Aus smarter Silbermöwensicht. Martina Kirbach. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Kirbach
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754182710
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      »Abgemacht. Helfen Sie mir beim Anziehen«?

      »Nur, wenn Sie mir erklären, warum Sie nicht mehr zum Spielenachmittag gehen!«

      »Will ich ja, aber die anderen gewinnen immer!«

      »Immer?«

      »Na ja, die letzten drei Mal.«

      »Na, logischerweise sind Sie die nächsten Male dran.«

      »Glauben Sie wirklich?«

      »Ganz sicher. Also, gehen Sie?«

      »Na ja, wenn Sie das sagen, aber wehe, sie haben nicht recht und ich verliere wieder.«

      Anja lächelte Frau Duderstett verschmitzt an und sagte: »Ich habe recht«, und schickte sicherheitshalber ein kleines Stoßgebet gen Himmel. Als sie das Zimmer verließ, leuchtet auf dem Display des Stationshandys Herr Stegers Zimmernummer.

       Marcos Herz klopfte und er zitterte vor Anspannung, hatte er doch seine Ausrüstung peinlichst genau geprüft. Vieles war in zweifacher Ausführung vorhanden für den Fall, dass etwas verloren ging oder funktionsuntüchtig wurde: Helm, Handschuhe, Steigeisen, Seile, Eispickel, Karabiner und, und, und…

       Er und seine zwei Expeditionskumpel waren doch alle drei erfahrene Bergsteiger. Ein Jahr lang hatten sie sich vorbereitet: Karten studiert, Erfahrungsberichte gelesen und vor allem trainiert und sich körperlich fit gemacht. Deshalb ... Wieder ging ein Zittern durch Marcos Körper und…

      

      Anja stieß energisch die Tür zu Marco Stegers Wohneinheit auf und sah, dass sie ihn dabei aus einem unheilvollen Traum befreite. Er war angstschweißgebadet.

      »Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Steger. Was gibt es denn?«

      »Wieso, was gibt‘s?«

      »Na, Sie haben doch geklingelt?«

      »Nein, hab ich nicht!«

      »Ist auch egal, ich hatte ohnehin vorgehabt, bei Ihnen mal wieder nach dem Rechten zu schauen. Vermutlich sind Sie versehentlich an die Klingel gekommen. Sie sehen blass und gestresst aus.«

      »Ich hatte einen fürchterlich chaotischen Traum.«

      »Träume sind oft chaotisch, meine ebenfalls.«

      »Ja, aber meiner beginnt immer gleich: Ich sichte und kontrolliere meine Ausrüstung. Wir fahren nach Kathmandu, nehmen den Bus nach Nyalam, bauen nach zwei Tagen Fußmarsch das Basiscamp auf, und dann beginnt das Chaos… jedes Mal anders, aber ähnlich entsetzlich. Bisweilen habe ich den Eindruck, dass es mit jeder Wiederholung grauenhafter wird.«

      »Ein Traum, der immer wieder kommt?« Anja näherte sich Herrn Steger vorsichtig.

      »Ja, gut, dass Sie gekommen sind… Es war heute nur der Anfang.«

      »Da sehen Sie mal. Soll ich öfter vorbeischauen?«

      »Vielen Dank. Das ist nicht nötig. Ich komm‘ schon alleine klar«, erklärte Herr Steger so unvermittelt kühl und abweisend, dass Anja kurz überlegte, den Raum zu verlassen. Doch sie gab diesem Impuls nicht nach, sondern setzte sich ans Fenster und blickte hinaus.

      Gestern noch hatte sie mit Mona darüber gesprochen, dass es Heimbewohner gibt, die sich aus scheinbar unerfindlichen Gründen unvermittelt zurückziehen.

      »Nimm es nicht persönlich«, hatte Mona gesagt. »Die eigene Hilfsbedürftigkeit zu akzeptieren ist für viele wahnsinnig schwer. Zu ahnen, dass das eigene Selbstbild illusionär ist, macht viele traurig oder lässt sie verzweifeln. Wie oft habe ich diesen schmerzhaften Ernüchterungsprozess beobachtet. Es ist möglich, die Menschen, so gut es eben geht, mitfühlend zu begleiten. Nur, abnehmen können wir es ihnen nicht. Leider ist es oft ein Vorstadium einer tiefer gehenden Resignation.«

      Nein, abnehmen können wir es ihnen nicht, wohl aber verständnisvoll begleiten. Monas Worte klangen in Anja nach.

      »Na gut, wenn Sie schon mal da sind«, durchbrach Marco Steger Anjas Gedankenfluss, »dann könnten Sie mir ja neue Wäsche herunterreichen, beziehungsweise den Inhalt des obersten Regals weiter unten einordnen, ja?«

      »Eine gute Idee, mache ich sofort«, sagte Anja, froh, etwas tun zu können.

      »Und morgen erklären Sie mir die Sache mit dem Ankommen«, versuchte Anja, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen.

      »Ankommen?«

      »Ja, Sie haben an ihrem ersten Tag gesagt, dass Ankommen für Sie Aufbruch und Abenteuer bedeutet, oder so ähnlich. Das fand ich ungewöhnlich, aber an die genauen Worte erinnere ich mich nicht mehr.«

      »Wozu auch? Es ist völlig irrelevant - das interessiert hier sowieso keinen.« Anja wich unwillkürlich ein paar Schritte zurück.

      »Wenn Sie meinen, dann auf Wiedersehen, Herr Steger. Ich hab noch ‘ne Menge zu tun.«

      Irritiert verließ sie das Zimmer.

      Männer

      Nachdenklich blieb Marco Steger zurück. Irgendwas war schief gelaufen. Nur was? Anja war fort und er hatte Gelegenheit und Zeit, darüber nachzugrübeln. Viel Zeit.

      Sein Albtraum kam nicht von ungefähr. Ein ganzes Jahr lang hatten sie sich vorbereitet: Sie, das waren Bernd, Andreas und er selbst. Kartenstudium und Training unter Anleitung erfahrener, umsichtiger Bergführer. Wagemutige Gipfelstürmer waren ihnen stets suspekt erschienen. Einzeln, in ihrer Dreiergruppe oder mit anderen Bergsteigern hatten sie auf vielen Bergtouren und Gipfelbesteigungen in Europa Erfahrungen gesammelt. Zusammen hatten sie den ›Antelao‹ und ›Gran Paradis‹ in den italienischen Alpen bezwungen, den ›Piz Kesch‹ in der Schweiz und in Frankreich die ›Barre des Ecrins‹ und den ›Mont Blanc‹, alles Gipfel über 3200m hoch. In der Zwischenzeit hatten sie zusätzlich gemeinsam ein Spaltenbergungstraining absolviert.

      Keiner von ihnen hatte die wahnwitzige Ambition, in die Klasse der Weltberühmtheiten wie Reinhold Mesmer oder Ralf Dujmovits aufzusteigen. Aber die 8000m wurden zu einer magischen Zahl und die Idee zum Projekt: Einmal im Leben wollten sie gemeinsam einen Achttausender besteigen. Es war nicht die Gefahr, die sie suchten, sondern der Wunsch nach der eigenen persönlichen Grenzerfahrung. Soweit hatte Konsens bestanden und ihnen das Gefühl gegenseitiger Verbundenheit gegeben. Darüber, was diese Grenzerfahrung für den Einzelnen jeweils konkret bedeutete, hatten sie nicht gesprochen.

      Marco blickte auf die Uhr an der Wand. Obwohl es erst 11:00 Uhr war, fühlte er sich müde und erschöpft. Warum sollte er nicht vor dem Mittagessen ein wenig ruhen? Er hievte sich vom Rollstuhl ins Bett und rollte sich mit einem erleichterten Seufzer auf die Seite. Es war beruhigend zu wissen, dass Albträume ihn tagsüber nie heimsuchten.

      Später, bei Tisch setzte sich ein ihm bislang unbekannter Herr zu ihm.

      »Guten Appetit, mein Name ist Hummer, Frederik Hummer.«

      »Danke gleichfalls, Marco Steger.«

      »Sind Sie schon lange hier?«

      »Keinesfalls, erst eine Woche. Noch habe ich mich nicht an den Gedanken gewöhnt, hier jetzt für immer zu bleiben.«

      »Wer sagt denn, dass dies hier eine Endstation für Sie ist. Es gibt so viele Alten… Pardon, Seniorenheime, Residenzen, Pflegeeinrichtungen und wie sie heutzutage heißen. Da reicht ein Menschenleben nicht aus, die alle auszuprobieren.«

      »Sie probieren die aus?«

      »Ja, ich habe bereits vor zehn Jahren damit angefangen. Gleich nach meiner Pensionierung. Ich plane nämlich einen Michelin über Altenwohnheime.«

      »Ein zweiter ›Ihr da oben… wir da unten‹1

      »Nicht ganz, ich mach‘ das ja nicht inkognito. Ich erzähle offen, dass ich gerne zur Probe wohnen möchte. Wenn ein Haus daraufhin abwinkt, dann weiß ich, dass da etwas