Katakomben. Mark Prayon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mark Prayon
Издательство: Bookwire
Серия: Kommissar van den Berg
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754170793
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Opfer die Kehle durchzuschneiden.“ Van den Berg nickte nachdenklich und strich über seinen Dreitagebart. Seine Halsschlagader sah nun furchterregend aus. „Link und feige, jemanden so zu töten. So ein Dreckskerl!“

      Der Kommissar rief den Pathologen an, der versprach, umgehend in sein Büro zu kommen. Franz De Coster genoss ein hohes Ansehen unter den Polizisten, zumindest was seine Fähigkeiten als Mediziner betraf. Sein lehrerhaftes gestelztes Auftreten dagegen ging allen auf die Nerven. De Coster trug einen kunstvoll rasierten Kinnbart und war wie immer akkurat gescheitelt. Die rundliche Brille mit Goldrand wirkte seltsam in dem schmalen Gesicht.

      „Curare“, begann De Coster wichtig. Er genoss die unwissenden Blicke der beiden Kollegen. „Spann uns nicht auf die Folter“, raunte van den Berg genervt.

      „Curare ist ein kompetitiver Blocker des nikotinergen Acetylcholin-Rezeptors.“ De Coster lächelte überlegen in die Runde. Van den Berg holte tief Luft. „Komm auf den Punkt, Mensch!“ „Ein Pflanzengift“, erklärte De Coster. Die beiden Polizisten schauten sich ratlos an. Van den Berg sinnierte. Ein Pflanzengift also …

      De Coster schien van den Bergs Gedanken zu lesen. „Selbstmord können wir vergessen und aus Versehen schluckt man so was ganz bestimmt nicht“, sagte der Doc, während er seine irritierende Brille abnahm. „Dieses Gift kommt in Europa praktisch nicht mehr vor. Es wird in Südamerika zur Jagd verwendet und aus den Blättern von Lianen gewonnen. Das Mädchen hat das Zeug sicher nicht besessen, aber das ist ja euer Job.“

      „In Belgien gibt es das überhaupt nicht?“ De Coster schüttelte weise den Kopf. „Offiziell jedenfalls nicht mehr.“ „Was heißt nicht mehr?“ „Curare ist Anfang des 20. Jahrhunderts in Krankenhäusern bei verschiedenen Krankheitssymptomen eingesetzt worden, unter anderem bei Tollwut und Epilepsie. Heute ist Curare im Prinzip überflüssig, es wird durch synthetische Stoffe ersetzt.“

      Die Polizisten wurden unruhig. Deflandre wippte auf seinem Stuhl herum wie ein unkonzentrierter Schuljunge. „So ein Mädchen zu vergiften, das ist echt krank.“ Van den Berg dachte nach. „Was für ein Mensch tut so was?“ De Coster setzte wieder sein wichtiges Gesicht auf. „Das Gift ist gespritzt worden, genauer gesagt in den linken Arm. Im Verdauungstrakt hätte es keinen allzu großen Schaden angerichtet, in der Blutbahn ist es allerdings absolut tödlich.“

       Die beiden Cops schauten sich fragend an. „Welche Menge braucht man?“, raunte van den Berg ungeduldig. „Das kommt ganz darauf an. Bei unserem Mädchen dürften 30 Milligramm ausgereicht haben. Freiwillig nimmt so was niemand, selbst dann nicht, wenn man sich umbringen will. Curare bewirkt Atemstillstand – ein widerlicher Tod.“ De Coster mimte theatralisch einen Sterbenden. Van den Berg verzog sein Gesicht. Die zynische Art des Pathologen kotzte ihn an.

       „Noch etwas: Das Mädchen hatte Sex, unmittelbar vor dem Tod.“ „Was heißt das?“, fragte der Kommissar gespannt. „Längstens eine Stunde vor dem Exitus – das Sperma hat es uns verraten.“ Van den Berg kräuselte die Nase, dann fiel ihm noch etwas ein. „Was ist mit diesem Brandzeichen? Kannst du sagen, wie lange sie das Ding schon auf dem Pelz hat?“ „Frisch ist das hübsche Stück nicht - ich bin sicher, die Süße hatte das schon ein paar Jahre drauf.“ Van den Berg kratzte sich den Hinterkopf. „Womit ist es gemacht worden?“ „Sieht mir ganz nach einem stinknormalen Brandeisen aus. Ich habe so was schon mal bei einem Rindviech gesehen, das hat genauso schick ausgeschaut. Aber ich checke das natürlich gerne für dich“, sagte der Pathologe grinsend.

      Es konnte dauern, bis die Identität der Toten klar war, das Mädchen trug keinerlei Dokumente bei sich. „Wir müssen herausfinden, wer sie ist und die Kirche überprüfen“, sagte van den Berg, während er Deflandre herausfordernd anblickte. Die beiden rasten zur Kathedrale. Die Polizei hatte das Bauwerk bereits weiträumig abgeriegelt. Die mächtigen Säulen der gotischen Kirche beeindruckten den Kommissar, ihm fiel auf, dass Stühle aus Plastik aufgestellt worden waren, die er noch nie dort gesehen hatte. Die Spurensucher der Polizei untersuchten jeden Zentimeter Boden, um etwas Brauchbares zu finden. Sie suchten in der Kirche und draußen davor. Paul Renquin war der Leiter der Spürnasen - van den Berg kannte ihn seit Jahren. „Das ist eine Scheißarbeit hier“, rief Renquin zum Kommissar herüber. „Dann lohnt es sich wenigstens. Du liebst doch Herausforderungen“, erwiderte der giftig. „In der Kirche haben wir bislang nichts Auffälliges gefunden. Draußen gibt es einen Haufen Fußspuren, aber in diesem Matsch sind die nicht zu gebrauchen“, meinte Renquin schulterzuckend.

      Van den Berg hätte das Gutachten der Autopsie am liebsten in die Ecke gepfeffert, aber er beherrschte sich. Als er an die letzten Minuten des Mädchens dachte, hielt er einen Moment inne. Er versuchte, die Höllenqualen nachzuempfinden, die das Mädchen in den letzten Minuten seines Lebens durchmachen musste. Er sah ein, dass das völlig unmöglich war.

      Van den Bergs Wut war jetzt so groß, dass sie ihn zu zerreißen drohte. Er empfand nicht nur einen tiefen Hass für den Mörder des Mädchens, auch die Trennung von Marie arbeitete in ihm.

      Sie hatte die Beziehung von heute auf morgen beendet, ihm Egoismus und Gefühllosigkeit vorgeworfen. Wie lächerlich! Sie hatten doch ständig über ihre Probleme diskutiert, stundenlang gestritten und Giftpfeile aufeinander abgefeuert. Inzwischen wusste er, dass er viel Zeit verschwendet hatte.

      Die Spurensuche in der Kathedrale und in dem kleinen Park brachte die Ermittler nicht weiter. Van den Bergs Laune verschlechterte sich zusehends. Geduld zählte nicht gerade zu seinen Stärken, aber er ahnte, dass er die für diesen Fall brauchte. Solange der Todeszeitpunkt nicht feststand, war es schwierig, den Mord zu rekonstruieren, zumal sie nichts über das Mädchen wussten. Noch nicht einmal ihren Namen.

      De Coster platzte ohne Vorwarnung in van den Bergs Zimmer. „Marc, ich habe die Fotos von den Beißerchen dabei.“ Van den Berg schaute gespannt auf. „Es dürfte aber schwer werden, über den Zahnarzt an ihre Identität zu kommen. Alles tadellos in Ordnung, keine Füllungen oder sonst was.“ De Coster schlug grußlos die Tür hinter sich zu und verschwand so schnell, wie er gekommen war. „Was bringt uns das jetzt?“, rief der Kommissar De Coster hinterher, der nicht mehr reagierte.

      „Habt ihr die Vermisstenlisten durchgekämmt?“, fragte der Kommissar unwirsch, als er in das Büro seines Kollegen trat. Deflandre kramte in dem wirren Stapel Papier, der sich auf seinem Schreibtisch türmte. „Wir haben in den letzten Wochen zwei Anzeigen rein bekommen. Ein junges Mädchen - die ist nach der Disko nicht nach Hause gekommen und da ist noch ein Student, nach einem Ausflug an die Küste verschwunden.“ „Den Studenten können wir schon mal vergessen.“ „Das Diskomädchen wohl auch“, ergänzte Deflandre. „Sie ist zu jung.“ „Und da ist noch dieser Metzger - der hat seine Tochter als vermisst gemeldet- allerdings schon vor fünf Jahren. Das Mädchen hat auf dem Foto eine ziemliche Ähnlichkeit mit der Süßen.“ Van den Berg trommelte mit den Fäusten euphorisch auf den Tisch. Er hoffte, dass jetzt etwas Licht in den mysteriösen Fall kommen würde. „Sie heißt Catherine Bouvier. Der Vater ist 38 Jahre alt, die Mutter ist 40. Die beiden betreiben zusammen eine Metzgerei“, klärte Deflandre auf. „Ich glaube, die sollten wir gleich mal besuchen. Wo wohnen die Herrschaften denn?“ „In Anderlecht, gleich hinter dem Stadion.“

      Van den Bergs Augen glänzten. „Da bin ich schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gewesen“, meinte der Kommissar, der wusste, dass der Royal Sporting Club Anderlecht einst eine echte Größe im europäischen Fußball gewesen war. Schon lange war der Klub nur noch in der belgischen Jupiler League topp.

      Hugo war pünktlich. Sie trafen sich immer auf derselben Bank an dem kleinen See gegenüber dem Café Belga. Der andere nannte sich Jorge - sie sprachen spanisch. Der Mann war von imposanter Statur und überaus muskulös, was selbst sein weit geschnittener beiger Pullover nicht versteckte. Das dunkle lockige Haar hatte der Riese mit Gel nach hinten gekämmt. Der Spanier schaute düster drein, seine Augen sahen unheimlich aus. Erst als ihm Hugo das Papier mit den Namen reichte, lächelte er.

      Eine Frau in einem schmierigen, abgewetzten Kittel öffnete dem Beamten die Tür. Sie wirkte wie fünfzig und war