»Ich weiß es nicht. Ich habe ihn seit gestern morgen nicht mehr gesehen!«, antwortete sie wahrheitsgemäß. Sie hatten schon oft über seine Pläne gesprochen. Aber sie war immer die Unentschlossene gewesen. Und Peter wollte nicht ohne sie gehen. Eigentlich ...
»Ich frage Sie noch einmal: Wo ist Peter Dreschers?«
»Ich weiß es wirklich nicht«, wiederholte sie.
»Sie wollen uns also ernsthaft erzählen, dass sie nicht darüber informiert waren, dass ihr Verlobter einen Fluchtversuch unternommen hat?« Die Schärfe in der Stimme des Mannes hatte zugenommen.
»Fluchtversuch? Wovon reden Sie da eigentlich?« Doch es klang längst nicht so überzeugend, wie sie es wollte. Außerdem stieg langsam Panik in ihr auf. War Peter die Flucht gelungen oder saß sie hier, weil sie ihn geschnappt hatten? Die Art, wie der Beamte fragte, ließ Vermutungen in beide Richtungen zu.
»Ich wiederhole meine Frage noch einmal, Fräulein Schneider. Sie wissen weder, wo sich Peter Dreschers zurzeit befindet, noch haben Sie jemals mit ihm über eine Flucht aus der DDR gesprochen?«
»Nein, ich weiß nichts darüber«, blieb sie bei ihrer Version.
»Natürlich ist Ihnen auch nicht bekannt, dass Peter Dreschers bei Heldra, wo ihr Verlobter zufällig für die Instandhaltung der Grenzschutzanlage verantwortlich ist, versucht hat, die Grenze zu übertreten? Er hat nie mit Ihnen darüber gesprochen?« Die Augen des Mannes waren jetzt zu Schlitzen verengt.
»Nein, das hat er nicht!«, sagte sie verzweifelt. Und auch das entsprach der Wahrheit. Peter hatte sie offenbar schützen wollen, indem er ihr nichts erzählt hatte.
»Dann wissen sie natürlich auch nicht, ob ihm jemand bei dem Versuch geholfen hat?«
»Nein, verdammt noch mal. Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass ich nichts darüber weiß. Wie geht es Peter denn? Geht es ihm gut?«
»Wir gehen davon aus, dass er auf bei dem Fluchtversuch ertrunken ist«, erwiderte der Vernehmer, der keine Miene verzog.
»Das ist gelogen«, gab sie schließlich trotzig zur Antwort. »Wenn Peter tot wäre, würde ich nicht hier sitzen«, fuhr sie mit einem triumphalen Lächeln fort.
»Wer war in die Fluchtpläne Ihres Verlobten eingeweiht, Fräulein Schneider?«, wiederholte der Mann, ohne auf ihre letzte Bemerkung einzugehen.
»Und wenn Sie mich noch hundert Mal fragen, ich weiß nichts darüber. Und selbst, wenn ich etwas wüsste, würde ich Ihnen nichts über die Einzelheiten erzählen«, erwiderte Biggi trotzig, die in diesem Moment wusste, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Der Mann ihr gegenüber zündete sich daraufhin eine Zigarette an, zog einmal daran und mit einer schnellen Bewegung, die Birgit Schneider nicht mal im Ansatz erahnt hatte, packte er ihr Handgelenk der rechten Hand. Was dann folgte, war ein Schmerz, wie sie ihn nie zuvor erlebt hatte.
Kapitel 13
Mittwoch, 20. September 2017, abends
Geduldig saß die Spinne an der Bar des Belvederes. Das Belvedere befand sich in einem alten Wasserturm auf dem als Ausflugziel beliebten Lousberg in Aachen. Der Lousberg im Norden der Stadt war neben dem Salvatorberg und dem Wingertsberg der höchste Berg Aachens und schon zur napoleonischen Zeit diente er als Ausgangspunkt der topografischen Aufnahme des Rheinlandes. Einer Sage nach verdankten die Aachener den Lousberg dem Teufel selbst. Weil den Stadtbewohnern beim Dombau das Geld ausgegangen war, schlossen sie einen Pakt mit dem Höllenfürsten. Sie erhielten Gold und versprachen im Gegenzug dem Teufel die Seele des ersten Lebewesens, das den Dom betrat. Von den Aachenern betrogen, weil sie einen Wolf in den Dom hinein jagten, wollte sich der Teufel rächen. Er sammelte an der Nordseeküste Sand, packte ihn in große Säcke und trug sie Richtung Aachen. Auf dem Weg ermüdet von der schweren Last, wurde er abermals von einer schlauen Aachenerin getäuscht, die ihm weismachte, dass er noch einen langen Weg vor sich hatte. Er ließ den Sand kurzerhand da, wo er gerade rastete, und so entstand der Legende nach der Lousberg. Doch all das interessierte die Spinne nicht im Geringsten. Sie war nicht wegen der tollen Aussicht hier. Oder wegen der Geschichtsträchtigkeit des Ortes. Sie war nur aus einem einzigen Grund im Belvedere. Um sich auf die Lauer zu legen. Zu diesem Zweck hatte sie ihr Netz schon längst gespannt. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich das ahnungslose Opfer näherte, sich in ihrem Netz verfing, um anschließend durch eine tödliche Giftinjektion zu sterben. Sie lächelte bei dem Gedanken daran. Und dann war der Moment gekommen. Doktor Michael Lessing hatte sein Abendessen in seinem Stammrestaurant beendet und wollte gerade gehen. Auch die Spinne erhob sich in diesem Moment von ihrem Barhocker und bewegte sich Richtung Ausgang. Sie inszenierte einen Zusammenprall, der Rest war ein Kinderspiel. Ein koketter Blick sowie ein paar schmeichelnde Worte reichten aus und er nahm ihre Einladung auf einen Entschuldigungsdrink dankend an. Eine Stunde später waren sie schon auf dem Weg zu seinem Haus in der Aachener Innenstadt. Im Belvedere würde man sich an eine hübsche Blondine mit langem Haar erinnern. Der letzte Akt begann.
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