Aus dieser Erfahrung heraus habe ich Ende 2018 gemeinsam mit Freunden yeswecan!cer ins Leben gerufen. Ein Netzwerk von Krebserkrankten und Angehörigen, die in der größten Krise ihres Lebens Kraft aus der Gemeinschaft schöpfen können. Der Claim bringt es auf den Punkt: Du bist nicht allein. Heute, Anfang 2021, sind 12.000 Krebs-Betroffene in der YES!APP registriert. Und ja, manche schreiben uns, dass sie in der Vernetzung mit anderen Betroffenen die Kraft gewonnen haben, den Kampf gegen den Krebs aufzunehmen.
Marc Chapoutier hat in diesem Buch Beiträge von Menschen zusammengetragen, die durch eine ähnliche Krise gegangen sind wie ich. Es ist nicht nur unglaublich berührend und auf- und anregend, sondern auch überaus lehrreich zu lesen, wie es jeder und jedem einzelnen gelungen ist, ihre oder seine Resilienz zu mobilisieren. Ich kann den einzelnen Autorinnen und Autoren gar nicht genug danken für ihre Offenheit und Ehrlichkeit danken. Es hat mir einmal mehr gezeigt: Du bist nicht allein. So unterschiedlich die einzelnen Lebenswege und Schicksale der hier zu Wort kommenden Menschen auch sind – allen gemeinsam ist, dass sie angesichts einer Krise gelernt haben, genau in sich hineinzuhören, auf sich zu vertrauen und eigene Energien in Bewegung zu setzen. Sie alle hat das Ringen um Leben und Tod nachhaltig verändert. Auch mich.
Das Geheimnis mentaler Stärke ist keins: Ihr findet es in den bewegenden Geschichten dieser Mutmacherinnen und Mutmacher.
Ich wünsche diesem wichtigen Buch und seinen Autorinnen und Autoren viele Leserinnen und Leser.
Jörg A. Hoppe
Einleitung von Marc Chapoutier
Kennst Du dieses Gefühl, wenn sich der Erdboden unter Deinen Füßen öffnet? Kennst Du dieses Gefühl, zu fallen und nicht zu wissen, wann Du ankommst und was Dich auffängt? Kennst Du dieses Gefühl, vom Leben betrogen zu werden und nicht mehr weiter zu wissen?
Du hältst vermutlich dieses sehr wertvolle Buch in Deinen Händen, weil Du genau dieses Gefühl kennst. Entweder, weil selbst betroffen bist oder jemand aus Deinem nahen Umfeld. Diese Gefühle werden wir Menschen unweigerlich früher oder später alle haben, da es ein Leben ohne Krisen nicht gibt.
Doch es gibt Menschen, die Krisen, Krankheiten, Unfälle und Schicksalsschläge meistern und in Chancen verwandeln. Sie bewältigen sie und gewinnen an Stärke. Sie sehen in ihnen neue Möglichkeiten und verändern ihr komplettes Leben.
Diese Menschen sind für uns bewundernswert, denn ohne sie wüssten wir manchmal nicht, wie wir mit Krisen, Schicksalsschlägen oder Unfällen umgehen sollten. Wir wüssten nicht, dass wir solche Situationen meistern könnten. Für uns sind diese Menschen das Abbild mentaler Stärke.
Doch was bedeutet mentale Stärke?
Wie kann ich mental stark werden?
Kann jeder mental stark sein, es werden oder sogar bleiben?
Wir könnten uns eine Definition mentaler Stärke oder auch Resilienz anschauen, um zu verstehen, was dies wirklich bedeutet und welche Faktoren eine Rolle spielen. Doch wer kann mentale Stärke besser veranschaulichen als Menschen, die selbst durch eine Krise gegangen sind, einen Schicksalsschlag erlebt und diesen gemeistert haben und gestärkt daraus hervorgegangen sind oder heute damit leben. Es gibt keine Formel, kein Geheimnis, um mental stark zu sein. Aber es gibt zahlreiche Wege, zahlreiche Möglichkeiten, zahlreiche geheime Formeln, die zum Erfolg, die zu mentaler Stärke führen.
Und genau das wollte ich wissen! Ich wollte wissen, wie Menschen mit unterschiedlichen Krisensituationen umgehen, wie sie aus ihren Bedrängnissen, Schicksalsschlägen, Krankheiten und Unfällen eine Chance gemacht haben, wie sie diese Situationen gemeistert haben, was sie gedacht haben, was ihnen kurzfristig und langfristig geholfen hat, was sie dadurch fürs Leben gelernt haben und wie sie heute damit oder danach leben.
Dazu möchte ich Dir eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die mich dazu bewogen hat, zahlreiche Menschen, betroffen von unterschiedlichen Schicksalsschlägen, zu interviewen. Eine Geschichte, die mein Leben verändert hat und das meines unmittelbaren Umfeldes.
In dieser Geschichte geht es um einen aufstrebenden jungen Mann, der direkt nach seinem Studium Geschäftsführer einer Firma wird, die von seiner Familie gegründet wurde. Zwei Jahre lang arbeitet er unermüdlich, um den Erwartungen der Familie gerecht zu werden, bis er plötzlich, von heute auf morgen, dem Tod begegnet.
An diesen Tag erinnert er sich ganz genau. Es war 6:30 Uhr morgens, er saß bereits im Büro an seinem Schreibtisch und trank seinen zweiten Espresso, um wach zu werden. Er beantwortete wichtige E-Mails und befasste sich mit den Vorbereitungen eines Events. Es sollte das Ereignis des Jahres werden. Um ca. 7:30 Uhr unterbrach er seine Arbeit. Er musste zu seinem Hausarzt, zu einer Blutkontrolle, die er eigentlich nicht machen wollte, seiner Familie aber versprochen hatte. Sie sorgte sich um ihn, denn seit einiger Zeit hatte er eine seltsame Gesichtsfarbe und wirkte ziemlich angeschlagen. Dieser Hausarztbesuch veränderte sein Leben, doch das wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Als er vom Arzt zurückfuhr, spürte er, dass etwas nicht in Ordnung war. Der Arzt hatte etwas merkwürdig reagiert, als der junge Mann ihm die Symptome schilderte. Seine Worte waren: „Ich schicke die Blutentnahme per Notfall raus. Ich rufe Sie in ein paar Stunden an. Machen Sie bis dahin bitte nichts körperlich Anstrengendes mehr.“
Der junge Mann aber hatte keine Zeit, sich dazu ausführlich Gedanken zu machen. Er fuhr wieder zurück ins Büro und arbeitete weiter. Bis das Telefon ca. drei Stunden später klingelte. Es war mittlerweile 12 Uhr mittags. Der Arzt sagte dem jungen Mann folgendes: „Bitte lassen Sie alles stehen und liegen und lassen Sie sich ins Krankenhaus fahren. Die Kollegen sind informiert. Ihre Blutwerte sind lebensbedrohlich schlecht.“
Beunruhigt, aber an nichts Schlimmes denkend, fuhr er eigenständig ins Krankenhaus. Was ihn dort jedoch erwartete, waren vermummte Ärzte, die ihn sofort in ein isoliertes Zimmer brachten, um zahlreiche Untersuchungen zu machen, die länger als fünf Stunden dauern sollten. In der Zwischenzeit war auch die besorgte Freundin eingetroffen, die ebenso wie der junge Mann eine Antwort von den Ärzten haben wollte. Doch die Ärzte konnte nichts sagen – bis der junge Mann schließlich einen Nervenzusammenbruch erlitt, denn er wollte die Diagnose hören. Er würde sonst wieder zurück ins Büro fahren und weiterarbeiten. Gezwungen, unsicher, aber um den jungen Mann zu schützen, sagten ihm die Ärzte, sie vermuteten, dass er Leukämie habe.
Ab diesem Zeitpunkt änderte sich das Leben des jungen Mannes, seiner Freundin und seiner Familie und nichts war mehr so, wie es war. Auch wenn er nach einigen Wochen erfuhr, dass er keine Leukämie hatte, sondern eine seltene, meist tödlich ausgehende Autoimmunerkrankung, lebte er zwei Jahre in Ungewissheit und in Angst, bis eine Knochenmarktransplantation sein Leben rettete.
Dieser junge Mann war ich!
In diesen zwei Jahren begann ich an mir und an meiner Persönlichkeit zu arbeiten. Ich fing an, meine Erfolge und Erkenntnisse, die andere Menschen inspirierten, zu teilen. Auch teilte ich meine Knochenmarktransplantation mit der Öffentlichkeit, um zu zeigen, wie diese aus Patientensicht ablief. Damit gab ich sehr vielen Menschen Mut, die sich von nun an mit zahlreichen Fragen an mich wendeten. Unter ihnen gab es Menschen, die nicht mit dem gleichen Schicksalsschlag konfrontiert waren und trotzdem Tipps und Tricks von mir erfahren wollten, wie sie genauso positiv und mutig bleiben können.
Aus dem Bedürfnis heraus, diese Menschen unterstützen zu können, fing ich an, Menschen zu befragen, die andere Krisen, Krankheiten und Schicksalsschläge gemeistert haben. Ich wollte von den Betroffenen wissen, was ihnen geholfen hat, positiv zu bleiben und was sie anderen Menschen, die das Gleiche erleben, mit auf den Weg geben können. Ich wollte das Geheimnis mentaler Stärke herausfinden!