Nachdem das Caramboliren auf der Treppe fünf Jahre lang gedauert hatte, gefiel es der allweisen Vorsehung, meine Frau von mir zu nehmen und uns so von einander zu erlösen. Ich blieb mit meiner kleinen Penelope allein übrig. Kurz nachher starb Sir John und Mylady blieb mit ihrer Tochter Fräulein Rachel allein. Ich müßte mich sehr schlecht über Mylady ausgedrückt haben, wenn ich noch zu sagen brauchte, daß meine Herrin sich meiner kleinen Penelope annahm und daß sie in die Schule geschickt und unterrichtet und ein gescheidtes Mädchen wurde. Als sie alt genug dazu war, wurde sie Fräulein Rachels Kammerjungfer. Was mich anlangt, so bekleidete ich mein Amt als Gutsverwalter ununterbrochen weiter bis zum Weihnachtstag 1847, wo eine Veränderung in meinem Leben eintrat. An jenem Tage lud sich Mylady zu einer Tasse Thee allein mit mir in meinem Häuschen bei mir ein. Sie bemerkte, daß ich von der Zeit an gerechnet, wo ich als Page zu dem alten Lord in’s Haus gekommen, mehr als fünfzig Jahre in ihren Diensten gewesen sei, und gab mir eine schöne wollene Weste, die sie selbst für mich gestrickt hatte, um mich an kalten Wintertagen damit warm zu halten.
Ich nahm dieses prachtvolle Geschenk entgegen und fühlte mich ganz unfähig, Worte zu finden, mit denen ich meiner Herrin für die mir erwiesene Ehre hätte danken können. Zu meinem größten Erstaunen aber stellte es sich bald heraus, daß die Weste kein Ehrengeschenk, sondern eine Bestechung sei. Mylady hatte herausgefunden, daß ich alt werde, bevor ich es selbst gemerkt hatte, und sie war zu mir gekommen, um mich, wenn ich so sagen darf, zu beschwatzen, meine anstrengende Beschäftigung im Freien als Gutsverwalter aufzugeben und meine Tage als Haushofmeister im Schloß in Ruhe zu beschließen. Ich wehrte mich so gut ich konnte gegen die unwürdige Zumuthung, mich zur Ruhe zu setzen. Aber meine Herrin kannte meine schwache Seite und stellte mir die Sache als eine Gefälligkeit gegen sie vor. Unsere Unterhaltung endete damit, daß ich mir die Augen wie ein alter Narr mit meiner wollenen Weste trocknete und sagte, ich wolle mir die Sache überlegen.
Meine Gemüthsverfassung bei dieser Überlegung, nachdem Mylady mich verlassen hatte, war wirklich schrecklich und so nahm ich meine Zuflucht zu dem Mittel, das ich in zweifelhaften und schwierigen Fällen noch nie vergebens angewandt hatte. Ich steckte mir eine Pfeife an und schlug meinen Robinson Crusoe auf. Keine fünf Minuten hatte ich in diesem merkwürdigen Buche gelesen, da stieß ich auf folgende tröstliche Stelle auf Seite 158: »Heute lieben wir, was wir morgen hassen.« Auf der Stelle sah ich, was ich zu thun hatte. Heute war ich ganz von dem Wunsche erfüllt, Gutsverwalter zu bleiben, morgen würde ich nach Robinson Crusoe’s Wort ganz anders denken. Also mußte ich, so lange ich in dieser Stimmung von »morgen« war, mich auf morgen richten, und die Sache war gethan. Nachdem mein Gemüth so beruhigt war, legte ich mich als Lady Verinder’s Gutsverwalter zu Bett und stand am nächsten Morgen als Lady Verinder’s Haushofmeister in einer ganz behaglichen Stimmung auf, die ich lediglich Robinson Crusoe verdanke.
Eben sieht mir meine Tochter Penelope über die Schulter, um zu sehen, was ich bis jetzt geschrieben habe. Sie bemerkt, daß es sehr schön geschrieben ist und Alles die reine Wahrheit, aber sie macht eine Einwendung Sie sagt, was ich bis jetzt geschrieben habe, ist durchaus nicht das, was ich schreiben sollte. Ich solle die Geschichte des Diamanten schreiben und statt dessen habe ich meine eigene Geschichte geschrieben, sonderbar genug und mir selbst unbegreiflich. Ich möchte wohl wissen, ob es den Herren, die vom Bücherschreiben leben, auch wie mir begegnet, daß ihnen mitten in ihren Erzählungen ihre eigene Geschichte in die Feder kommt. Wenn dem so ist, so kann ich mich sehr gut in ihre Lage versetzen. Einerlei, da habe ich schon wieder verkehrt angefangen, was ist nun zu thun? So viel ich sehe, nichts Anderes, als für meine Leser: nicht die Geduld zu verlieren, und für mich: die ganze Geschichte zum dritten Mal von vorne anzufangen.
Drittes Kapitel.
Auf zwei Weisen habe ich versucht, über die Art, wie ich die Geschichte gut anfangen soll, in’s Reine zu kommen; erstens indem ich mir den Kopf zerkratzt habe, was zu nichts führte, zweitens indem ich meine Tochter Penelope zu Rathe, zog, die mich auf eine ganz neue Idee gebracht hat. Penelope ist der Meinung, ich müsse die Begebenheiten von jedem Tage niederschreiben, und da anfangen, wo wir erfahren, daß Herr Franklin Blake zu einem Besuche bei uns erwartet werde, Wenn man einmal auf diese Art sein Gedächtnis auf einen bestimmten Tag fixiert hat, ist es wunderbar, wie das Gedächtnis wenn es einmal einen solchen Anstoß bekommen hat, Einem zu Hilfe kommt. Die einzige Schwierigkeit besteht darin, erst einmal die Daten festzustellen. Das will aber Penelope für mich übernehmen, aus ihrem eigenen Tagebuche zu thun, welches sie schon in der Schule zu führen angehalten wurde und das sie seitdem immer fortgeführt hat. Auf einen daraufhin von mir gemachten Vorschlag, nämlich daß sie statt meiner die Geschichte nach ihrem Tagbuche erzählen sollte, entgegnete Penelope mit einem zornigen Blick und erröthend, daß ihr Tagebuch nur für sie allein sei und daß kein lebendes Wesen außer ihr selbst jemals erfahren solle, was darin steht. Als ich sie fragte, was das zu bedeuten habe, sagte Penelopen »Dummes Zeug!« und ich sagte: »Liebesgeschichten!«
Um, nun also nach Penelopes Plan anzufangen, habe ich zu sagen, daß ich am Mittwoch den 24. Mai 1848 zu Mylady in ihr Wohnzimmer beschieden wurde.
»Gabriel,« sagte Mylady zu mir, »da sind Nachrichten, die Sie überraschen werden. Franklin Blake ist wieder da. Er ist eben eine Zeit lang bei seinem Vater in London gewesen und kommt morgen zu uns, um bis nächsten Monat bei uns zu bleiben und Rachel’s Geburtstag mit zu feiern.«
Wenn ich einen Hut in der Hand gehabt hätte, so hätte mich nur der Respekt vor meiner Herrin abhalten können, den Hut vor Freuden an die Decke zu werfen. Ich hatte Herrn Franklin nicht gesehen, seit er als Kind in unserm Hause gelebt hatte. Er war in meiner Erinnerung der herzigste Junge, der je einen Kreisel gedreht oder ein Fenster zerbrochen hat. Fräulein Rachel, die anwesend war und gegen die ich das bemerkte, erwiderte, daß er nach ihrer Erinnerung der abscheulichste Tyrann gewesen sei, der jemals eine Puppe gequält habe, und der grausamste Treiber eines erschöpften kleinen Mädchens beim Pferdspielen, den man in England finden könne. »Ich zittere vor Entrüstung und keuche vor Ermattung, wenn ich an Franklin Blake denke,« waren Rachel’s letzte Worte.
Man wird fragen, wie es kam, daß Herr Franklin die ganze Zeit von seiner ersten Jugend bis zu seinen Mannesjahren im Auslande zubrachte. Meine Antwort ist: Weil sein Vater das Unglück hatte, der nächste Erbe eines Herzogthums zu sein, ohne es beweisen zu können.
Die Sache war kurz folgende:
Mylady’s älteste Schwester heirathete den berühmten Herrn Blake, der eben so bekannt durch seinen Reichthum wie durch seinen großen Proceß war. Wie viele Jahre er die Gerichte des Landes in Anspruch nahm, um den Herzog außer Besitz und sich selbst an seine Stelle zu setzen, wie vieler Advokaten Taschen er bis zum Platzen füllte, wie viele sonst friedliche Leute er zum Streit über die Frage brachte, ob er Recht oder Unrecht habe, das Alles genau zu erzählen, würde über meine Kräfte gehen. Seine Frau und zwei von seinen drei Kindern starben, bevor die Gerichte sich entschlossen, ihn abzuweisen und ihm kein Geld mehr abzunehmen. Als Alles vorbei und der Herzog in seinem Besitz gesichert war, fand Herr Blake, daß die einzige Art, mit seinem Vaterland für die Behandlung, die es ihm habe angedeihen lassen, quitt zu werden, die sei, seinem Lande nicht die Ehre der Erziehung seines Sohnes zu Theil werden zu lassen. »Wie kann ich den Institutionen