Wieso sollte Käthe ihr glauben, dachte Trixi grimmig, wenn ihr sogar die Polizei nicht glaubte.
Aber Käthe war noch nicht fertig: »Trotzdem bin ich der Meinung, dass ihr miteinander reden müsst. Wie willst du ihm sonst klar machen, dass er sein Liebeswerben einstellen soll?«
»Das kann ich nicht, weil er das gar nicht hören will. Er hört nur das, was ihm in den Kram passt. Also würde ein Gespräch nichts bringen. Glaubst du, ich hätte das noch nicht versucht?«
»Erstaunlich, wie unbeholfen du dich anstellst. Ich erinnere mich, dass du schon geschickter warst.« Käthe schüttelte den Kopf.
»Sprichst du von Bruno Dold?«
Käthe nickte.
Mit Schrecken erinnerte sie sich an den aufdringlichen Mann. Er war als Kunde in den Salon gekommen und hatte damit geprahlt, dass er alle handwerklichen Arbeiten verrichten könne. Daraufhin hatte Trixi ihn gebeten, eine Wasserleitung in ihrem Haus zu reparieren, was sich schnell als Fehler herausgestellt hatte. Immerzu hatte er versucht, sie anzufassen, dabei einen Blick aufgesetzt, der Liebe ausdrücken sollte, der Trixi aber nur noch mehr abschreckte. Seine kräftige Gestalt hatte ihr Angst eingejagt. Neben ihm hatte Trixi sich wie die weiße Frau in den Fängen des Riesenaffen King-Kong gefühlt.
Immer wieder hatte er ihr aufgelauert, obwohl sie kratzbürstig ohne Ende gewesen war. Aber Bruno hatte sich davon nicht beeindrucken lassen.
»Wie kannst du behaupten, dass ich bei Bruno Dold erfolgreicher war?«
Käthe schaute ihre Freundin eine Weile an, bevor sie mit einem Schulterzucken antwortete: »Fiel mir nur so ein.«
Sie mussten ihr Gespräch beenden, weil die ersten Kunden den Salon betraten.
Es wurde ein langer Arbeitstag, der Betrieb wollte nicht abreißen. In der Vorweihnachtszeit setzten die Kunden alles daran, nicht nur das Haus schön zu gestalten, sondern auch selbst vorteilhaft auszusehen. Alle sprachen von ihren Dekorationen, viele konnten von neuen Errungenschaften berichten, die ihre Häuserfronten zierten. Das hätte Trixi ablenken können, wäre da nicht dieser Artikel der Saarbrücker Zeitung gewesen, der auf der Titelseite stand – mit so großen Lettern, dass sie immer wieder darauf schauen musste: »Frau wurde Opfer ihres Verehrers«
In der Mittagspause nahm sie das Blatt und las den ganzen Artikel durch.
»Am Mittwoch wurde eine fünfundzwanzigjährige Tote in ihrer Wohnung in Saarbrücken, Preußenstraße, gefunden. Die Nachbarn wurden durch den bestialischen Geruch aufmerksam.
Im Verdacht steht ein junger Mann, der der jungen Frau ständig nachstellte – aber auf Ablehnung stieß. Nach Aussagen der Nachbarn ließ das Opfer den Besucher nicht in ihre Wohnung, sondern stritt sich mit ihm lautstark im Treppenhaus. Die Polizei schließt auf eine Tötung im Affekt.«
Der Bericht erschütterte Trixi. Das war ihre Geschichte. Das sollte doch für die Polizei eine Warnung sein, aufdringliche Besucher genauer unter die Lupe zu nehmen. Den Rest des Tages verbrachte sie wie in Trance. Sollte sie froh darüber sein, dass dieser Bericht in der Zeitung stand, weil sie dadurch vielleicht glaubwürdiger werden könnte? Oder sollte sie vorsichtiger sein, weil sie darin lesen konnte, wie weit die Verfolger gingen?
Den Kopf voller zermürbender Gedanken radelte sie in der Dunkelheit nach Hause. Sie musste sich unbedingt ablenken. Das würde ihr am besten gelingen, wenn sie Haus und Zimmer weihnachtlich schmückte.
In ihrem Haus brannte Licht.
Vergessen war der gute Vorsatz.
Erschrocken blieb sie vor der alten Brücke stehen und schaute auf das hell erleuchtete Fenster. Sie war ganz sicher, am Morgen alle Lichter ausgeschaltet zu haben. Was sollte sie tun? Wenn sie das Haus betrat, und Roland dort schon auf sie wartete, wäre sie ihm hilflos ausgeliefert.
Voller Angst drehte sie sich um und hetzte zielstrebig zur Polizeidienststelle in der Saarbrücker Straße.
Ein junger Polizeibeamter hatte Dienst. Als sie ihm außer Atem berichtete, in welchem Zustand sie ihr Haus vorgefunden hatte, zögerte er. Trixi schaute ihn eindringlich an, doch er erwiderte den Blick, ohne einen Kommentar abzugeben.
»Haben Sie heute schon die Saarbrücker Zeitung gelesen?«
»Nein. Warum?«
»Da gibt es einen Artikel über eine Frau, die von ihrem Verfolger getötet wurde. Das könnte mir auch passieren, wenn Sie nichts unternehmen.«
Daraufhin las er aufmerksam den besagten Bericht auf der Titelseite. Währenddessen schaute er sie immer wieder an.
»Sie glauben also, dass Sie ein Stalking-Opfer sind?«
»Genau das«, antwortete Trixi aufgeregt. Der Polizeibeamte sprach genau das aus, was sie empfand.
Sie fuhren mit einem Dienstfahrzeug in den Grumbachtalweg. An der alten Brücke musste er das Auto abstellen. Zu Fuß legten sie das letzte Stück zurück.
Das Haus lag in völliger Dunkelheit.
»Eben hat noch Licht gebrannt.« Trixi war verzweifelt.
Der Polizist ging mit ihr hinein. Alles war dunkel und still. Er durchsuchte jedes Zimmer, um sich davon zu überzeugen, dass dort niemand lauerte. Vor der Tür, die zum Treppenhaus führte, blieb er erstaunt stehen und schaute Trixi fragend an.
»Wo führt diese Tür hin?«
»Zur Treppe nach oben.«
»Haben Sie dort immer abgeschlossen?«
»Ja!«
»Warum?«
»Ich benutze die oberen Etagen nicht mehr, seit meine Eltern tot sind.«
»Ich möchte mir gern die oberen Zimmer ansehen. Wenn sich wirklich jemand unbemerkt im Haus aufhält, hätte er ein leichtes Spiel.«
Sie eilte in die Küche, zog mehrere Schubladen auf, bis sie den passenden Schlüssel fand. Als sie sich umdrehte, stand der Polizist dicht hinter ihr. Aber ihr erster Eindruck, dass er sich ihr nähern wollte, wurde mit seiner nächsten Frage zunichte gemacht: »War der Schlüssel schon immer in dieser Schublade?«
Trixi war unsicher. Sie hatte den Schlüssel in einer der oberen Schubladen vermutet, könnte sich aber auch irren. Sie las den Namen auf der Uniform des Polizisten:
H. Hollmann, Polizeihauptmeister.
»Ich weiß es nicht«, meinte sie dann.
»Dann kommen wir nicht umhin, die obere Etage zu überprüfen.«
Er sperrte die Tür auf und schaltete das Licht an. Langsam stieg er nach oben, gefolgt von Trixi, die sich immer unbehaglicher fühlte. Der Polizist durchsuchte jedes Zimmer – ohne Ergebnis. Wieder im Erdgeschoss wollte er auch den Keller sehen. Trixi nickte mutlos, weil sie inzwischen die Hoffnung aufgegeben hatte, dass es irgendwo im Haus eine Spur des Eindringlings geben würde. Dieser Kerl war einfach zu geschickt.
Die Kellerräume waren feucht und dunkel. Die Glühbirne an der Decke spendete nur wenig Licht. Hollmann schaltete zusätzlich seine Taschenlampe an, um etwas erkennen zu können. Die Rückseite des Hauses war direkt an den Berg angebaut. Dadurch zog Feuchtigkeit in die Wände. Hässliche Ränder zeichneten sich vom grauen Putz ab.
Spuren eines Einbrechers fand er nicht.
Wieder im Hausflur standen sie sich schweigend gegenüber, bis sein Blick auf die Tür zur Abstellkammer fiel.
»Was befindet sich dort?«
»Meine Abstellkammer. Ziemlich überfüllt.«
Trotzdem warf er einen Blick hinein, wobei er das bestätigt fand, was Trixi geschildert hatte.
Für den Polizisten gab es nichts mehr zu tun. Es fiel Trixi schwer, ihn gehen zu lassen. Seine Anwesenheit gab ihr das Gefühl von Sicherheit, genau das, was sie brauchte.