Als wäre eine Weiterleitung von Gehirn zur Hand unterbrochen, drückt sie trotzdem den Startknopf. Der Motor beginnt zu brummen. Sie muss irgendwie, und vor allem schnell, von diesem Parkstreifen herunter, zurück auf die Straße. Geradeaus, an dem auf der Straße stehenden Polizeiauto vorbei, und auf die Fahrbahn einscheren. Sie stellt den Schalthebel auf „D“. Als neben ihr eine Sirene aufheult, erstarrt sie, lässt ihre Schultern fallen und verliert sich für einen Moment auf dem monströsen Fahrersitz. Mohamad flucht und lässt hektisch die Rückenlehne des Beifahrersitzes aufrecht fahren. Aus Augenschlitzen funkelt sie ihn an. „Das hast Du mir eingebrockt.“ Und fügt auf Deutsch hinzu, „triebgesteuerter Macho-Arsch.“
Schnell anfahrend und abrupt bremsend schneidet der Streifenwagen den einzig möglichen Weg ab und parkt schräg vor ihrem Wagen auf dem Seitenstreifen. Das Blaulicht kegelt rhythmisch über der weißen Motorhaube. Nadja schließt erneut die Augen. Wegfahren zu wollen - was hat mich gerade bloß getrieben? Wie erkläre ich, dass nur ein Scheinwerferlicht für mich keine Polizeikontrolle bedeutet?
Erneut drückt sie den Startknopf und der Motor verstummt. Zwei Polizisten in khakifarbenen Uniformen und mit Schusswaffe am roten Gürtel steuern auf ihren Wagen zu. Vor jedem Fenster ein Beamter.
Gott-sei-Dank, der Rock reicht über die Knie. Ich trage ein langärmeliges Shirt. Meine Haare sind wenigstens hochgesteckt. Und mein Dekolleté ist bedeckt.
Sie fährt die Scheibe herunter. Ein Polizist steckt den Kopf in ihr Fenster, schnüffelt und schaut ihr ins Gesicht. „Die Papiere.“
Könnte man Sex eigentlich riechen? Sie greift ihre Umhängetasche von der Rückbank und zieht ihr Portemonnaie heraus. Sie reicht ihm einen emiratischen Führerschein.
„German?“
Sie nickt und hört gleichzeitig, wie Mohamad lautstark mit dem anderen Beamten spricht oder streitet.
Selbst ein „ich liebe Dich“ muss auf Arabisch aggressiv und bedrohlich klingen – jedenfalls von einem erregten Mann gesprochen.
Angestrengt versucht sie Wortfetzen aus dem Dialog neben sich herauszuhören: „eine Bekannte…bringt mich nach Hause…in Sharjah… einem Arbeitercamp….“
Okay, keinerlei falsche Anschuldigungen von Verführung...vielleicht haben sie seine Körperhaltung vorher nicht bemerkt…
Ihr Herz schlägt bis zum Hals.
„Your car?“ Der Polizist hält fordernd eine Hand in die Fensteröffnung. Drei Finger der ausgestreckten Handfläche schwingen energisch auf den Handballen und zurück.
Fahrzeugpapiere. Er will die Fahrzeugpapiere.
Sie wühlt erneut in ihrer Handtasche und schüttelt den Kopf. „My husband‘s car“ und streckt ihm das Dokument entgegen.
Er neigt sein Gesicht tiefer in das Fenster und zieht langsam die Augenbrauen hoch. „That’s interessting.“ Er riecht nach Zigarettenrauch.
Mit ihren Papieren in der Hand schlendert er zum Streifenwagen.
Der andere Polizist schaut ins Beifahrerfenster. „Aussteigen.“
Sie schluckt, riskiert einen Seitenblick zu Mohamad. Er zieht eine Augenbraue schräg und schüttelt langsam den Kopf. „Du bist ver-hei-ra-tet!“, und lauter zum Polizisten gewandt: „Ich auch?“
„Natürlich Du auch. Los jetzt.“
Ich weiß nicht, ob meine Knie mich tragen.
Beim Aussteigen greift der Polizist ihren Ellenbogen. Reflexhaft löst sie ihren Arm aus seiner Umklammerung, dreht sich zum Wagen und verriegelt ihn. Er packt sie am Oberarm. „Gib mir dein Handy.“
Zittrig fingert sie mit einer Hand ihr Mobiltelefon aus der Umhängetasche. Mit ihrem Handy in der Hand öffnet er die Fahrzeugtür des Streifenwagens und drängt sie auf die Rückbank. Gegenüber öffnet der andere Beamte die Tür, schaut Mohamad an und nickt ins Wageninnere. Mohamad rührt sich nicht. „Wohin fahren wir?“
„Auf die Wache. Steig‘ ein.“ Er schlägt hinter Mohamad die Tür zu. Sie fahren los. Vom Beifahrersitz dreht er sich langsam nach hinten, betrachtet Nadja von Kopf bis Fuß und hält ihr schließlich ihr Handy entgegen. „Die Nummer deines Ehemanns, bitte.“
Vorgebeugt drückt Nadja die Tastenkombination für die Entsperrung, geht auf ihre Anrufliste und tippt auf den obersten Eintrag: Henny. Er lehnt sich zurück und wählt. „Vermissen Sie Ihre Frau gar nicht? Wir haben sie aufgegriffen. Kommen Sie bitte zur Polizeiwache in Sharjah. Al Buhairah.“
Nadja schluckt und befeuchtet ihre Lippen. Sie greift an ihren Hals und schluckt erneut. Aus den Augenwinkeln sieht sie die Leuchtreklamen der kleinen Shops, die wie bunte Plastikperlen auf einer Kette den Straßenverlauf säumen.
Lautes Stimmengewirr, Menschengewusel, unterschiedliche und schrille Klingeltöne prallen auf sie ein, als sie in den Eingang des Polizeigebäudes geschoben werden. Weißes Neonlicht scheint aus den Deckenröhren. Mohamad und Nadja werden in unterschiedliche Büros geführt. Nadja schaut sich hilfesuchend um. Telefone und Kaffeebecher stehen auf zwei Schreibtischen. In der Ecke ein Schreibplatz mit PC. Man weist ihr einen Holzstuhl zu. Mitten im Raum. Ständig gehen Türen auf und wieder zu und Uniformierte betreten die Schreibstube. Nach einiger Zeit des Wartens öffnet sich die Tür in ihrem Rücken und sie kann nur ahnen, wer kommt. Henny streicht ihr über den Schultergürtel. „Nadja, alles in Ordnung?“
Sie steht auf und stolpert in Hennys Arme, Tränen laufen über ihr Gesicht. Sie vergräbt ihr Gesicht in seine Halsbeuge und flüstert: „Ich habe Mohamad nach dem Unterricht nach Hause gebracht. Sein Bus war weg.“
„Schluss mit der Theatralik. Setzen Sie sich bitte. Beide.“ Henny wird ein Stuhl an der Seite eines Schreibtisches angeboten. Er zwinkert ihr zu, und wendet sich an den Polizisten, der ihn hereingeführt hat. „Das ist ein blödes Missverständnis, und Sie tun uns einen großen Gefallen, wenn wir das hier schnell aus der Welt bringen. Unsere kleinen Kinder sind allein zu Hause.“
Der Polizist nickt. „Mr. Nasser wird gleich hier sein.“
Eine Tür schwingt auf. Der eintretende Polizist hält mit der linken Hand ein Handy an sein rechtes Ohr und spricht. Über den Brillenrand mustert er kurz Nadja auf ihrem Stuhl. Er setzt sich auf die Tischplatte vor Henny. Abwechselnd bölkt er auf Arabisch oder nickt. Nach einer längeren Folge, von „tayib…tayib…tayib…“ legt er schließlich auf und dreht sich zu Henny. „Das“, er zeigt mit dem Finger auf Nadja, „ist Ihre Frau?“
Henny nickt.
„Und was macht Ihre Frau nachts mit einem Mann in Ihrem SUV in Sharjah?“
Henny schluckt. „Mohamad ist der Lifeguard in unserer Community und bringt meiner Frau Arabisch bei. Sie hat ihn freundlicherweise nach Hause fahren wollen.“
Der Beamte richtet seinen Blick auf Nadja und spricht sie auf Arabisch an. Nadja reagiert, mit einem langgezogenen „yanni, al-Hamdu’lillah.“
Der Polizist grinst, dreht sich zu Henny. „Vielleicht melden Sie ihre Frau besser für einen offiziellen Sprachkurs bei einer ausgebildeten Lehrerin an. Dann lernt sie nicht Ägyptisch.“ Er steht auf, spricht zu seinem Kollegen, der Nadjas Papiere und Mobiltelefon Henny überreicht. Mr. Nasser greift zur Türklinke und dreht sich zu Henny. „Und passen Sie ein bisschen besser auf ihre Frau auf. Sie braucht offensichtlich Rechtleitung.“ Er verlässt den Raum.
Die Straßenlaternen verströmen wohlig gelbes Licht und weisen den Weg in der Dunkelheit. Mitten in der Nacht. Nadja seufzt, „danke, Henny.“ Sie schaut aus dem Beifahrerfenster und lässt die auf sie zukommende Skyline auf sich wirken. Sie schließt die Augen und atmet tief ein und aus.
Henny schweigt und gibt Gas.
„Es tut mir leid. Ich habe niemanden in Schwierigkeiten bringen wollen“, flüstert