wulff auf. Sein geistiger Zustand nimmt immer mehr ab."
"Dafür ist nur diese Kröte verantwortlich. Zu schade, dass wir gegen die nichts unternehmen können."
"Das würde nur dazu führen, dass irgendein anderes Ungeziefer diese Position einnimmt. Und wer weiß, was dann passiert." Anasy nickte resignierend, aber zustimmend, bevor er den Raum verließ. Ysana blickte noch lange auf den beinahe leblosen Körper auf der anderen Seite des Zimmers. Sie hatten Neniu auf eine alte Matratze gebettet und mit einer Decke zugedeckt. Der Junge atmete nur flach. Hoffentlich kein schlechtes Zeichen, dachte sie.
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