Sie seufzt. „Das kann ich ihr noch nicht zutrauen. Mit Konstantin allein zu bleiben. Es wäre grundsätzlich besser, ich bin immer dabei, zumindest wenn Konstantin wach ist.“
Lächelnd legt Nadja ihren Arm um sie. „Die werden bestimmt schnell miteinander vertraut. Sie kennen sich doch erst seit zwei Wochen.“
Nadja beobachtet, wie sich ein Mann, den sie noch nie gesehen hat, am Buffet bedient. Verstohlen dreht sie sich zu Henny. „Wer ist das denn? Der sich jetzt gerade Fried Rice auffüllt?“
„Das ist Jamie. Der Schotte aus dem mittleren Haus. Witziger Kerl, bisschen verschroben vielleicht.“
„Ach, der geheimnisumwobene Schotte, der ganz alleine in einem Haus mit vier Schlafzimmern lebt. Da stimmt doch was nicht.“ Nadja guckt amüsiert zu ihm rüber.
„Ich stelle euch gleich einmal einander vor. Dann kannst Du alles herausfinden, was Du wissen musst.“ Henny versucht Nadja in die Küche zu führen. Weit kommen sie nicht.
„Und?“, fragt Stefan, „vermisst ihr eure alte Nachbarschaft?“
Nadja lächelt Stefan an. „Ach Stefan. Es war immer so schön, Dich morgens am Pool zu treffen. Wenn wir unsere Bahnen in den frühen Stunden gezogen haben, bei Tagesanbruch. Wenn alles noch ruhig, unverbraucht und voller Energie ist….“ Nadja schaut versunken ins Leere und wacht auf, als sie Hennys Stimme hört: „Aber wir sind trotz Mirdif-Residenz eurer noch würdig, oder?“
„Jederzeit willkommen. Und vor allem seid ihr ja nicht aus der Welt. Hätte alles auch anders kommen können, nicht wahr… Und wir hätten euch zukünftig in Deutschland besuchen müssen.“
„Ganz so weit ist es noch nicht. Dubai braucht mich noch.“
„Na sicher, Henny. Und Zweifel der Firma über den Nutzen deiner Entsendung lassen sich doch nun hervorragend mit den gesunkenen Personalkosten ausräumen, oder? War ein kluger Schachzug von Dir, hierher zu ziehen.“
Henny nimmt einen Schluck aus seiner Bierflasche. Er murmelt, „und weg vom schillernden Glanz- und Glamour-Dubai mit all seinen Versuchungen.“
„Komm doch im November mal vorbei. Da habe ich so etwas wie sturmfreie Bude oder Stubenarrest. Irgendetwas dazwischen.“
Nadja kneift ihre Augen zusammen, „und wo ist deine Familie derweil?“
„Hat Rebecca etwa immer noch nicht von ihren Plänen berichten können?“
„Ich weiß von nichts.“
„Yoga. Yoga hat sie vor. Und dieses Mal in Indien.“
„Dann hat sich nur die Location verändert. Ansonsten nichts Neues.“ Henny kratzt sich am Kopf. „Die beeindruckenden Verrenkungen auf der Wiese vor dem Pool habe ich noch genau vorm Auge. Und dann macht man die Pooltür auf und sieht den nächsten Verrückten, der seine achthundertste Bahn schwimmt.“
Stefan grinst. „Andere joggen bei 45 Grad um die Ranches. Ob das so viel normaler ist?“
„Ich komme zum Männer-BBQ vorbei! Mit Verstärkung.“
Henny fasst dem vorbeigehenden Jamie auf die Schulter. „Jamie, ich möchte Dir unseren ehemaligen Nachbarn Stefan vorstellen und natürlich auch meine Frau. Nadja.“ Mit einem Kopfnicken deutet Henny auf Stefan, dann auf Nadja.
Vielen Dank für die Reihenfolge, denkt Nadja und streckt Jamie die Hand entgegen. Stefan schaut auf Jamies Teller und bemerkt zwei Flaschen Bier in Jamies Gesäßtaschen. „Henny hat ein Kennenlernen soeben schon geplant. Bei mir zu Hause. Bei Fleisch und Bier.“
Durch das plötzliche Grinsen verschieben sich Jamies Ohren an seinem hohlwangigen Gesicht. „Wann?“
Henny räuspert sich. „Wenn seine Frau dahin geht, wo der Pfeffer wächst.“
Stefan lacht. „Sie kommt Gott-sei-dank ja wieder. Ein Donnerstagabend im November? Vielleicht gleich der erste?“
„Ich bin dabei“, nuschelt Jamie mit vollem Mund, schluckt herunter und wischt sich mit dem Hemdärmel über den Mund. „Ist ja noch ein bisschen hin. Vielleicht machen wir vorher einen gemeinsamen Trip in die Wüste? Alle Mann?“
Nadjas Fäuste zittern vor ihrer Brust. „In vollen Familienbesetzungen aber.“
Jamie nickt ihr zu. „Das meinte ich.“ Und schiebt den nächsten Löffel Fried Rice in den Mund.
Nadja guckt ihn durchdringend an, Du hast doch noch mehr zu sagen.
„Ich muss allerdings alleine mitkommen. Oder gilt ‚for families only‘?“ Jamie kaut, schluckt und leckt mit der Zunge einen Rest aus dem Mundwinkel, dann vom Handrücken. „Ihr kennt doch das Schild? An machen Stränden steht es.“
Henny nickt. „Du lebst allein?“
Danke Henny.
„Meine Familie kommt noch.“
Nadja nickt ausdauernd, schade. Unspektakulär. Doch kein unzähmbarer Robert-Redford-Frauenversteher-Typ ohne Manieren.
Plötzlich steht Inja neben ihnen. Sie wickelt eine Strähne um ihren Finger und nippt an ihrem Glas. „Deine Familie kommt nach?“
„Inja. Hi.“ Er räuspert sich und legt die Gabel auf den Teller. „Ja, so ist es geplant.“
„Hm.“ Inja und Jamie schauen sich an. Henny gähnt. Nadja starrt weiterhin und ungeniert den Mann ohne Manieren an und verlagert dabei das Gewicht langsam auf das andere Bein.
Mit einer Mischung aus Schalk und Sympathie lächelt Jamie Inja an. „Ich habe Dich lange nicht gesehen. Weder am Pool, noch an der Straße…“
„Ich Dich auch nicht.“ Inja legt ihren Kopf schräg. „Arbeitest Du momentan so viel? Soll ja ablenken, wenn die Familie nicht da ist.“
Fast unbemerkt stellt sich Jasper zum Grüppchen und legt einen Arm um Injas Taille.
Nickend zieht Jamie beide Flaschen aus den Hosentasche, öffnet eine mit dem Kronkorken der anderen und lässt die geschlossene wieder in seiner Gesäßtasche verschwinden. Er setzt an und stößt die hochkommende Luft kontrolliert aus. „Wagen wir noch einmal eine Runde zusammen, Jasper? Schotte gegen Schwede?“
Jasper streckt einen Daumen in die Höhe. „Mir würde es gefallen, wenn wir unser Early-Bird-Golfspiel freitags zu einer festen Routine werden ließen. Dann hätte Schweden irgendwann auch mal eine Chance gegen Schottland.“ Jasper dreht sich zu Inja. „Um die Zeit schläfst Du ja ohnehin noch.“ Er verstummt. „Habe ich euch unterbrochen?“
„Nein. Nein, gar nicht.“ Inja stammelt etwas Unverständliches und beißt sich dann doch auf die Unterlippe.
Nadja fragt, „ihr kennt euch schon länger, oder?“
Ruckartig hebt Inja den Kopf. „Nein, wie kommst Du denn darauf? Wir kennen uns exakt seit dem Einzug. Fand am selben Tag statt.“
„Ach tatsächlich?“
„Das war natürlich verbindend, ein gemeinsamer Einzug sozusagen. Fast wie früher, in eine Studenten-WG zu ziehen.“ Inja lacht etwas zu schrill. „Und dann waren wir auch noch die ersten im Compound.“ Sie versinkt in Gedanken. „Ein Möbelpacker trug prompt eine unserer Kommoden bei Jamie ins Haus und baute sie dort sogar auf.“
Jamie lacht. „Schade, dass es nur eine Kommode war!“
Inja lächelt ihn an.
Jasper atmet hörbar und kommentiert, „Besitzverhältnisse sind nicht immer ganz eindeutig.“
Jamie winkt ab. „Die Kommode steht ja wieder bei euch. Alles gut. Und so schön finde ich die auch nicht.“
Jasper hält den Augenkontakt zu Jamie und führt das Weißweinglas an die Lippen.
„Hat das nicht gerade geklingelt?“