Quentin schaute sich um, und einen freundlichen, stattlich und achtbar aussehenden Mann gewahrend, der ein Sammetkleid und goldne Kette trug, vermuthete er, es möge dieser ein vornehmer Bürger sein, vielleicht eine Magistratsperson, und fragte ihn: »Ob er etwas besonders Seltsames an ihm bemerke, was die öffentliche Aufmerksamkeit in so ungewöhnlichem Grade auf sich ziehen könne? oder ob es so Gewohnheit der Leute von Lüttich sei, sich auf diese Weise um die Fremden zu drängen, die zufällig ihre Stadt besuchten?«
»Gewiß nicht, guter Herr,« antwortete der Bürger; »die Lütticher sind weder so müßiger Neugierde voll, um dergleichen Gewohnheit zu haben, noch liegt auch etwas in Eurer Kleidung und Erscheinung, außer daß sie überhaupt hier sehr willkommen ist, daß unsre Städter erfreut sind, sie zu sehen und sie zu ehren wünschen.«
»Dieß klingt sehr artig, werther Herr,« sagte Quentin; »aber beim Kreuz St. Andreas', ich kann nicht errathen, wie Ihr es meint.«
»Euer Schwur, Herr,« antwortete der Kaufmann von Lüttich, »so wie Euer Accent, überzeugt mich, daß wir mit unserer Vermuthung recht haben.«
»Bei meinem Patron St. Quentin!« sagte Durward, »ich bin weniger als vorher über Eure Meinung im Klaren.«
»Nun schon wieder,« sagte der Lütticher, während er ihn durchdringend, aber sehr höflich, artig und klug ansah: – »Sicherlich ziemt es uns nicht, zu verstehen, was Ihr, werther Herr, scheint verbergen zu wollen. Doch warum schwört Ihr bei St. Quentin, wenn Ihr nicht wollt, daß ich Eure Worte deuten soll? – Wir kennen den Grafen von St. Paul, der sich jetzt dort aufhält und unsrer Sache wohl will.«
»Bei meinem Leben,« sagte Quentin, »Ihr seid in einem Irrthum – ich weiß nichts von St. Paul.«
»Nun, ich forsche Euch nicht aus,« sagte der Bürger; – »aber hört – ich sage, hört, im Vertrauen – mein Name ist Pavillon.«
»Und was geht das mich an, Herr Pavillon?« sagte Quentin.
»Ei, nichts – ich denke nur, es sollte Euch überzeugen, daß ich des Vertrauens werth bin – hier ist auch mein College Rouslaer.«
Rouslaer trat heran, ein stattlicher Würdenträger, dessen ansehnlicher runder Bauch, gleich einem Mauerbrecher, rüstig Bahn durch die Menge brach, und, seinem Nachbar leise Vorsicht anrathend, sagte er im Tone des Tadels: »Ihr vergeßt, guter College, daß dieser Ort zu offen ist – der Herr wird sich nach Eurem oder meinem Hause begeben, ein Glas Rheinwein mit Zucker annehmen, und dann werden wir mehr von unserm guten Freund und Verbündeten hören, den wir mit unsern ehrlichen flämischen Herzen lieben.«
»Ich habe für Niemand von Euch Neuigkeiten,« sagte Quentin ungeduldig; »ich will keinen Rheinwein trinken; und ich begehre von Euch, als Männern von Gewicht und Ansehen, bloß, daß Ihr diese müßige Menge zerstreut, und einem Fremden gestattet, Eure Stadt so ruhig zu verlassen, wie er sie betreten hat.«
»Nun denn, Herr,« sagte Rouslaer, »da Ihr Euer Incognito so fest behauptet, und noch dazu vor uns, die wir Männer sind, welche Vertrauen verdienen, so laßt mich Euch offen fragen, warum tragt Ihr das Abzeichen Eurer Compagnie, wenn Ihr in Lüttich unerkannt bleiben wollt?«
»Welches Abzeichen?« sagte Quentin; »Ihr seht aus, wie ehrwürdige Männer und ernste Bürger, aber bei meiner Seele, entweder seid Ihr selber toll, oder wollt mich dazu machen.«
»Sapperment!« sagte der andere Bürger, »dieser junge Mann würde selbst St. Lambert zum Fluchen bringen! Sagt an, wer trägt Mützen mit St. Andreaskreuz und der fleur-de-lys, außer den schottischen Bogenschützen von König Ludwigs Leibwache?«
»Und gesetzt, ich bin ein Bogenschütze von der Leibwache, warum wundert es Euch dann, daß ich das Zeichen meiner Compagnie trage?« sagte Quentin ungeduldig.
»Er hat es gestanden, er hat es gestanden!« sagten Rouslaer und Pavillon, sich mit glückwünschenden Mienen zu den versammelten Bürgern wendend, die Arme und Hände erhebend und mit freudestrahlenden Gesichtern. »Er hat gestanden, daß er ein Bogenschütze von Ludwigs Leibwache – Ludwigs, des Schützers der Freiheiten Lüttichs!«
Ein allgemeines Jubelgeschrei erhob sich jetzt unter der Menge, worunter man die verschiedenen Ausrufe vernahm: »Lang lebe Ludwig von Frankreich! Lang lebe die schottische Garde! Lang lebe der wackere Bogenschütze! Unsre Freiheiten, unsre Privilegien, oder Tod! Keine Steuern! Lang lebe der tapfere Eber der Ardennen! Nieder mit Karl von Burgund! und Verderben dem Bourbon und seinem Bisthum!«
Halb betäubt von dem Lärm, der kaum auf der einen Seite aufhörte, als er sich alsbald auf einer andern erhob, steigend und fallend, gleich den Wogen des Meers, und vermehrt durch tausende von Stimmen, die von fernen Straßen und Marktplätzen im Chore heranströmten, gewann Quentin doch Zeit, Vermuthungen in Betreff der Bedeutung des Tumultes zu fassen, und sich einen Plan in Bezug auf sein eignes Betragen zu bilden.
Er hatte vergessen, daß, nach seinem Kampf mit Orleans und Dunois, einer seiner Kameraden auf Lord Crawfords Befehl seinen durch des letztern Schwert gespaltenen Helm mit einer der stahlbesetzten Mützen ersetzt hatte, die einen Theil der eigenthümlichen und wohlbekannten Rüstung der schottischen Garde bildeten. Daß ein Mitglied dieses Corps, welches unmittelbar stets Ludwigs Person umgab, in den Straßen einer Stadt erschien, deren bürgerliche Unruhen durch die Agenten des Königs gesteigert waren, ward sehr natürlich von den Bürgern von Lüttich als ein Beweis ausgelegt, daß Ludwig seinerseits offen ihre Sache beschützen wolle; und so ward die Erscheinung eines einzelnen Bogenschützen als ein Pfand unmittelbarer und thätiger Hilfe von Seiten Ludwigs angesehen, – ja, als eine Versicherung, daß seine Hülfstruppen bereits wirklich durch das eine oder andere Stadtthor, wiewohl Niemand bestimmt sagen konnte, durch welches, einzurücken im Begriff ständen.
Eine so allgemein angenommene Ueberzeugung zu beseitigen, war, wie Quentin leicht einsah, unmöglich – ja, jeder Versuch, Männer, die so hartnäckig auf ihrem Glauben beharrten, zu enttäuschen, war mit persönlicher Gefahr verbunden, und sich dieser zu unterziehen, schien ihm hier von gar keinem Nutzen; er beschloß daher in der Eile zu temporisiren, und sich so gut als möglich aus der Sache zu ziehen; diesen Entschluß faßte er, während man ihn nach dem Stadthause geleitete, wo die Angesehenen der Stadt eilig versammelt waren, um die Zeitung zu hören, die er vermuthlich zu bringen hatte, und ihn mit einem splendiden Mahle zu ehren.
Trotz all' seiner Einwendungen, die man für Bescheidenheit auslegte, ward er von allen Seiten durch die Spender der Volksgunst umringt, der unerwünschten Woge, die ihn jetzt umwogte. Seine zwei rathsherrlichen Freunde, die Schöppen der Syndici der Stadt waren, hatten seine beiden Arme fest in Beschlag genommen. Nickel Block, Obermeister der Fleischerzunft, der eilig von seinem Geschäft in den Fleischbänken abgerufen war, schwang vor ihm seine tödtliche Axt, mit Blut und Mark noch besudelt, und das mit einem Muth und einem Anstand, den allein der Branntwein einhauchen konnte. Hinter ihm kam die lange, hagere, dünnknochige, sehr trunkene und sehr patriotische Gestalt des Klaus Hämmerlein, Präsident der geheimnißvollen Zunftgenossen der Eisenarbeit, welchem wenigstens tausend ungewaschene Künstler dieser Klasse folgten. Weber, Nagelschmiede, Seiler, Künstler jeder Art und jedes Namens, drängten sich vorwärts, um sich der Procession zu vereinen, aus all' den düstern und engen Straßen. Entfliehen schien ein verzweifeltes und unmögliches Unternehmen.
In dieser Verlegenheit wendete sich Quentin an Rouslaer, welcher seinen einen Arm hielt, und an Pavillon, der sich des andern versichert hatte, und die ihn beide an der Spitze dieses Triumphzuges führten, dessen Hauptgegenstand er so unerwartet geworden war. Er machte ihnen in der Eile verständlich, »daß er, ohne daran zu denken, die Mütze der schottischen Garde aufgesetzt habe, weil die Pickelhaube, die er auf der Reise hatte tragen wollen, durch einen Zufall beschädigt worden sei; er bedauerte, daß, durch die Schuld dieses Umstandes, der scharfe Verstand, womit die Lütticher seinen Stand und die Absicht seines Besuchs daraus errathen hätten, alles dies öffentlich gemacht habe; und zugleich ließ er