3.Expat-Enklave: Arabian Ranches
„Ich hätte fast nicht mehr mit Dir gerechnet“, ruft Nina von ihrem Liegestuhl und beobachtet wie Nadja blitzschnell mit einem Fuß die massive Tür zum Pool vor dem Zufallen bewahrt und sich seitwärts in voller Größe und mit eingezogenem Bauch dagegen presst. Zwei Jungs drängeln sich an ihrer sperrigen Umhängetasche und einem aufgeblasenen Schwimmtier vorbei und rennen zum Planschbecken.
„Noch habe ich es nicht geschafft.“ Nadja lacht. „Du könntest mir ja mal helfen!“
In zackigem Gang kommt Nina auf sie zu, durchtrainiert und athletisch. Ihr Körper hat seine Turner-Vergangenheit nicht vergessen. Im selben Moment ertönt erst ein Platschen, dann ein Schrei. Alexander scheint konzentriert abzuwägen, ob er es mit seiner kurzen Hose noch eine weitere Stufe tiefer ins Wasser des Planschbeckens wagen kann und reicht seinem Bruder schließlich die Hand. Fred lässt sich lachend zum Rand ziehen und setzt sich klitschnass auf eine Stufe. Bevor der Lifeguard am anderen Ende des Schwimmerpools überhaupt etwas bemerkt, ist Nadja bei ihren Kindern. Fred schlägt abwechselnd die Füße auf die Wasseroberfläche des knietiefen Beckens und johlt, wenn die Spritzer Alexander erreichen. Vorwurfsvoll schaut Alexander seine Mutter an. „Ab jetzt passe ich nicht mehr auf“, und läuft zum Ausgang zurück. Nadja streckt ihren Hals und sieht Alexanders Freund Fin an der Tür stehen und Alexander zu sich winken. Sie nickt, hockt sich neben Fred und lässt sich bespritzen. Fred gluckst vor Vergnügen, reißt seine wenigen Klamotten herunter und springt ins Becken zurück.
„Nein, erst eine Badehose anziehen. Komm wieder raus, Fred.“ Noch während sie spricht geht sie zu ihrer hektisch abgeworfenen Badetasche und kramt nach passenden Badesachen. „Muss doch hier irgendwo drin sein“, murmelt sie. Während sie sucht, planscht Fred vergnügt im Becken und quietscht vor Freude. „Was ist eigentlich dabei, einen kleinen Jungen nackt planschen zu lassen? Der geht schon auf Klo, wenn er muss. Aber nun gut…“. Nadja schimpft vor sich hin und sucht immer noch nach einer Badehose. „Ein bisschen eng vielleicht…mittlerweile“, brummelt sie, zieht eine Badeshorts hervor und legt sie auf die Steinfliesen. Aufgerichtet zeigt sie mit dem Finger auf den Boden. „Fred, anziehen!“. Sie schwingt den Taschenhenkel über ihre Schulter und steuert auf die freie Liege zu, die Nina gerade dichter an ihre rückt. Nadja setzt sich. „So, der Nachmittag kann beginnen.“
Nina nickt mit dem Kopf zum Planschbecken. „Ungewohntes Bild, übrigens.“
„Dass er nackt in den Pool springt?“
„Dass er sich selbst anzieht.“
„Ich bitte Dich, er ist vier Jahre alt“, murmelt Nadja. „Nur weil andere von ihren Maids angezogen werden...." Sie schüttelt den Kopf.
„Hi. Fred is all right?“ Der Lifeguard steht etwas unschlüssig vor ihnen.
„Because of his jump into the water half an hour ago you mean? You’re the lifeguard on duty today?” Herausfordernd grinst Nadja ihn an. „Hi Mohamad, how’re you? How’s your everyday life here without the most welcome family?“
„Al-Hamdu’lillah, thank you, kullu tamam – everything is fine.“ Nadja zieht ein Badelaken aus ihrem Korb, zieht ihr Trägerkleid über den Kopf und macht es sich auf der Liege bequem. Mohamad schaut erst auf den Fliesenboden, dann in die Bougainville-Büsche hinter dem schmiedeeisernen Zaun, nickt schließlich Nina und Nadja zu und verdrückt sich an seinen Platz unter dem verblichenen Sonnenschirm.
Nina schaut hinterher. „Ist irgendwie auch ätzend den ganzen Tag hier in der Hitze am Pool.”
„Fünfzehn Stunden lang.“
„Wie lange?“
„Der Pool öffnet morgens um halb Acht und schließt abends um halb Elf.“
„Aber da gibt es doch einen Schichtwechsel.“
„Klar und einen Betriebsrat.“
„Wer kann es denn fünfzehn Stunden bei über 45 Grad draußen aushalten?“
„Auf den Baustellen gibt es keine Sonnenschirme.“
„Von seinen Arbeitszeiten wusste ich nichts. Aber ich bin auch nicht so konsequent morgens, mittags und abends am Pool wie Du. Zumindest früher.“ Sie wartet auf eine Reaktion. Aber Nadja döst. Nach einer Weile fragt sie schläfrig, „bist Du heute eigentlich schon geschwommen?“
„Halbherzig. War so voll als ich kam… Naja, und auch heiß. Also eher heiß als voll.“ Sie lacht und fährt fort, „tatsächlich war nur die disziplinierte Italienerin im Pool und zog eisern in sengender Hitze ihre Bahnen. Mindestens vierzig.“
„Die, die sich mal über Mohamads Beten am Pool beschwert hat?“
„Die Story kenn‘ ich gar nicht.“
„Echt nicht? Mohamad hat früher immer irgendwann seinen Gebetsteppich da hinten am Zaun ausgerollt und gebetet. Und sie hat ihn dann gefragt, ob Gott in der Zeit ein Auge auf die Nichtschwimmer hätte.“
Nina kann sich vor Lachen kaum auf der Liege halten. „Ist aber auch eine berechtigte Frage.“
Nadja grinst. „Klar. Aber es gibt in der fünfzehn- Stunden-Schicht auch keine Pausen. Da fallen dann, lass mich überlegen, Dhur, Asr, Mahgrib und Isha, also bis auf das Sonnenaufgangsgebet eigentlich alle Gebete während seiner Arbeitszeit an.“
Nina bläst ihre Wangen auf und dreht sich um. „Wo sind Fin und Alexander überhaupt?“
Durch die rotblühenden Bougainville und die dahinter beginnende Abtrennung des Tenniscourts sieht sie ihren Sohn einen Tennisball mit der Hand übers Netz schlagen. Auf der gegenüberliegenden Seite erkennt sie Alexander, der den Ball annimmt und zurückschlägt. Nadjas Blick kreist zum Kinderbecken. Fred plantscht zusammen mit einem britischen Jungen unter der Aufsicht einer Maid. Sie dreht sich zu Nina und gibt das Startsignal: „Wir können ungestört schwimmen!“
„Na, dann los.“
Sie haben das Becken fast für sich allein und schwimmen ihre Bahnen. Jede in ihrem Tempo und ohne Gequatsche – so war es immer schon. Mohamad steht am Beckenrand und kommentiert, „good Swim-Style, Nadja!“ Nadja streckt ihren Kopf kurz aus dem Wasser. „Thank you – thanks for having taught me.“
Wieder geht die schwere Tür zum Pool-Bereich auf. Rebecca. Sie ist allein. Ihr dunkles Gesicht und ihr ledriges Dekolleté bezeugen ihre tägliche Beschäftigung: das Chillen am Pool. Sie stellt sich an den Beckenrand. „Nadja! So eine Überraschung! Hattest Du Heimweh?“
„Ich fühle mich, als wäre ich nie weggewesen.“
Nadja schwimmt zur Treppe und setzt sich auf eine der unteren Stufen.
„Wie ist es denn in Mirdif? Habt ihr euch schon eingelebt?“
„Es ist okay. Nicht mit dem Komfort hier zu vergleichen, aber in Ordnung. Das einzige, was echt nervt, ist der Fluglärm. Du kannst Dich auf unserer Einweihungsparty davon überzeugen.“
„Oh cool. Wann denn?“
„Erstes Wochenende im Oktober.
„Ich weiß nicht, ob Stefan dann schon zurück ist, aber mich und meinen Beitrag zum Buffet kannst Du fest einplanen.“
„Gekochtes, Gebackenes oder Eingelegtes von Dir! Eine gesunde Party!“
Rebecca grinst. Sie rutscht eine Stufe tiefer und steckt ihre Füße in das Becken. „Das mit dem Fluglärm sagen ja viele. Aber das verändert sich doch, oder? Das hängt doch mit der Windrichtung zusammen. Dachte ich zumindest.“
„Kann ich mir nicht vorstellen, dass der Wind bei unserer Lage noch etwas ausrichten kann. Die Flieger gehen über unserem Pool runter. Die Jungs finden es super, die Nummern der Emirates-Maschinen lesen zu können. Alexander hat schon mit einer Art