»Herr Hoffmann, der Manager, hatte ein Abendessen für Frau Schneider im resorteigenen Restaurant ausgerichtet. War ursprünglich nur für die beiden gedacht, aber dann kam überraschend ihr Freund aus Berlin. Hoffmann und unsere Leiche scheinen nicht begeistert davon gewesen zu sein.«
»Sagt wer?«, warf Mercédès ein und lenkte ihren Blick, der sich über dem Meer verloren hatte, interessiert Richtung Miquel.
»Frau Fichtelhuber, die hast du ja schon kennengelernt.«
»Und woher weiß Frau Fichtelhuber das so genau?«, fragte sie spöttisch.
»Sie saß mit ihrem Mann am Nebentisch und hat das Gespräch zufällig mitangehört.«
»Zufällig ... wer´s glaubt. Was hat sie gehört?«
»Wie Sabrina Schneider den jungen Mann angefaucht hat, was er hier verloren habe. Er wisse doch genau, dass sie auf Mallorca ihre Ruhe haben möchte und sich entspannen wolle. Und dabei soll sie dem Hoffmann schöne Augen gemacht haben, sagt die Fichtelhuber.«
Mercédès lachte herzlich auf. »Wie gut, dass es Menschen gibt, denen das eigene Leben nicht genug ist und die ihre Nase in fremde Angelegenheiten stecken. So helfen sie uns bei unseren Ermittlungen. Dann werde ich mal Herrn Hoffmann auf den Zahn fühlen, ob Frau Schneider ihm ›schöne Augen‹ gemacht hat und erkunden, was es mit dem jungen Mann aus Berlin auf sich hat. Und nach dem älteren Mann fahnden, der laut Frau Fichtelhuber ›etwas mit ihr laufen hatte‹. Seine Apartmentnummer ist mir ja dank Rosie Fichtelhuber bekannt.«
»Und was mache ich?«
»Du wirst die anderen Gäste befragen, von denen wir die Personalien aufgenommen haben, ob sie am Morgen etwas Verdächtiges bemerkt haben. Und das Personal, das Frau Schneider kannte. Allerdings gehen wir von einer Unfall-These aus. Sollte es doch Mord sein, wiegt sich der Täter in Sicherheit.«
»Alles klar. Wo treffen wir uns wieder?«
»Am Nachmittag im Büro. Ich nehme an, unsere Dienststelle ist auch am Wochenende besetzt«, lächelte sie.
»Weißt du denn schon, wo die ist?«, lachte Miquel verschmitzt.
»Ich werd´s finden«, antwortete Mercédès lakonisch.
Mercédès stand einige Zeit vor dem Gebäude, in dem Rezeption und Büros der leitenden Angestellten untergebracht waren, und betrachtete Werner Hoffmann durch das Fenster. Erneut fiel ihr seine außergewöhnliche Attraktivität und seine besondere Ausstrahlung auf, obwohl sein Gesichtsausdruck verkniffen wirkte und er irgendwie in sich gekehrt zu sein schien. Sie konnte sich seiner Aura trotz Glasscheibe nicht entziehen. Ein bemerkenswerter Mann, überlegte sie. Wie alt er wohl war? Anfang/Mitte vierzig? Sie musste unbedingt herausfinden, ob sein Gemütszustand mit dem Tod von Sabrina Schneider zusammenhing.
Sie betrat das Haus, schlüpfte an der Rezeption an einer verblüfften, ausgesprochen hübschen jungen Frau vorbei, klopfte an seine Tür und trat ohne Aufforderung ein.
»Herr Hoffmann, ich hätte noch einige Fragen«, begann sie sofort, ohne Begrüßung.
Übellaunig erhob sich der Manager hinter seinem Schreibtisch. »Womit kann ich dienen?«
Der Ausdruck ›dienen‹ zauberte ein Lächeln in ihr Gesicht. Neugierig fragte sie: »Wo kommen Sie denn her?«
»Aus Wien«, sagte er kurz angebunden.
»Und wie lange leben Sie auf Mallorca?«
»So an die zwölf Jahre. Aber ich denke nicht, dass Sie hier sind, um über meine Mallorca-Erfahrung mit mir zu plaudern«, meinte er eisig.
»Nein, da haben Sie recht. Ich möchte mir das Apartment der Toten ansehen.«
»Äh, natürlich. Aber Ihre Kollegen von der Spurensicherung waren bereits da.«
»Ich weiß. Doch ich mache mir gerne selbst ein Bild. Und ich hätte ein paar Fragen an Sie. Würden Sie mich begleiten?«
»Wie Sie wollen«, meinte er höflich. »Ich gehe voraus.«
Sie folgte dem großgewachsenen Mann durch die liebevoll gestaltete Anlage, vorbei am glasverschalten Restaurant, das über einige Stufen direkt vom gepflegten Strand aus erreichbar war. Aus dem Inneren konnte man wahrscheinlich einen herrlichen Blick auf das Meer genießen, sinnierte Mercédès. Kein schlechter Platz für eine Auszeit vom täglichen Trott. Die ausladende, mit Steinen gepflasterte Terrasse davor wirkte einladend, nur etwas kahl, jetzt, in den Herbstmonaten. Vereinzelt saßen Gäste mit Zeitungen an den Tischen, erfreuten sich an den Sonnenstrahlen und tranken Kaffee. An einer Seite der Terrasse wurde gerade eine Art Podium für den Winter »eingepackt«, vermutlich die Bühne, wo in der Hauptsaison die abendlichen Belustigungen für die Gäste stattfanden. Nichts für sie. Sie verabscheute diese Art der Unterhaltung.
Sie kamen am Hallenbad vorbei. Alles war wieder ruhig, die Leiche war weggebracht worden, das Absperrband vor dem Eingang wehte leicht im sanften Wind, der vom Meer her blies. Der hintere Teil der Häuserwand von dem Gebäude, in dem neben dem Bad auch die Wäscherei untergebracht war, wie sie im Vorbeigehen bemerkte, war von bunten Bougainvilleas bewachsen, die in der Sonne leuchteten. Doch Mercédès hatte keine Zeit, sich an den herrlichen Blüten zu erfreuen, denn Werner Hoffmann holte weit aus mit seinen Schritten und sie hatte Mühe, ihm zu folgen. Schweigend trotteten sie hintereinander die Stufen zu den Apartment-Häusern hinauf. Eine schmale Treppe führte in den zweiten Stock von Haus 9 zu Apartment 920.
Er öffnete die Tür, ließ ihr aber den Vortritt. Ein prachtvoller Ausblick über Palmen direkt auf das Meer bot sich durch die großzügige Fensterfront auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, den sie betraten.
»Was für eine Aussicht!«, rief sie überwältigt aus. Doch dann stutze sie. Wo war die Spurensicherung?
»Ist die Spurensicherung schon abgezogen?«, drehte sie sich überrascht zu Hoffmann um.
Der sagte nichts, starrte nur auf den Esstisch, der hinter der Küchenzeile, die durch eine Art Bar vom restlichen Zimmer getrennt war, an der Wand stand, umgeben von vier Sesseln. Weiter hinten im Raum, knapp vor den bodentiefen Fenstern, befand sich eine Couch mit einem kleinen Tischchen davor. Sie beobachtete Hoffmann aufmerksam, der immer noch fasziniert auf den Esstisch stierte.
Hier habe ich sie das erste Mal geliebt, dachte dieser traurig. Vor ziemlich genau fünf Jahren. Bei ihrem allerersten Besuch hatte sie mich gebeten, ihr die Koffer auf das Zimmer zu tragen. Er tat dies normalerweise nie, aber ihre grauschimmernden Augen hatten ihn von Anfang an fasziniert und in seinen Bann gezogen. Nachdem sie das Apartment betreten hatten, hatte sie sich lasziv an diesen Tisch gelehnt.
»Wollen Sie mir Gesellschaft leisten und einen Begrüßungsschluck mit mir trinken?«, hatte sie ihn herausfordernd angelächelt.
Er hätte ablehnen sollen. Nie trank er mit Gästen einen Begrüßungsschluck. Er war Manager der Anlage und nicht persönlicher Betreuer. Doch er war in die Küche gegangen, hatte den Begrüßungswein geöffnet und zwei Gläser eingeschenkt.
»Salud!«, hatte sie bemerkt und mit ihm angestoßen. Nie würde er ihre Augen dabei vergessen. Spöttisch hatten sie sich in seinen verfangen. Er vergaß, dass er der Manager war, er vergaß alles. Er war auf sie zugetreten, hatte ihr das Glas abgenommen, sie einfach in seine Arme gezogen und leidenschaftlich geküsst. Und dann war es passiert. Gleich auf dem Tisch.
Es war nicht bei dem einem Mal geblieben. Fast täglich hatte er sie besucht und sie hatten sich geliebt. Überall im Apartment. Im Bett. Auf dem Esstisch. Auf der Küchenarbeitsplatte. Auf der Couch. In der Dusche. Er war ihr regelrecht verfallen.
Nach ihrer Abreise war er in ein tiefes Loch gefallen. So süchtig war er nach ihr gewesen. Also war er ihr nach Berlin gefolgt, aber sie hatte ihn vor ihrer Tür abgewiesen. »Ein wunderbarer Urlaubsflirt, aber nicht mehr«, hatte sie nur gesagt und die Tür geschlossen. Er war sich wie ein Esel vorgekommen.
Ein Jahr später war sie erneut im Resort aufgetaucht. Er war wie elektrisiert,