Raban und Röiven Eine magische Freundschaft. Norbert Wibben. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Norbert Wibben
Издательство: Bookwire
Серия: Raban und Röiven
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742781185
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unschlüssig, ob sie sich geschlagen geben sollen. Wenn das die anderen aus der Klasse erfahren, ist ihre bisherige Überlegenheit in Gefahr. Doch dann geschieht das Unerwartete. Sie grummeln leise etwas vor sich hin, zucken mit den Schultern, drehen sich um und schlurfen davon. Alexander blickt sich noch einmal kurz um, spuckt hinter sich auf den Boden und murmelt wütend:

      »Weichei, Mädchen!«

      Raban atmet auf. Das war aber knapp. Er hatte den Atem angehalten und nicht zu hoffen gewagt, diesen Sieg zu erringen.

      Langsam dreht er sich zum Weißdorn-Gebüsch um und traut seinen Augen nicht. Der Kolkrabe kommt aus dem Schutz des Gebüschs hervor und befindet sich nun ganz in seiner Nähe. Der Junge geht in die Hocke. Ihre Blicke begegnen sich. Plötzlich hört er eine knarzige Stimme:

      »Danke! Du hast mich gerettet.«

      Erschrocken fährt Raban hoch und blickt sich um. Aber der Vogel und er sind die einzigen Lebewesen hier.

      »Spinne ich?«, rätselt der Junge, als er erneut die Stimme wahrnimmt.

      »Nein, Raban. Du spinnst nicht. Du hörst meine Stimme in deinem Kopf, so wie ich deine Gedanken hören kann. Du hast Recht. Ich bin ein Kolkrabe, so wie ihr Menschen unsere Art nennt. Mein Name ist Röiven. Ich bin dir sehr dankbar, wenn du mir helfen und meinen Flügel wieder richten kannst. Mittlerweile sind die Schmerzen schon unerträglich.«

      In diesem Moment schließt der Kolkrabe seine Augen und kippt auf die Seite.

      Obwohl Raban sprachlos darüber ist, was der Vogel zu ihm gesagt hat, reagiert er sehr schnell. Er fängt ihn auf, bevor er den Boden berührt. Vorsichtig erhebt er sich mit dem Tier in seinen Armen und rennt in Richtung des Dorfes.

      »Kann ich wirklich den Vogel gehört haben?«, überlegt der Junge. »Falls das möglich sein sollte, werde ich davon lieber nichts zu anderen sagen. Ich werde sonst sicher für verrückt erklärt. Jetzt muss ich den Tierarzt um die Behandlung des Vogels bitten. Der Flügel scheint gebrochen zu sein und muss sicher gerichtet werden.«

      Es ist Abend und Raban liegt in seinem Bett. Durch das Fenster leuchtet der Mond herein. Gerade als ein Mondstrahl auf das dunkle, blau glänzende Gefieder fällt, bewegt sich der große Vogel. Seine dunkelbraunen Pupillen sind nachdenklich auf den fest schlafenden Jungen gerichtet. Der Kolkrabe hockt auf einem kleinen Tischchen neben Rabans Bett und überlegt. Soll er dem Jungen erzählen, wer er ist und warum er hier ist? Wird er das überhaupt glauben? Menschen sind oft grausam zu Tieren. Doch dieser Junge hat sein Mitgefühl für ihn bewiesen, hat sich sogar mit den anderen anlegen wollen. Er hatte es wohl bemerkt.

      »Dabei ist dieser Junge eher schmächtig und macht nicht gerade den Eindruck, ein geübter Kämpfer zu sein. Aber ich habe seinen wachen und forschenden Blick gesehen. Für sein Alter wirkt er bereits sehr klug. Die hellblauen Augen scheinen mir sehr gut zu seinen kurzen, blonden Haaren zu passen. Zusammen mit den wenigen Sommersprossen auf und um seine Nase wirkt er etwas verschmitzt aber freundlich. Was er wohl von mir denken mag?«, grübelt Röiven. »Im Moment, da die Gefahr vorüber ist, falle ich in Ohnmacht. Ich bin in seinen Augen sicher ein Schwächling! Hm, ich glaube, jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Der Mond schickt sein silbernes Licht direkt auf das Gesicht des Jungen.« Leise, unverständliche Worte ertönen.

      Raban bewegt sich, reibt verschlafen die Augen und erhebt sich. Sein Blick sucht den Vogel. Erleichtert atmet er auf, als er ihn im Mondlicht erkennt. Der Verband über dessen Schulter zum rechtem Flügel hin ist nicht zu übersehen.

      Raban erinnert sich. Der Tierarzt hatte sehr erstaunt geschaut, als er mit dem großen Kolkraben im Arm in der Praxis stand. Die Behandlung verlief schnell und einfach, da der Vogel noch nicht erwacht war. Nach einer gründlichen aber vorsichtigen Abtastung hatte der Arzt ihn beruhigt.

      »Zum Glück ist der Flügel nicht gebrochen. Aber ich habe eine heftige Prellung an seinem kleinen Brustmuskel ertastet. Dadurch wird er einige Tage den Flügel nicht heben können. Ich werde ihm einen Schulter-Flügel-Verband anlegen, der diesen fixiert. Dadurch werden Muskelbewegungen vermieden, die sonst heftige Schmerzen verursachen würden. Vorher gebe ich dem Tier eine schmerzstillende und abschwellende Salbe auf den Muskel. In etwa drei bis fünf Tagen kannst du den Verband entfernen und die Reste der Salbe mit lauwarmen Wasser abwaschen, damit der Vogel diese womöglich nicht mit dem Schnabel entfernen muss. Schaffst du das?«

      Der Arzt hatte ihn freundlich angesehen und zu seiner Bestätigung genickt. Danach wollte er noch wissen, wie das Tier zu dieser Verletzung gekommen sei. Ohne die anderen zu verraten, erzählte Raban ihm, er habe den Kolkraben betäubt in der Nähe eines Baums gefunden, den dieser vermutlich im Flug gestreift haben musste.

      Er erinnert sich noch genau an den forschenden und leicht ungläubigen Blick des Mannes durch die runden Brillengläser. Der Junge weiß genau, Kolkraben sind ausgezeichnete Flugkünstler und würden nie eine derartige Verletzung durch Selbstverschulden bekommen. Viel wahrscheinlicher könnten Menschen den Tieren so etwas antun. Diese betrachten Rabenvögel oftmals negativ als Unglücksboten, als diebisch, ungeschickt oder gefährlich, und gehen gegen sie vor. Nach kurzem Schweigen hatte der Arzt ihm wieder zugelächelt. Er traute Raban offenbar eine das Tier verletzende Tat nicht zu, da er dann nicht mit dem Vogel im Arm zu ihm gekommen wäre.

      Der Junge betrachtet den Vogel, der wieder mit leicht schräg gestelltem Kopf und wachen, dunkelbraunen Augen zurückblickt. Der Kolkrabe hat eine Körperlänge von weit mehr als 50 cm und eine schlanke Statur. Sein Schnabel ist sehr groß und kräftig, der Oberschnabel ist deutlich nach unten gebogen. Das Gefieder ist einfarbig schwarz und glänzt im Mondschein metallisch. Beine und Schnabel sind ebenfalls schwarz.

      »Bist du jetzt fertig mit meiner Musterung?«, vernimmt er die leicht knarzende Stimme.

      »Entschuldige bitte, Röiven! Ich wollte dich nicht so anstarren. Aber ich konnte noch nie einen Kolkraben aus der Nähe betrachten. Ich hoffe, ich habe deine Gefühle nicht verletzt.«

      »Ähem, ist schon gut. Ich möchte dir noch danken. Die Schmerzen sind weg. Aber leider ist mein rechter Flügel jetzt unbeweglich. Hast du ihn mit Absicht festgebunden?« Die Augen des Vogels scheinen aufzuglimmen, so, als ob dort ein unsichtbares Feuer lodert.

      »Das hat der Arzt, zu dem ich dich gebracht habe, gemacht, um deinen Flügel, also die Muskulatur zu schonen. Aber, keine Angst, in drei Tagen werde ich ihn entfernen.«

      »Ich habe keine Angst, nie!«, vernimmt der Junge jetzt eine aufgebrachte Stimme. »Aber ich habe einen dringenden Auftrag, den ich erfüllen muss. Jetzt wird es sehr schwierig werden, Baran aufzuhalten.« Der große Vogel klappert mit seinen Augendeckeln.

      »Ich brauche meinen rechten Flügel nicht nur zum Fliegen«, fügt er nach einer kleinen Pause erläuternd hinzu. »Ich benötige ihn auch, damit ich mit voller Kraft zaubern kann! Meine Magie ist in meinem derzeitigen Zustand vielleicht sogar gefährlich für mich, wer weiß das schon so genau.«

      »Magie und Zauberei? Träume ich vielleicht noch?« Raban reibt sich erneut die Augen. Der Vogel beugt sich von dem kleinen Tischchen zu ihm herüber und zwickt ihn kurz mit dem kräftigen Schnabel in die Schulter.

      »Autsch, was soll das denn jetzt?«, fährt der Junge auf.

      »Ich wollte dir beweisen, du träumst nicht!« Ein leises Lachen, das wie rollende Steine auf einem sandigen Fels klingt, folgt.

      »Also, du kannst zaubern? Zumindest, wenn du nicht derart eingepackt bist?«, will der Junge, immer noch etwas ungläubig wissen.

      »Na klar. Das ist doch nicht in Frage zu stellen. Wie hätte ich dich denn sonst finden können?« Der Vogel klingt selbstbewusst. Der Junge versteht aber immer noch nicht.

      »Wie? Du hast mich gefunden? Ich meine eher, ich habe dich gerettet, oder meinetwegen auch gefunden, wenn das