„Mit deinem? Dann kannst du aber nichts trinken“, gibt sie zu bedenken.
„Ich weiß, aber ich habe keine Lust wieder zu laufen.“
„Ist irgendetwas passiert?“, fragt sie mich.
„Ich war nur müde und mir taten danach die Füße weh“, antworte ich ihr nach einer Weile und zucke dabei mit den Schultern. Obwohl schon eine Woche verstrichen ist, habe ich ihr noch immer nichts von meiner Begegnung mit diesem Typen gesagt. Ich habe auch keine Lust das ausgerechnet jetzt nachzuholen. Sie würde mir nur Vorwürfe machen, wieso ich ihr die Geschichte nicht eher erzählt habe.
„Du hast recht. Dafür werde ich Jonas noch in den Hintern treten. Er hätte danach ja wieder zur Party fahren können.“
Hannah klingt sauer, sodass ich ein schlechtes Gewissen bekomme. Ich will nicht dafür verantwortlich sein, dass die beiden sich streiten. Zumal ich der Meinung bin, dass sie sich eh zu oft in den Haaren haben.
„Nicht schlimm. Mir ist ja nichts passiert“, versichere ich ihr und bete, dass das Thema damit erledigt ist. Bei dem letzten Satz bekomme ich ein wenig Magenschmerzen, schiebe es aber darauf, dass ich heute noch nichts gegessen habe.
„Na gut, wir fahren morgen mit deinem Wagen, aber …“, fängt sie an, doch weiter kommt sie nicht, weil in dem Moment ihr Handy klingelt. Entschuldigend schaut sie mich an und dreht das Telefon so, dass ich das Bild auf dem Display sehen kann.
Jonas.
Während sie das Gespräch annimmt, zwinkere ich ihr zu und beobachte sie, wie sie das Zimmer verlässt. Jedes Mal, wenn die beiden telefonieren, läuft es so. Mittlerweile weiß ich, dass Hannah sich in dem Lagerraum am Ende des Flures versteckt und kann mir deshalb vorstellen, dass ihre Unterhaltung alles andere als jugendfrei sind.
„Seit ihr schon fertig?“, frage ich, als es fünf Minuten später an der Tür klopft. Seufzend stehe ich auf, doch als ich öffne, steht nicht Hannah vor mir, sondern der Typ, in den schon am Anfang der Woche hineingerannt bin.
„Hi“, begrüßt er mich mit einem strahlenden Lächeln. Mein Blick klebt an seinen Lippen, doch schnell reiße ich mich zusammen und sehe in seine Augen.
„Hi.“ Meine Stimme ist nicht mehr als ein leises Quietschen. Schnell räuspere ich mich und wiederhole mich, trotzdem höre ich mich nicht besser an.
Reiße dich zusammen, Sofia!
„Hast du jemanden erwartet?“
„Ich dachte, dass meine Mitbewohnerin mal wieder ihren Schlüssel vergessen hat“, antworte ich ihm und versuche dabei, meine Stimme so normal wie möglich klingen zu lassen. So ganz will es mir nicht gelingen. „Kann ich dir irgendwie helfen?“
„Ich habe erst vor zwei Wochen das College gewechselt, deswegen wollte ich e in paar Leute kennenlernen und hoffe, dass welche dabei sind, die das gleiche Hauptdach haben wie ich. Und ich dachte, dass es vielleicht am einfachsten wäre, wenn ich mit meinen Zimmernachbarn anfange.“
Kurz schaut er mich unsicher an, aber dann lächelt er wieder. Mein Herz schlägt Purzelbäume und ich danke im Stillen Jonas, dass er genau im richtigen Moment angerufen hat.
Bei dem Klang seiner Stimme entspannt sich mein Körper langsam. Da ich nicht weiß, was ich mit meinen Händen machen soll, streiche ich mir eine Strähne aus dem Gesicht und schiebe die Hand in die Tasche meiner Jeans.
„Wenn das so ist, herzlich willkommen. Von welcher Uni kommst du denn?“
„Los Angeles.“ Seine einfache Antwort versetzt mir einen Stich ins Herz. Als Kind habe ich dort gewohnt. Das war, bevor meine Mutter der Meinung war, dass wir unbedingt nach Dallas ziehen müssen. Ich habe keine Erinnerungen mehr an diese Stadt, aber auf merkwürdige Art und Weise fühle ich mich Los Angeles verbundener als Dallas.
Wegen der emotionalen Reaktion schwanke ich, sodass ich schnell nach der Tür greife, um mich festzuhalten.
„Wieso hast du gewechselt?“, frage ich ihn, damit er es nicht mitbekommt.
„Ich hatte das Gefühl, als würde ich mal etwas anderes sehen müssen“, erklärt er und zieht dabei die Schultern in die Höhe, um sie in der nächsten Sekunde wieder sinken zu lassen.
„Ich bin dort geboren“, flüstere ich, mehr zu mir selbst, als zu ihm.
„Ehrlich?“ Nun schaut er mich interessiert an.
„Aufgewachsen bin ich aber hier und seitdem war ich auch nicht mehr dort.“ Noch bevor ich es verhindern kann, nimmt meine Stimme einen traurigen Unterton an. Ich wende den Blick ab, um mich zu sammeln.
„Wieso hast du dich für Dallas entschieden, um zu studieren?“
„Das ist eine lange Geschichte.“ Und keine, die ich gerade erzählen will.
„Ich bin Aiden.“ Er reicht mir seine Hand und lächelt mich freundlich an.
„Sofia.“
Als ich sie ergreife, durchfährt mich ein elektrischer Schlag. Plötzlich knistert die Luft zwischen uns und scheint von Spannung geladen zu sein. Aiden räuspert sich und schaut unbeholfen auf den Boden. Seine Reaktion lässt in mir die Vermutung aufkommen, dass auch er die Spannung bemerkt hat.
„Es freut mich, dich kennenzulernen“, flüstert er, während er mich nicht aus den Augen lässt.
„Was ist dein Hauptfach? Vielleicht kann ich dir sagen, wo du Gleichgesinnte findest.“
„Biologie.“
Ich muss mich verhört haben. Ungläubig stehe ich vor ihm und starre ihn an. Kurz schießt mir der Gedanke durch den Kopf, dass es ein Scherz war. „Ich bin im letzten Jahr“, fügt er noch hinzu, als ich auch nach endlosen Sekunden kein Wort sage.
„Entschuldige. Ich habe …“
Ja, was habe ich eigentlich? Mich zum Affen gemacht?
Keine Ahnung, aber ich weiß, dass ich mich schnell wieder in den Griff bekommen muss.
„Ich studiere auch Biologie … im zweiten Jahr“, stottere ich und spüre, wie mir das Blut ins Gesicht schießt. Schon lange nicht mehr war mir etwas so peinlich, wie meine Reaktion auf ihn.
„Zwei Leute aus Los Angeles treffen sich in Dallas und studieren sogar das Gleiche. Das nenne ich mal einen Zufall.“ Als er mich Anblick erscheint ein freches Grinsen auf seinem Gesicht. Es sorgt dafür, dass mein Herz schneller schlägt und mein Verstand aussetzt.
Das ist wirklich ein Zufall.
Als ich etwas antworten will, bemerke ich aus dem Augenwinkel, wie jemand auf uns zustürmt. Automatisch spanne ich mich an, was auch Aiden nicht entgeht. Er schaut mich fragend an, aber ich gehe nicht darauf ein. Obwohl ich nicht leugnen kann, dass ich mich in seiner Gegenwart wohlfühle und es so ist, als würden wir uns schon seit einer Ewigkeit kennen.
Sobald ich Hannah erkenne, entspanne ich mich wieder.
„Wie geht es Jonas?“
Ich schaue in Aidens Richtung und erkenne das freche Grinsen, das er mir schenkt. Um mich von all den Empfindungen abzulenken, die er in mir weckt, konzentriere ich mich auf Hannah, die in diesem Moment antwortet.
„Es gibt ein Problem wegen morgen.“ Ihre Stimme klingt unsicher. Ihr Blick hebt sich von ihrem Handy und bleibt an dem Mann hängen, der vor mir steht. Als sie mich wieder anschaut, sehe ich die Fragezeichen in ihren Augen.
„Das ist Aiden. Er studiert ebenfalls Biologie. Aiden, das ist meine beste Freundin Hannah.“
Ich versuche meine Stimme so neutral wie möglich zu halten, was mir aber nicht gelingen will. Man müsste schon taub sein, um den aufgeregten Unterton nicht zu erkennen.
„Hi“, begrüßt sie ihn, während sie ihren Blick neugierig über seinen Körper wandern