»Von der Welt abgeschnitten!«
»Völlig auf uns allein gestellt!«
»Kein Strom!«
»Kein Radio!«
»Kein Fernsehen!«
»Wir werden wieder die alten Kartenspiele heraussuchen müssen, um uns die Zeit zu vertreiben«, hielt Trixi begeistert die Hände hoch.
»Wir werden unseren Vorrat an Kerzen aufbrauchen«, spann Käthe den Faden weiter.
»Kartenspiele im Kerzenschein. Das klingt traumhaft schön.«
»Weiße Weihnacht im Saarland«, rief Käthe. »Ich glaube, das habe ich noch nie erlebt.«
»Du musst eben Weihnachten bei mir verbringen.«
»Geht nicht«, hielt Käthe dagegen. »Ich muss zu meiner Familie, sonst werde ich enterbt.«
»Wenn du eingeschneit bist, kommst du gar nicht hin.«
»Stimmt. Leider bekomme ich kalte Füße.«
»Wenn der Schnee die Scheiben zudeckt, müssen wir ins Obergeschoss ausweichen, um das Treiben weiter zu beobachten.«
»Aber was tun wir, wenn er bis dorthin reicht?«
»Dann klettern wir aufs Dach.«, schlug Trixi weise vor.
Schnatternd vor Kälte aber glücklich gingen beide wieder ins Haus zurück. In der Küche wärmten sie sich bei einem heißen Kaffee auf.
Auch der Montag verlief ohne Zwischenfälle.
Am Nachmittag fielen nur noch vereinzelte Flocken. Trixi stand am Fenster und meinte: »Keine Schneekatastrophe in Sicht.«
»Also müssen wir nicht ins Obergeschoss flüchten?« Käthe stellte sich neben ihre Freundin und schaute auf den verschneiten Autofriedhof.
»Nein. Und wie es jetzt aussieht, wirst du Weihnachten bei deiner Familie verbringen können.«
»Wenn du willst, kann ich bis dahin bei dir bleiben.«
Gedanke war verlockend. Aber war das Angebot auch ernst gemeint?
»Nur, wenn du das wirklich willst«, antwortete sie und blickte ihre Freundin fragend an.
»Sicher! Bis Weihnachten sind es immerhin noch zwei Wochen. Bis dahin könnte ich bei dir einziehen. Hier zu wohnen ist nicht schlecht, weil es nicht weit bis zur Arbeit ist.«
Die Vorstellung, noch zwei Wochen Käthes Gesellschaft zu haben, gefiel Trixi. Wenn sie richtig vermutete, würde sie in dieser Zeit nicht nur die Zweisamkeit mit ihrer Freundin genießen, sondern auch Ruhe vor ihrem Verfolger haben. Diese Aussichten stimmten sie zuversichtlich.
Am Dienstagmorgen machten sie sich zusammen auf den Weg zur Arbeit. Sie hatten ihren letzten freien Montag in diesem Jahr verbracht. Von nun an mussten sie bis zum Jahresende sechs Tage in der Woche arbeiten, weil ein großer Kundenandrang erwartet wurde. Aber das konnte Trixi nicht erschüttern. Sie war einfach nur glücklich.
*
Weihnachten stand vor der Tür.
Einen Tag vor Heiligabend packte Käthe ihren Koffer.
»Du weißt, dass ich nicht länger bleiben kann.« Käthe schaute ihre Freundin mit traurigem Gesicht an. »Meine Eltern sind schon alt. Ich weiß nicht, wie oft ich Weihnachten noch mit ihnen verbringen kann.«
»Das verstehe ich. Wie schnell man seine Eltern verlieren kann, habe ich erfahren müssen«, stimmte Trixi zu. Ihre Mutter war überraschend an einem Herzinfarkt gestorben. Ihr Vater war seiner Frau kurze Zeit später gefolgt – er starb vor Gram und Trauer, war niemals über den Tod seiner Frau hinweggekommen.
»Es war eine schöne Zeit mit dir zusammen. Vielleicht kommst du mich ja mal wieder besuchen.«
»Bestimmt!«
Mit ihrem Koffer verließ Käthe das Haus. Auf dem Gehweg lag eine dünne Schneeschicht. Darunter befand sich Eis, sodass es spiegelglatt war.
»Melde dich bitte bei mir, wenn du angekommen bist«, rief Trixi ihrer Freundin hinterher. »Bei den Straßenverhältnissen mache ich mir Sorgen um dich.«
»Ich schicke dir eine SMS«, kam es zurück. Käthe musste sich darauf konzentrieren, ihren Koffer über das Eis zum Wagen zu schaffen, ohne zu stürzen. zum Abschied winkte sie ihr einmal zu und fuhr davon.
Zurück blieb ein einsames Haus.
Niemals hätte Trixi es für möglich gehalten, dass ihr Käthe einmal so wichtig werden könnte. Allein stand sie in dem erleuchteten Wohnzimmer und spürte eine lähmende Traurigkeit aufkommen. Rasch besann sie sich, begann aufzuräumen und zu putzen. Arbeit lenkte sie ab.
Das Klingeln des Telefons unterbrach ihre Tätigkeit.
Wollte Käthe ihr nicht eine SMS schicken?
Sie hob ab und erlebte eine unangenehme Überraschung. Es war Roland Berkes.
»Ich möchte dich an einem der Weihnachtsfeiertage zum Essen einladen.«
Trixi war fassungslos. Woher wusste er, dass sie wieder allein war? Als sie nicht reagierte, sprach er seine Einladung noch mal aus. Trixi glaubte zu träumen. Kaum hatte Käthe das Haus verlassen, ging alles von vorn los. Wie oft hatte sie versucht, ihm klarzumachen, dass sie nicht mit ihm ausgehen wollte? Wie viele Beleidigungen hatte sie ihm an den Kopf geworfen? Wie oft hatte sie ihm ihren Standpunkt klargemacht? Das alles hatte nichts genützt.
»Was ist mit dir, Trixi?«, fragte er. »Warum sagst du nichts?«
»Weil ich dir nichts zu sagen habe.«
»Aber ich lade dich doch nur zum Essen ein.« Rolands Tonfall und seine Stimme klangen so niedergeschmettert, dass Trixi plötzlich Zweifel bekam, ob er wirklich hinter diesen grausamen Taten steckte.
Was war nur los mit ihrnm? Beeinflusste das bevorstehende Fest der Sentimentalitäten ihre Entschlossenheit?
»Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe?«, gab sie zurück. »Du richtest mir Weihnachtsschmuck ein, ohne mich vorher zu fragen, du …« weiter kam sie nicht mehr, da warf Roland ein: »Ich wollte dir nur eine Freude machen.«
»Eine Freude, indem du mir einen geschmückten …«
»Was ist daran so verwerflich, einen Menschen, den man von Herzen gern hat, einzuladen? Ich weiß, dass du allein bist über die Feiertage. Ich habe nur eine kranke Mutter als Gesellschaft. Da könnten wir uns die Zeit gemeinsam schöner machen.«
Sie konnte seine Nachstellungen nicht mehr ertragen. Einerseits hielt er ihr vor, dass er bestens über ihr Leben Bescheid wusste, andererseits mimte er den Verliebten. Also beschloss sie, ihn anzulügen, damit er endlich Ruhe gab: »Nein. Pflege du deine Mutter – ich habe einen Gast.«
Aber anstatt Roland Berkes zu überraschen, überraschte er sie: »Du hast keinen Gast. Wen denn? Es gibt niemanden in deinem Leben.«
Erschrocken legte Trixi auf. Weggewischt waren die Zweifel, ob er wirklich hinter den grausamen Ereignissen steckte, die in und um ihr Haus herum geschahen. Nun hatte sie Gewissheit.
Wieder klingelte das Telefon. In der Annahme, dass es dieses Mal nur Käthe sein konnte, hob sie ab. Stattdessen hörte sie schon wieder die verhasste Stimme: »Nimmst du meine Einladung zum Essen an?«
»Du bist krank im Kopf! Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?«
»Du hast geschwindelt. Das ist keine Antwort, sondern nur ein Ausweichmanöver.«
Da hatte Trixi wieder die Bestätigung dafür, dass sein Verhalten abnormal war. Aber sie war allein, Käthe war nicht da, um es bezeugen zu können. Roland wusste genau, was er tat.
»Dann sage ich es deutlicher: Nein und nochmals nein.«
Mit