»Ich kann hier im Zimmer auf einem Stuhl schlafen«, entgegnete ich.
»Nein, nein! Ein Fremder ist ein Fremder, sei er arm oder reich. Es paßt mir nicht, irgendwem zu gestatten, sich hier herumzutreiben, wenn ich ihn nicht überwachen kann!« sagte der ungezogene Kerl.
Nach dieser Beleidigung war meine Geduld erschöpft. Mit einem Ausruf des Widerwillens schritt ich an ihm vorbei in den Hof, wobei ich in meiner blinden Hast mit Earnshaw zusammenrannte. Es war so dunkel, daß ich das Ausgangstor nicht sehen konnte, und während ich danach suchte, hörte ich eine weitere Probe ihres höflichen Benehmens untereinander. Zunächst schien der junge Mann sich meiner annehmen zu wollen.
»Ich werde mit ihm bis an das Ende des Parks gehen«, sagte er.
»Du wirst mit ihm zur Hölle gehen!« schrie sein Herr – das heißt, ich vermutete, daß der Alte zu ihm in diesem Verhältnis stand. »Und wer soll nach den Pferden sehen, he?«
»Das Leben eines Menschen ist von größerer Bedeutung als die einmalige Vernachlässigung der Pferde; jemand muß gehen«, äußerte Mrs. Heathcliff, freundlicher als ich erwartet hatte.
»Nicht, wenn du es befiehlst!« gab Hareton zurück. »Wenn du um ihn besorgt bist, solltest du lieber den Mund halten.«
»So wünsche ich, daß dich sein Geist verfolgen möge, wenn der Mann im Moor den Tod findet. Und ich wünsche, daß Mr. Heathcliff nie einen anderen Mieter bekommen möge, bis Drosselkreuz eine Ruine ist!« entgegnete sie scharf.
»Jeh, jeh, sie verwünscht 'n«, murmelte Josef, dem ich mich genähert hatte.
Er saß in Hörweite und melkte beim Schein einer Laterne die Kühe. Ohne viel Umstände ergriff ich die Laterne und eilte dem nächsten Ausgang zu, indem ich ausrief, daß ich sie morgen zurückschicken würde.
»Här, Här, er stehlt sich unser Lantern!« schrie der Alte, mich verfolgend. »Heh, Packan! Heh, Hunde! Heh, Wolf! faßt 'n, faßt 'n!«
Als ich die Zauntür öffnete, sprangen mir zwei haarige Ungeheuer an den Hals, rissen mich nieder und löschten das Licht, während ein schallendes Gelächter von Heathcliff und Hareton meiner Wut den Gipfel aufsetzte. Glücklicherweise schienen die Bestien nur gewohnt zu sein, sich herumzurekeln und zu gähnen und allenfalls mit dem Schwanz zu wedeln, denn sie bezeigten keine Lust, mich bei lebendigem Leibe zu zerreißen; aber sie duldeten auch nicht, daß ich mich erhob, und ich war genötigt, still zu liegen, bis es ihren niederträchtigen Herren gefallen würde, mich zu befreien. Als das geschehen war, befahl ich, bebend vor rasendem Zorn, den Hallunken, mich sofort hinauszulassen, bei Gefahr ihres Lebens, falls sie mich noch eine Minute zurückhielten – und äußerte noch einige zusammenhanglose Drohungen, die stark nach König Lear schmeckten.
Meine maßlose Aufregung verursachte mir ein heftiges Nasenbluten; und noch immer lachte Heathcliff, und noch immer schimpfte ich.
Ich weiß nicht, wie diese Szene geendet haben würde, wäre nicht eine Person bei der Hand gewesen, die vernünftiger war als ich und wohlwollender als mein Wirt. Dies war Zillah, die stämmige Haushälterin, die herbeigelaufen kam, um nach der Ursache des Aufruhrs zu sehen. Sie meinte, man habe mich gewaltsam angegriffen, und da sie nicht wagte, sich gegen ihren Herrn zu wenden, gebrauchte sie ihre Zungenfertigkeit dem jüngeren Schurken gegenüber.
»Na, Mr. Earnshaw«, schrie sie, »ich bin nur neugierig, was Sie nächstens anstellen werden! Sollen wir auf unserem Grund und Boden die Leute ermorden? Nein – der Dienst in diesem Hause ist nichts für mich. Sehn Sie nur den armen Menschen; er erstickt ja! – Nun! Nun! Kommen Sie, ich werd' Ihnen helfen! So, so; halten Sie still.«
Mit diesen Worten goß sie mir einen Napf Eiswasser in den Nacken und zog mich in die Küche. Mr. Heathcliff, der nach seinem Heiterkeitsanfall schnell wieder in die alte Grämlichkeit verfiel, folgte uns.
Ich fühlte mich scheußlich elend und schwindlig und schwach. Es blieb mir daher nichts anderes übrig, als ihn für diese Nacht um Unterkunft zu bitten. Er gebot Zillah, mir ein Glas Branntwein zu geben, und begab sich dann ins innere Gemach. Die Magd kam den Anordnungen ihres Herrn nach und führte mich, als ich mich ein wenig erholt hatte, in mein Nachtquartier.
III.
Während sie mir die Treppen hinauf voranging, empfahl sie mir, das Licht zu dämpfen und kein Geräusch zu machen; denn ihr Herr habe eine wunderliche Neigung für das Zimmer, in dem sie mich unterbringen wolle, und würde wissentlich keinen Menschen dort hineinführen. Ich fragte nach der Ursache. Sie kenne sie nicht, antwortete sie, sie lebe hier erst seit kaum zwei Jahren, und es gäbe hier so viel Sonderbares im Hause, daß sie mit dem Neugierigsein nicht erst habe beginnen können.
Selbst zu erschöpft, um Neugier zu bezeigen, schloß ich meine Tür und sah mich nach dem Bett um. Die Einrichtung des Raumes bestand jedoch nur aus einem Stuhl, einem Schrank und einem großen eichenen Kasten, der an den Seitenwänden viereckige Glasscheiben hatte. Ich trat hinzu, blickte durch eins der Fensterchen hinein und erkannte, daß es der Kasten einer altmodischen Kutsche war, der nun hier in der Ecke der Bodenstube noch ein besonderes Geheimstübchen abgab. Es war in der Tat ein kleines Kabinett, in dem das Brett eines der beiden Zimmerfenster die Stelle eines Tisches vertrat. Ich öffnete den Wagenschlag, stieg mit meiner Kerze hinein, schloß die Tür und fühlte mich nun endlich geborgen.
Auf dem Fensterbrett, auf das ich meine Kerze stellte, lagen ein paar verschimmelte Bücher; das Brett selbst war über und über bekritzelt. Ich las in den verschiedensten Lettern: Catherine Earnshaw, hier und da variiert in Catherine Heathcliff und Catherine Linton.
In stumpfer Müdigkeit lehnte ich den Kopf an das Fenster und fuhr fort zu lesen: Catherine Earnshaw – Heathcliff – Linton; bis mir die Augen zufielen. Doch kaum hatte ich sie geschlossen, als im Dunkel vor mir gespensterhaft beleuchtete Buchstaben tanzten – lauter Catherines; und als ich aufblickte, um den zudringlichen Namen zu verscheuchen, sah ich, daß der brennende Docht meiner Kerze sich auf eins der alten Bücher herabgeneigt hatte und auf dem Einband schwelte. Es roch nach verbranntem Leder. Ich kürzte den Docht, und da ich mich infolge der Kälte und meines Unwohlseins sehr unbehaglich fühlte, setzte ich mich aufrecht hin und schlug in der Absicht, zu lesen, das lädierte Buch auf meinen Knien auf.
Es war eine in schrägen Lettern gedruckte Bibel. Sie hatte einen unangenehm modrigen Geruch. Die erste Seite trug die Aufschrift: »Catherine Earnshaw ihr Buch« – und ein Datum, das etwa ein Vierteljahrhundert zurücklag. Ich schloß den Band und griff nach einem anderen, und so fort, bis ich sie alle durchgesehen hatte. Catherines Bücherei war recht gewählt, und der Grad ihrer Zerlesenheit bewies, daß sie viel benutzt worden war, wenn auch nicht immer zu ihrem eigentlichen Zweck. Kaum ein Kapitel war einem Kommentar in Tinte und Feder entgangen – oft war jeder kleinste weiße Raum damit bedeckt. Teilweise waren es nur abgerissene Sätze, doch manchmal schienen sich die Notizen geradezu zu einem Tagebuch zu erweitern. Die Handschrift war ungelenk und kindlich. Oben auf einer leeren Seite entdeckte ich zu meiner Freude eine ausgezeichnete Karikatur meines Freundes Josef – roh, aber doch geschickt skizziert. Sofort erwachte in mir ein gewisses Interesse für die unbekannte Catherine, und ich machte mich daher sogleich an die Entzifferung ihrer verblaßten Hieroglyphen. –
»Ein gräßlicher Sonntag!« begann die erste Aufzeichnung. »Ich wollte, der Vater wäre wieder da. Hindley ist ein greulicher Stellvertreter – sein Benehmen gegen Heathcliff ist abscheulich. Heathcliff und ich haben die Absicht zu rebellieren – wir haben heut abend die einleitenden Schritte getan.
»Den ganzen Tag goß es in Strömen; wir konnten nicht zur Kirche gehen, deshalb mußte Josef in der Dachstube eine Andacht abhalten, und während Hindley und seine Frau sich drunten beim behaglichen Feuer wärmten und gewiß nichts anderes taten, als in ihren Bibeln lesen, mußten Heathcliff und ich und der unglückliche Stalljunge unsere Gebetbücher nehmen und hinaufsteigen. Wir wurden nebeneinander auf einen Sack voll Korn gesetzt und froren weidlich. Wir hofften,