Eigentlich wäre erst morgen ihr erster Arbeitstag. Eigentlich ... Sie hätte es nicht so eilig gehabt mit ihrem Dienstantritt, dachte sie frustriert. Warum nur hatte man sie auf diese gottverdammte Insel versetzt, die von Ausländern beherrscht wurde? Sie aus ihrem geliebten Madrid verbannt?
Abgelenkt von ihren Gedanken hätte sie fast die Abzweigung nach La Romana verpasst. Kaum zwanzig Minuten hatte sie für die Strecke gebraucht. Und musste trotz ihrer Vorurteile zugeben, dass die Fahrt sie durch eine reizvolle Landschaft geführt hatte. Links von ihr das Meer, das hin und wieder durchblitzte. Die Küste dürfte von größeren und kleineren Buchten durchsetzt sein, an denen sich die Orte wie auf einer Perlenschnur aufreihen mussten, wenn sie an die vielen Abfahrten und Hinweise auf diverse Ortschaften dachte. Könnte spannend werden, diese zu erforschen, überlegte Mercédès. Auch die rechte Seite ins Landesinnere reizte sie. Je weiter sie sich von Palma entfernte, desto näher rückten die Berge ans Meer. Anscheinend hatte die Insel doch mehr zu bieten, als sie sich durch ihre Aversionen wegen Ballermann eingestehen mochte.
Das Urlaubs-Resort, das Miquel als Ziel genannt hatte, war gut ausgeschildert und sie parkte ihren kleinen Mietwagen vor der Rezeption. Sie brauchte nicht zu fragen, wo die Leiche zu finden war. Polizisten in Uniform in verschiedenen Farben markierten den Weg Richtung Tatort. In Spanien gab es zur Überraschung vieler Ausländer neben der » Policía Local« noch die »Guardia Civil« und die » Policía Nacional«. So blieben Überschneidung von Zuständigkeiten, Kompetenzgerangel und Verzögerungen nicht aus, dachte Mercédès wieder einmal amüsiert. Wie oft hatte sie sich über diese Zustände schon echauffiert.
Die schwarz uniformierte Policía Local übernahm vorzugsweise Ordnungsfunktionen. Sie regelte den Verkehr, bat Verkehrssünder zur Kasse, trat bei Einbrüchen und Diebstählen in Aktion. Auch bei Streit, Körperverletzung und Nötigung schritt die Policía Local ein. War aber ein Messer im Spiel, war die grün gekleidete Guardia Civil zuständig. Die durften, im Gegensatz zur Policía Local, bei Delikten wie Raub oder Vergewaltigung die Täter beziehungsweise Verdächtigen verhaften. Wurde das Opfer allerdings bedroht, verfolgt und fürchtet um sein Leben, war die blau gekleidete Policía Nacional für die Aufklärung zuständig. Da lag es auf der Hand, dass alle drei Polizeisektionen ständig überprüfen mussten, ob ein Fall in ihre oder in eine andere Kompetenz fiel. Wenn sich die Policía Local nicht sicher war, rief sie die Guardia Civil, die rief bei Gewaltverbrechen die Policía Nacional ... Deshalb hatte man sie heute Morgen geweckt.
Rund um den Tatort wimmelte es von Neugierigen. Mercédès musste schmunzeln, als sie die vielen Menschen wahrnahm, die sich ihre Nasen an den riesigen Glasscheiben platt drückten, hinter denen das Hallenbad erkennbar war, um etwas von der Sensation mitzubekommen, die sich hier buchstäblich vor ihrer Nase abspielte.
Ein junger, schwarz uniformierter Polizist der Policía Local stand vor der Glasfassade und wies sie ein, nachdem sie ihren Ausweis gezeigt und sich knapp vorgestellt hatte. »Wissen wir schon, wer das Opfer ist?«, erkundigte sie sich. Miquel hatte am Telefon nur angemerkt, sie hätten eine weibliche, schwimmende Leiche.
»Senyora Sabrina Schneider. Seit Ende Oktober Gast in der Anlage. Sie bewohnt Apartment 920. Laut Resortleiter wollte sie ihr neuestes Buch fertigstellen.«
»Eine Schriftstellerin? Interessant. Welche Art von Literatur?«, fragte Mercédès neugierig.
»Erotische«, antwortete der junge Polizist leicht errötend.
»Olala«, konnte sich die Comissària ein Lächeln nicht verkneifen. »Wer hat sie gefunden?«
Der Kollege deutete auf das ältere Ehepaar, das, in seine abgewetzten Bademäntel gewickelt, in einer Ecke des Hallenbades stand und dem geschäftigen Treiben fassungslos zusah. Wobei, fassungslos war eher er. Sie schien die Situation zu genießen. Bevor Mercédès ins Gebäude verschwand, bat sie den Kollegen, die Schaulustigen zurückzudrängen, denn auch eine Tote hatte Privatsphäre verdient.
»Das habe ich versucht, Comissària. Aber die wollen einfach nicht hören! Die Herbstmonate sind immer sehr, sehr ruhig. Anfang November schließen viele Läden und Cafés, es werden kaum noch Aktivitäten angeboten. Nur hin und wieder ein bisschen Klatsch und Tratsch. Und jetzt ist endlich etwas los. Da wollen sie nichts versäumen. Außerdem soll die Tote die letzte Woche die Hauptperson des allgemeinen Interesses gewesen sein«, zwinkerte er ihr zu.
»Versuchen Sie´s trotzdem noch mal, ja?«
Er nickte Gott ergeben.
Die Kommissarin näherte sich dem Paar, das die Tote gefunden hatte. Die Dame wirkte leicht gehässig, machte sich mit bissigen Bemerkungen über die Tote her.
»Buenos días«, grüßte Mercédès freundlich, »ich bin Comissària Mercédès Mayerhuber und leite die Ermittlungen. Wer sind Sie?« Wie immer, wenn Sie sich mit ihrem ausgefallenen Namen vorstellte, wanderten zuerst einmal erstaunte Augen in ihre Richtung. Wie hatte sie das satt!
»De ausgschamte Person, die häd no gar ned so fria im Pool sei derfa. De sperrn jo east um achte auf«, keifte die Frau gleich los.
»Bisd stad, Mutti, die Frau Kommissarin interessiad des ned.« Mit einem entschuldigenden Blick auf seine Frau drehte er sich der Kommissarin zu. »Rosmarie und Josef Fichtelhuber aus Rosenheim. Mia überwintern do. Wia jeds Joar.«
Auch eines dieser deutschen Paare, die es sich leisten konnten, den Winter im wärmeren Mallorca zu verbringen und den Einheimischen die Preise ruinierten, dachte Mercédès leicht verbittert, ließ es sich aber nicht anmerken.
»Kannten Sie Frau Schneider?«
»Kenna is zvui gsogt. Obwoi sie a Stammgast is. Gseng hom mia sie a boh moi. Oiwei mid andern Mannsbuidern«, keifte Frau Fichtelhuber los. »De war aa aus Rosenheim. Friaha. Bevoa sie noch Berlin ganga is. War oiwei so a ausgschammts Luada. Nia fahairad, aba oiwei oan, der um sie herumgschwanzelt is.«
Die Comissària hob leicht die Augenbraue. »Herumgschwanzelt?«, versuchte sie zu formulieren.
»Na, Männa hoid, de ihr nachglaffa san.«
»Aha. Sind ihr hier auch Männer nachgelaufen?«
»Na sicha. Auf 602 wohnt a ältera Mo mid seina krankn Frau, der hod si öfta mit ihr unterhoidn. Ma munkelt, dass do wos g´laufon is. Jo, und seid a pooa Tog is auf 115 so a junga Mo, der wos do allon wohnt. Der sull ogeblich ihr Liabhobr aus Berlin sei. Und da Resoatleita, da do drend so vaschdoanart städ, da Herr Hoffmann, soi aa a Aug auf ihr g´woafa hom.«
»Mutti, jetzt hear scho auf damit. Des san ois grod Vamutunga. Mia wissn gar nix«, wieder mit einem entschuldigenden Blick zur Kommissarin.
Diese lächelte leicht und meinte: »Danke vorerst, wenn wir noch Fragen haben, wo können wir Sie finden?«
»Mia wohna im Heisl 8, auf 815«, antwortete Herr Fichtelhuber, hakte seine Frau unter und zog die protestierende Rosie hinter sich her. Mercédès schaute den beiden nach, bevor sie sich an den Manager des Hotels wandte.
„Buenos días. Herr Hoffmann, wenn ich nicht irre?“, fragte Mercédès den immer noch wie versteinert dastehenden Geschäftsführer.
»Ja, der bin ich«, und wunderschöne, bernsteinfarbene Augen in einem markant geschnittenen Gesicht richteten sich auf die Kommissarin. Ein Blick, der Mercédès unter die Haut ging und ein eigenartiges Kribbeln in ihr hervorrief. Nicht nur, weil sie nicht mit einem dermaßen attraktiven Mann gerechnet hatte, sondern sie war überrascht über den Schmerz in seinen Augen. Und das Zucken seiner Augenlider verwirrte sie. War er nervös?, überlegte sie.
»Comissària Mayerhuber, ich leite diesen Fall. Kannten Sie die Tote näher?“
»Warum näher?«, fragte er aufgewühlt.
Oh oh, dachte Mercédès, der hat etwas