»Ich habe Penelope schon im Hause gesprochen,« antwortete Franklin, »und die hat es mir erzählt. Ihre Tochter, Betteredge, versprach immer ein hübsches Mädchen zu werden und hat ihr Versprechen gehalten. Sie hat kleine Ohren und kleine Füße. Hat sie diese unschätzbaren Vorzüge von ihrer verstorbenen Mutter geerbt?«
»Meine selige Frau hatte ihren guten Theil Fehler,« sagte ich, »einer davon war, da Sie mich doch danach fragen, daß sie nie bei einer Sache bleiben konnte. Sie glich mehr einem Schmetterling als einer Frau.«
»Da wäre sie was für mich gewesen,« entgegnete Franklin, »ich kann auch nie bei einer Sache bleiben. Sie, Betteredge, sind ja wohler auf als je, das hat mir schon Ihre Tochter gesagt, als ich sie wegen der Jongleurs befragte. »Vater wird Ihnen das Nähere erzählen, er ist merkwürdig für sein Alter und weiß sich vortrefflich auszudrücken,« waren Penelope’s eigene Worte, bei denen sie reizend erröthete. Nichts, selbst nicht mein Respekt vor Ihnen konnte mich abhalten, sie zu. .. einerlei. Ich habe sie als Kind gekannt und sie ist nicht schlechter davon geworden. Kommen Sie, sagen Sie mir ernsthaft, was wollten die Jongleurs?«
Ich war Verdrießlich über meine Tochter — nicht weil sie sich von Herrn Franklin hatte küssen lassen, dagegen hatte ich nichts, — aber weil sie mich zwang, ihre dumme Geschichte aus zweiter Hand zu erzählen. Indessen da half nichts, ich mußte die Details berichten. Herrn Franklins. ganze Heiterkeit ging bei meiner Erzählung verloren. Er saß da mit gerunzelter Stirn und drehte krampfhaft an seinem Schnurrbart. Als ich fertig war, sprach er mir zwei von den Fragen nach, die der Anführer der Gauklerbande an den Knaben gerichtet hatte, dem Anscheine nach zu dem Zwecke. sie sich recht fest einzuprägen.
»»Kommt der Fremde heute auf dieser Straße und auf keiner andern nach diesem Hause?« »Hat der englische Herr ihn bei sich?« »Ich fürchte,« sagte Herr Franklin, indem er ein kleines versiegeltes Paket aus seiner Tasche zog, »daß mit »ihm« dies da gemeint ist, und dieses, Betteredge, ist meines Onkels Herncastle berühmter Diamant.««
»Um Gotteswillen,« rief ich aus, »wie kommt der Diamant des schlimmen Obersten in Ihre Hände?«
»Der Diamant ist in dem Testament des Obersten meiner Cousine Rachel als Geburtstagsgeschenk vermacht,« erklärte Herr Franklin, »und mein Vater, als Testamentsvollstrecker des Obersten, hat ihn mir übergeben, um ihn hierher zu bringen.«
Wenn das Meer, das sich eben sachte über den »Zitterstrand« hingoß, sich vor meinen Augen plötzlich in trocknes Land verwandelt hätte, so wäre mein Erstaunen, glaube ich, nicht größer gewesen, als es bei Herrn Franklins Worten war.
»Der Diamant des Obersten Fräulein Rachel vermacht?« rief ich aus. »Und Ihr Vater der Testamentsvollstrecker des Obersten? Ich wäre jede Wette eingegangen, daß Ihr Vater den Obersten nicht mit der Feuerzange anfassen würde.«
»Das ist ein bisschen stark, Betteredge! Was hat man denn dem Obersten vorzuwerfen gehabt? Sie müssen das besser wissen als ich. Erzählen Sie mir, was Sie von ihm wissen, und ich will Ihnen erzählen, wie mein Vater sein Testamentsvollstrecker geworden ist und noch mehr, ich habe in London Dinge über meinen Onkel Herncastle und seinen Diamanten erfahren, die mir gar nicht gefallen, und ich möchte von Ihnen hören, was daran ist; Sie nannten ihn eben den »schlimmen Obersten.« Besinnen Sie sich ein bisschen, mein alter Freund, und sagen Sie mir warum.«
Ich sah, daß er Ernst machte, und fing an zu erzählen, und das Wesentlichste von dem, was ich erzählte, habe ich zum Besten des Lesers im Folgenden genau niedergeschrieben. Ich bitte Dich, lieber Leser, um Deine volle Aufmerksamkeit, sonst wirst Du Dich nicht zurechtfinden können, wenn wir tiefer in die Geschichte hinein kommen.
Denke nicht an Deine Kinder, noch an Dein Mittagessen, noch an Deinen neuen Hut, oder sonst etwas. Sieh zu, ob Du nicht auch die Politik, Pferde, Marktpreise, Club-Angelegenheiten u. s. w. vergessen kannst. Ich denke, Du wirst die Freiheit, die ich mir nehme, nicht übelnehmen, es ist nun so meine Art, an den geneigten Leser zu appellieren.
Du lieber Gott! wie oft habe ich Dich nicht mit den größten Autoren in der Hand gesehen und nie geneigt abzuschweifen, wenn ein Buch statt eines Menschen Deine Aufmerksamkeit verlangte.
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Ich habe schon oben von Mylady’s Vater, dem alten Lord mit der kurzen Geduld und der raschen Zunge gesprochen. Er hatte im Ganzen fünf Kinder: Zuerst zwei Söhne, dann nach einer langen Pause bekam seine Frau wieder Kinder und brachte nach einander, so rasch die Natur es erlaubt, drei kleine Mädchen zur Welt, von denen meine Herrin, wie schon erwähnt, die Jüngste und Beste war. Von den beiden Söhnen erbte der Älteste, Arthur, den Titel und die Güter, der zweite, der ehrenwerthe John, erbte von einem Verwandten ein schönes Vermögen und trat in die Armee ein.
Das ist ein schlimmer Vogel, der sein eigenes Nest beschmutzt, und ich betrachte die adlige Familie der Herncastle als mein Nest und ich werde es als besondere mir gewährte Gunst betrachten, wenn man mir ein näheres Eingehen auf die Geschichte des ehrenwerthen John erläßt. Ich glaube, offen gestanden, daß er einer der größten Schufte war, die jemals gelebt haben. Ich wüßte nicht mehr noch weniger über ihn zu sagen.«
Er ging also zur Armee, indem er zunächst bei den Garden eintrat. Hier mußte er, gleichviel warum, mit dem zweiundzwanzigsten Jahre wieder austreten. Sie sind sehr eigen in der Armee und sie waren zu eigen für den »ehrenwerthen« John. Er ging nach Indien, um zu sehen, ob sie da eben so eigen wären, und sich dort im Dienst zu versuchen. Was Tapferkeit betrifft, so war er, um gerecht zu sein, ein Gemisch von einer Bulldogge, einem Kampfhahn und einem Wilden. Er war mit bei der Einnahme von Seringapatnam. Bald nachher vertauschte er sein Regiment mit einem andern und dieses wieder nach einiger Zeit mit einem dritten. In diesem erhielt er seinen höchsten Grad als Oberst-Leutnant und zugleich mit demselben einen Sonnenstich und kehrte nach England zurück.
Ihm vorangegangen war ein Ruf, der ihm alle Häuser seiner ganzen Familie verschloß. Mylady, die eben verheirathet war, führte dabei den Reigen, selbstverständlich mit der Genehmigung ihres Gemahls, und erklärte, ihr Bruder solle niemals eines ihrer Häuser betreten. Auf dem Ruf des Obersten ruhte mehr als ein böser Fleck, weshalb die Leute ihn mieden; ich brauche aber hier nur des Fleckens der Diamanten-Geschichte zu erwähnen.
Das Gerücht wollte wissen, er sei in den Besitz, dieses indischen Edelsteins durch Mittel gelangt, zu denen er sich, so frech er war, doch nicht zu bekennen wage. Er machte niemals einen Versuch, den Diamanten zu verkaufen, da er kein Geld brauchte und da er, um auch hierin wieder gegen ihn gerecht zu sein, keinen Werth auf Geld legte. Niemals gab er ihn aus den Händen, ja niemals zeigte er ihn irgend einer lebenden Seele.
Einige meinten, er handle so aus Furcht, die Sache könne ihm Unannehmlichkeiten bei der Militair-Behörde bereiten, Andere, die die wahre Natur des Mannes sehr schlecht kannten, waren der Meinung, er fürchte, wenn er den Stein zeige, könne es ihm das Leben kosten.
Und doch war in dieser letzten Annahme vielleicht ein Körnchen Wahrheit. daß er sich fürchte, war nicht der Fall, aber es war Thatsache, daß sein Leben zwei Mal in Indien bedroht gewesen war, und man glaubte allgemein, daß der Mondstein die Veranlassung dazu gegeben habe. Und als er nach England zurückkam. und von Jedermann gemieden wurde, schrieb man dies wiederum dem Mondstein zu. Das Geheimnis des Obersten stand ihm in seinem Leben überall im Wege und machte ihn so zu sagen zu einem Ausgestoßenen in seinem eigenen Lande. Die Männer verweigerten ihm den Zutritt zu ihren Clubbs, die Mädchen, die er heirathen wollte, gaben ihm sämtlich Körbe, Freunde und Verwandte wurden zu kurzsichtig, um ihn auf der Straße zu erkennen.
Andere würden in solcher Lage vielleicht versucht haben, sich vor der Welt zu rechtfertigen, aber einen solchen Schritt zu thun, auch wenn er im Unrecht war und die ganze Gesellschaft gegen sich hatte, war nicht die Art des ehrenwerthen John. Er hatte den Diamanten trotz verschiedener in Indien gegen ihn gerichteter Mordversuche behalten; er behielt ihn in offenem Trotz gegen die öffentliche Meinung in England. Das ist das Bild des Mannes, wie ein Portrait es nicht treuer geben könnte, ein Charakter, der Allem Trotz bot, und ein Gesicht, das, obgleich schön, aussah, als ob es vom Teufel besessen wäre.
Von