Natürlich würde sie mich wegen meiner Kleidung hänseln. Doch das war okay. Ich war froh, dass ich nicht so nuttig aussah wie sie und ihre Lakaien. Ich trug einen langen, weit fallenden fliederfarbenen Rock und meine weiße Lieblingsbluse mit zart rosa und fliederfarbenen Blumen. Der Rock und die Bluse passten so wunderbar zusammen, als wären sie als ein Set gedacht. In meiner alten Schule hatte die Schuluniform dafür gesorgt, dass niemand wegen seiner Kleidung gehänselt werden konnte.
„Ja“, erwiderte ich auf die Frage der Blondine vor mir. „Meine Großmutter hatte einen guten Geschmack.“
Ich wusste, es war besser, eine Konfrontation im Keim zu ersticken, also gab ich einfach nach und nahm ihren Worten damit den Wind aus den Segeln.
„Wenn das alles ist...“, sagte ich, einen Schritt zur Seite machend. „Ich muss meine Sachen in meinem Spind verstauen.“
Ich wollte an den Mädchen vorbei gehen, doch die Blondine ergriff mich beim Arm und hielt mich zurück. Ihr Griff war fest, und ihre langen Acrylnägel drückten sich schmerzhaft in mein Fleisch.
„Nicht so schnell, Aschenputtel“, sagte sie, mich aus bösartigen Augen anfunkelnd. „Ich bin noch nicht fertig mit dir.“
„Lass sie los, Kelly“, erklang plötzlich eine Stimme hinter mir.
Kelly schaute über meine Schulter hinweg und für einen kurzen Moment blitzte Panik in ihren Augen auf. Sie ließ mich los und schenkte meiner Retterin hinter mir ein zuckersüßes Lächeln.
„Wir waren nur gerade dabei, die Neue zu begrüßen, Abby.“
„Sah für mich nicht wie eine freundliche Begrüßung aus“, erwiderte meine Retterin, Abby. „Lasst sie in Ruhe. Haben wir uns verstanden?“
„Natürlich“, versicherte Kelly und lächelte. Ein Lächeln, welches ihre Augen nicht erreicht. Doch wer immer diese Abby war, sie schien in der Schulhierarchie über Kelly und ihre Freundinnen zu stehen. Die drei Mädchen wandten sich ab und eilten davon.
Ich wandte mich langsam um. Das Mädchen, welches mir zu Hilfe gekommen war, schenkte mir ein warmes Lächeln. Sie war nicht viel größer als ich, doch zierlich, während ich einige Kilos zu viel mit mir herum schleppte. Sie war schön. Auf eine natürliche Weise, nicht wie Kelly und ihre Freundinnen. Abby trug nur den Hauch von Make-up und sie trug einen knielangen Rock und ein langärmeliges T-Shirt. Ich mochte sie auf Anhieb.
„Hi, ich bin Abby“, grüßte sie.
„Hi. Ich... ich bin Samantha, aber meine Freunde nennen mich Sam.“
„Mach dir keine Sorgen wegen Kelly und ihrem Gefolge. Sie werden dich nicht mehr belästigen. Mein Freund und seine Jungs beherrschen die Schule hier. Wenn ich den Zicken sage, dass sie dich in Ruhe lassen sollen, dann werden sie das auch. Keiner will sich mit den KINGS anlegen, glaub mir.“
„Oh... danke“, erwiderte ich. Abby war mit den KINGS involviert. Dahin war meine Hoffnung, in ihr eine Freundin gefunden zu haben. Dad würde mir nie erlauben, mit ihr abzuhängen, wenn sie mit diesen wilden Jungs rum hing. „Ich... ich muss meine Sachen in den Spind packen, sonst komm ich noch zu spät zur ersten Stunde.“
„Was ist deine Spind Nummer?“
„817.“
„Oh, das ist fast neben meinem. Ich hab 814“, erwiderte Abby. „Komm! Wir können zusammen gehen. Was hast du in der ersten Stunde?“
„Biologie.“
„Hmm, ich hab Mathe. Aber ich zeig dir, wo das Bio-Labor ist. Doch wir sollten uns beeilen. Glaub mir, du willst nicht zu spät zu Mr. Anstorms Unterricht kommen. Der Typ ist strikt wie ein Feldwebel.“
„Okay, danke“, murmelte ich und folgte Abby zu den Spinden.
Irgendwie hatte ich es geschafft, meinen ersten Tag hinter mich zu bringen. Abgesehen von Abby hatte mich niemand freundlich behandelt, doch ich hatte auch keine weiteren Hänseleien erdulden müssen. Doch es war klar, dass ich in dieser Schule herausstach, und das nicht in einer guten Weise. Ich hatte sehr wohl mitbekommen, wie hinter meinem Rücken gelästert und gelacht wurde. Sie hielten mich für einen Freak, weil ich mich anders kleidete. Abby mochte mich davor bewahrt haben, dass man mich offen mobbte, doch es war klar, dass ich hier keine Freunde machen würde. In der Lunchpause hatte ich allein an einem Tisch in der Ecke gesessen. Abby hatte mit den KINGS an einem Tisch in der Mitte gesessen. Die Jungs wurden an dieser Schule tatsächlich wie verdammte Könige behandelt. Sie räumten nicht einmal ihre Tabletts selber weg. Und Abby hatte mit ihnen gelacht und mit ihrem Freund gekuschelt und rumgeknutscht. In aller Öffentlichkeit. Sie mochte sich mir gegenüber nett verhalten haben, doch es war klar, dass sie und ich nichts gemein hatten. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn ich hier eine Freundin gefunden hätte.
Ich verließ die Schule durch den Hinterausgang, denn Dad und ich lebten in dem kleinen Haus am Ende des Schuldgrundstückes. Ein scharfer Wind wehte dunkle Wolken über das Gelände. Ich war dabei, den Westflügel des Schulgebäudes zu umrunden, als ich seltsame Laute vernahm. Da war ein Grunzen und Stöhnen. Dumpfe Geräusche, die ich nicht einordnen konnte. Und dann eine Stimme.
„Ich glaube, er hat genug, Nate.“
Nate. Das war der Anführer der KINGS. Mein Herz schlug aufgeregt und mein Magen überschlug sich. Vorsichtig lugte ich um die Ecke herum. Die KINGS standen nicht weit von mir und Nate stand über einem am Boden liegenden Typen. Er sah aus, als wenn jemand ihn durch den Wolf gedreht hätte. Ich erstickte einen Aufschrei mit meiner Hand. Ich war gerade Zeuge einer Schlägerei geworden. Nein, keine Schlägerei, denn es sah nicht so aus, als wenn Nate irgendwelche Schläge abbekommen hätte. Er hatte den anderen Jungen verprügelt. Für was?
„Ein letztes Mal, Skinner“, sagte Nate drohend, sich zu dem am Boden liegenden Jungen hinab beugend. „Wenn ich dich noch mal dabei erwische, wie du auf meinem Schulgelände Drogen dealst, landest du dort, wo du die Radieschen von untern wachsen sehen kannst. Verstanden?“
Der Junge am Boden murmelte etwas Unverständliches.
„Wie war das? Ich hab nicht ganz verstanden, Skinner. Sprich lauter!“
„Jaaa“, krächzte Skinner.
„Gut. Wir sind die Einzigen an dieser Schule, die Zeug verticken, merk dir das. Deal an deiner eigenen Schule.“
Oh mein Gott! Dies wurde immer schlimmer. Die Kings dealten offenbar Drogen an der Schule und sie hatten diesen Skinner verprügelt, weil er ihnen ins Geschäft gekommen war. Verdammt. Ich musste Dad davon erzählen. Ich wollte mich gerade anwenden, als Nate aufsah und unsere Blicke sich trafen. Oh nein! Mein Herz setzte vor Angst einen Moment aus. Mit einem Aufschrei wandte ich mich ab und rannte davon.
Nate
Angewidert sah ich auf das Stück Scheiße hinab, der versucht hatte, an unserer Schule sein Zeug zu verticken. Nicht nur, dass dies unser Territorium war. Nein, er dealte in harten Drogen wie H, Crack und Koks. Wir dealten nur Hasch und ein paar Partypillen. Ich wollte das harte Zeug nicht an meiner Schule.
„Ein letztes Mal, Skinner“, sagte ich drohend, mich zu Skinner hinab beugend. „Wenn ich dich noch mal dabei erwische, wie du auf meinem Schulgelände Drogen dealst, landest du dort, wo du die Radieschen von untern wachsen sehen kannst. Verstanden?“
Skinner murmelte etwas.
„Wie war das? Ich hab nicht ganz verstanden, Skinner. Sprich lauter!“
„Jaaa“, krächzte er.
„Gut. Wir sind die Einzigen an dieser Schule, die Zeug verticken, merk dir das. Deal an deiner eigenen Schule.“
Ich hoffte, der Mistkerl hatte die Mitteilung laut und deutlich erhalten und würde auch seinen Buddys weitersagen, dass unsere Schule für sie tabu war. Ich richtete mich auf und mein Blick fiel auf ein Mädchen, das hinter der