Ich gelangte an eine offene Thür und fand die Leichen zweier Indier (nach ihrer Kleidung Offiziere des Palastes) quer vor der Schwelle der Thür liegend. Ein aus dem Innern hervordringender Schrei trieb mich in ein Gemach, welches als Waffenkammer zu dienen schien. Ein dritter Indier sank eben tödtlich verwundet zu den Füßen eines Mannes hin, dessen Rücken mir zugekehrt war. Als ich eintrat, wandte er sich um, und ich erkannte John Herncastle, mit einer Fackel in der einen und einem bluttriefenden Dolch in der andern Hand. Ein als Degenknopf an dem oberen Ende des Dolchgriffs befindlicher Stein funkelte mir, als Herncastle sich umdrehte, bei dem Schein der Fackel wie ein Feuerstrom entgegen. Der sterbende Indier sank in die Knie, deutete auf den Dolch in Herncastle’s Hand und sagte in seiner Landessprache »Der Mondstein wird sich an Dir und den Deinigen rächen.« Als er diese Worte gesprochen, fiel er todt zu Boden.
Ehe ich noch zur Besinnung gekommen war, drangen die Soldaten, die mir in den Hof gefolgt waren, ein. Mein Vetter stürzte wie ein Wahnsinniger aus sie los.
»Räume das Gemach,« rief er mir zu, »und stelle eine Wache an der Thür auf.« Die Soldaten wichen zurück, als er sich mit seiner Fackel und seinem Dolch auf sie warf. Ich stellte zwei Mann Wache von meiner Compagnie, auf die ich mich verlassen konnte, als Wache an der Thür auf. Bis zum folgenden Tage sah ich meinen Vetter nicht wieder.
Am frühen Morgen des nächsten Tages ließ General Baird, da das Plündern noch fortdauerte, öffentlich unter Trommelschlag verkünden, daß jeder auf der That ertappte Dieb, er sei wer er wolle, gehenkt werden solle. Zum Zeichen, daß dieser Erlaß des Generals ernst gemeint sei, begleitete der Generalprofoß den Ausrufer, und in dem Gedränge von Menschen, welches durch die Proklamation veranlaßt wurde, trafen Herncastle und ich wieder zusammen. Er wollte mir, wie gewöhnlich, die Hand zum Guten Morgen bieten. Bevor ich ihm aber meine Hand reichte, sagte ich: »Erzähle mir erst, wie der Indier in der Schatzkammer ums Leben gekommen ist und was er mit seinen letzten Worten gemeint hat, als er auf den Dolch in Deiner Hand deutete?«
»Der Indier,« antwortete Herncastle, »ist vermuthlich an einer tödtlichen Wunde gestorben. Was er mit seinen letzten Worten gemeint hat, weiß ich so wenig wie Du.«
Ich sah ihm scharf ins Gesicht; seine bis zum Wahnsinn gesteigerte Aufregung vom vorigen Tage war einer vollkommenen Ruhe gewichen. Ich beschloß, ihm noch einmal Gelegenheit zu einer offenen Erklärung zu geben.
»Ist das Alles, was Du mir zu sagen hast?« fragte ich.
Und seine Antwort, war: »Das ist Alles.«
Ich kehrte ihm den Rücken und seitdem haben wir nicht wieder mit einander gesprochen.
IV.
Ich möchte keinen Zweifel darüber bestehen lassen, daß das, was ich hier über meinen Vetter niedergeschrieben habe, nur für die Familie bestimmt ist, — es wäre denn, daß Umstände eintreten sollten, welche die Veröffentlichung nothwendig erscheinen lassen würden. Herncastle hat mir nichts gesagt, was mich zu einer Anzeige bei unserm General berechtigen konnte. Mehr als einmal ist er von Denen, die sich seines zornigen Ausbruchs vor der Erstürmung erinnern, wegen des Diamanten geneckt worden; aber wie sich leicht denken läßt, hat seine eigene Erinnerung an die Umstände, unter denen ich ihn in der Schatzkammer getroffen habe, hingereicht, ihm Schweigen aufzuerlegen. Wie es heißt, beabsichtigt er eingestandenermaßen, um meine Nähe zu vermeiden, in ein anderes Regiment einzutreten. Wie dem auch sei, so kann ich mich nicht entschließen, sein Ankläger zu werden, und zwar aus guten Gründen. Denn wenn ich auch die Sache veröffentlichen wollte, so würde ich zur Unterstützung meiner Anklage nur moralische Beweise beibringen können. Ich habe nicht nur keinen Beweis dafür, daß er die beiden Männer in der Thür umgebracht hat, ich kann auch nicht einmal beweisen, daß er den Dritten, in der Schatzkammer selbst, getödtet, denn ich kann nicht behaupten, daß ich mit eignen Augen die That habe begehen sehen. Ich habe zwar die Worte des sterbenden Indiers gehört, wenn aber diese Worte als der Ausbruch einer irren Phantasie erklärt werden sollten, so wäre ich außer Stande, dieser Behauptung aus eigner Wissenschaft zu widersprechen. Unsere beiderseitigen Verwandten mögen sich selbst ihre Ansicht über meine Mittheilung bilden und selbst entscheiden, ob die Abneigung, die ich jetzt gegen Herncastle empfinde, gut oder schlecht begründet ist.
Obgleich ich der phantastischen indischen Sage über den Edelstein keine Art von Glauben beimesse, so muß ich mich doch, bevor ich schließe, zu einer andern Art von Aberglauben in dieser Angelegenheit bekennen.
Ich bin überzeugt oder bilde mir ein, wie man es nun nennen will, daß das Verbrechen sein eigenes Verhängnis in sich trägt. Ich halte mich nicht nur von Herncastles Schuld fest überzeugt, sondern ich bin auch Phantast genug, zu glauben, daß er, wenn er den Diamanten behält, seine That noch bereuen wird, und daß, wenn er sich des Diamanten entäußert, Andere es bereuen werden, ihm denselben abgenommen zu haben.
Die Erzählung.
Erste Periode:
Der Verlust des Diamanten
(1848).
Von Gabriel Betteredge, Haushofmeister im Dienste Lady
Julia Verinder’s, berichtete Ereignisse.
Erstes Kapitel.
Im ersten Theil von Robinson Crusoe auf Seite 129 steht zu lesen:
»Jetzt sah ich, wiewohl zu spät ein, wie thöricht es sei, etwas zu unternehmen, bevor man die Kosten berechnet und bevor man sich vergewissert hat, daß man die Kraft besitzt, das Unternommene durchzuführen.«
Noch gestern fiel mir diese Stelle beim Öffnen von Robinson Crusoe in die Augen, und diesen Morgen, 21. Mai 1850, kam Mylady’s Neffe, Herr Franklin Blake, und hatte die folgende kurze Unterhaltung mit mir.
»Betteredge,« begann Herr Franklin »ich habe mit unserm Advokaten über einige Familien-Angelegenheiten gesprochen, und neben andern Dingen kam auch das vor zwei Jahren geschehene Verschwinden des Familien-Diamanten aus dem Hause meiner Tante in Yorkshire zur Sprache. Der Advokat ist der Meinung, die ich theile, daß der ganze Vorgang im Interesse der Wahrheit so bald wie möglich zu Papier gebracht werden sollte.«
Da ich nicht sogleich merkte, worauf er hinaus wollte, und es ein für allemal um des lieben Friedens Willen für richtig halte, mich auf die Seite der Advokaten zu stellen, so sagte ich: »Der Meinung bin ich auch.«
Herr Franklin fuhr fort: »In dieser Diamantengeschichte,« sagte er, »sind schon unschuldige Personen, wie Sie wissen, verdächtigt worden. Es ist zu fürchten, daß in Ermangelung eines Berichts über die Thatsachen, auf welchen sich unsere Nachkommen berufen können, auch künftig das Andenken unschuldiger Personen verunglimpft werden möchte. Aus diesen