LOS. Ylvie Wolf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ylvie Wolf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753189284
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umgezogen waren. Es erinnerte sie an viele Dinge aus ihrer Kindheit und Jugend. Von hier aus konnte man die Straße hoch auf ihr ehemaliges Elternhaus blicken, doch sie zog es vor, nicht allzu lange dort hinaufzuschauen.

      Als sie am Brunnen vorbeigingen, dachte sie an die letzte Begegnung mit ihren besten Freunden. »Hast du was von Daniel und Erik gehört?«

      »Soweit ich weiß, arbeitet Daniel außerhalb von Schäferhof und Erik lebt sogar in Dänemark.«

      »Oh.« Insgeheim hatte Melina gehofft, die beiden würden noch bei ihrer Familie wohnen. Niedergeschlagen starrte sie eine Weile auf die Steinfigur, deren Wasserstrahl plätschernd im Becken aufkam. Der letzte Ferientag vor vier Jahren war so schön gewesen.

      Melina wusste es noch genau. Sie waren Eis essen gewesen. Später war Daniel gegangen und sie hatte den Rest der Zeit allein mit Erik gehabt. Ihre Wangen erwärmten sich. Sie war in ihn verliebt gewesen, doch hatte sie das niemandem erzählt. Damals wie heute war Melina zu ängstlich, um über ihre Gefühle zu sprechen.

      »Wie geht es deinen Eltern?«

      Melina schreckte auf und sah zu Tammy, die sie mit hochgezogenen Brauen musterte.

      Schnell sagte sie: »Gut. Papa war überhaupt nicht begeistert davon, dass ich hierher fahre. Aber du kennst ja meine Mutter. Sie hat nur was von Aufarbeitung und schlechtem Karma geschwafelt, bis Papa genervt abgerauscht ist.«

      »Ich kann es mir bildlich vorstellen.« Auf Tammys Gesicht war ein freches Grinsen erschienen. »Trägt sie immer noch ihre vielen Schals?«

      Melina bejahte es feixend.

      Lachend kramte Tammy aus ihrer Hosentasche einen Schlüssel hervor, sie waren angekommen. Melina bemerkte erst jetzt, dass sie das kleine Waldstück durchquert hatten. Tammy hatte sie absichtlich abgelenkt und Melina verspürte tiefe Dankbarkeit ihrer Freundin gegenüber. Trotzdem breitete sich eine Gänsehaut auf ihren Armen aus, als sie zurück zu den Bäumen sah.

      »Wir sind da!«

      »Tamara? Bist du das?«

      Tammy zog bei der Nennung ihres vollen Namens eine Grimasse. »Ja. Wer sonst?«

      Ihre Mutter kam aus der Küche und strahlte die beiden an. »Melina! Wie geht es dir? Es ist schön, dich wiederzusehen!«

      »Hallo, Frau Lange.« Melina lächelte höflich.

      Wieder wurde sie fest in die Arme geschlossen. Sie gingen in die angrenzende Küche. Am Esstisch sitzend vertieften sich die drei Frauen in Gespräche. Tammy hatte ein Talent dafür, ihr passierte Dinge auf äußerst unterhaltene Art und Weise darzustellen und nachzuerzählen.

      Melina hatte lange nicht mehr einen solchen Spaß gehabt.

      Während Frau Lange das Abendessen vorbereitete, streifte Tammy das Thema, das nach Melinas Meinung ruhig eine Weile länger unausgesprochen geblieben wäre. »Wie geht es dir denn momentan?«

      Sie seufzte. »Ganz okay.«

      Natürlich kaufte ihr das niemand ab und sie holte weiter aus. »Die letzten Wochen waren wirklich in Ordnung. Nach der mündlichen Abiprüfung war alles scheiße. Irgendwie hatte ich da gar keine Motivation mehr für nichts. Als ob ich in ein riesiges, schwarzes Loch geplumpst wäre.«

      Sie rezitierte die Worte ihrer Psychologin: »Frau Petry meinte, dass das ganz verständlich ist. Die letzten Jahre habe ich mich voll auf die Schule konzentrieren können und das ist jetzt halt vorbei. Und ich weiß nicht, was ich in Zukunft machen möchte.«

      Wie immer bei diesem Thema spürte sie den Druck auf ihr Inneres ansteigen, der sie seit Wochen nicht losließ.

      »Und deshalb bist du hier?« Frau Lange setzte sich mit ihrem Sparschäler und den Kartoffeln an den Tisch.

      »Ja. Ich soll mich mit meiner Vergangenheit auseinandersetzen und der beste Weg ist offenbar, hierher zurückzukehren.«

      »Das klingt vernünftig. Hast du denn in Köln jemanden gehabt, mit dem du sprechen konntest, außer Frau Petry?«

      Unruhig rutschte Melina auf ihrem Platz hin und her. Sie mochte dieses Ausfragen nicht, aber sie konnte Frau Lange auch nicht vor den Kopf stoßen, indem sie gar nichts sagte. Daher zuckte sie unverbindlich mit den Schultern.

      In dem Moment klingelte es an der Tür und Tammy sprang auf. Sie eilte zur Tür und kam kurz darauf mit einem Jungen zurück, dessen dunklere Hautfarbe einen starken Kontrast zu Tammys Haaren bildete.

      Mit einem Lächeln reichte er Melina die Hand und drückte sanft zu. »Hey, ich bin Mike.«

      Sie lächelte ihn freundlich an. Wenigstens hatte das Verhör ein Ende.

      Während sich die beiden auf die Bank nebeneinander quetschten, grinste Tammy ihren Freund von der Seite her an. »Mikes Schwester ist einige Jahre älter und hat einen kleinen Klamottenladen im Dorf. Hast du vielleicht gesehen. Wie wär’s, lass uns morgen shoppen gehen, wir bekommen auch Prozente!«

      Melina tat begeistert. Tammy mochte shoppen über alles und früher hatten sich die beiden stundenlang die lustigsten Sachen angezogen und Model gespielt. Doch mittlerweile hasste Melina es. Jeder Verkäufer guckte schräg auf ihre Stulpen und wollte sie ihr abschwatzen. Da hatte sie ehrlich keinen Bock mehr drauf.

      Mike zog einen Schmollmund. »Du magst mich nur, um billiger an deine Klamotten ranzukommen.«

      »Natürlich, mein Schatz.« Sie gab ihm einen Kuss und grinste kess.

      Ihre Mutter unterbrach die beiden. »Es gibt gleich Essen. Zeig Melina doch, wo sie schlafen kann. Ich habe das Gästezimmer hergerichtet.«

      Gemeinsam stiegen sie die Treppe empor. Mike trug freundlicherweise Melinas Koffer. »Du schläfst logischerweise nicht im Gästezimmer, sondern bei mir, ist doch klar. Sonst können wir ja gar nicht bis tief in die Nacht lästern wie früher.«

      Melina lächelte über Tammy, die aufgeregt vor ihr her wuselte. Lange hatte sie diese Gespräche vermisst. Allmählich freute sie sich auf die kommenden Tage. Sie packte ihre Sachen aus und machte es sich auf dem Gästebett bequem, das Mike ihnen von nebenan ins Zimmer trug.

      Der Abend verlief gemütlich, sie sprachen über die letzten Schulwochen. Mike war Automechaniker und bereits fertig mit der Ausbildung. So hörte er sich die Plauderei der beiden jungen Frauen schweigend an. Letztendlich verabschiedete er sich und Tammy brachte ihn zur Tür.

      Melina ging derweil ins Bad. Ihr Spiegelbild verdeutlichte, wie wenig Sonne sie in letzter Zeit hatte tanken können. Sie war blass und wie immer ungeschminkt. Nach dem Zähneputzen bürstete sie ihr Haar und band es zu einem kurzen Zopf zusammen. Seufzend setzte sie sich nebenan aufs Bett und wartete auf die Rückkehr ihrer besten Freundin. Hoffentlich würde ihre Vergangenheit sie nicht zu rasch einholen.

      Fassungslos

       Die ersten Sonnenstrahlen weckten Erik früh am Morgen. Unten hörte er seine Mutter herumwerkeln und von draußen drangen ihm verschiedene Geräusche ans Ohr. Vögel zwitscherten und sein Vater war in der Garage beschäftigt. Wahrscheinlich baute er wieder an einem seiner Motorräder herum.

      Gähnend stand Erik auf. Wahnsinn, war er müde. Man sollte vielleicht früher ins Bett gehen und nicht bis tief in die Nacht mit seinem Bruder zechen. Sie hatten sich lange nicht gesehen, da war die Zeit wie von selbst verflogen. »Morgen.«

      Daniel blinzelte verschlafen, doch sogleich huschte ein Grinsen über sein Gesicht. »Du siehst ja fit aus.«

      Er riss sich die Decke vom Leib und warf sie achtlos zur Seite.

      Als er aufstand, wurde Erik erst bewusst, was er da gerade anstarrte. »Dein Ernst? Kannst du beim Schlafen nicht wenigstens eine Boxershorts tragen?«

      Irritiert blickte Daniel an sich herab. »Nö, warum?«

      Entgeistert schmiss Erik seinem Bruder ein Shirt entgegen. »Weil mir eh schon flau im Magen ist vom Alkohol.«

      Das