Mr. Earnshaw packte den Missetäter und schleppte ihn in sein Zimmer hinauf, wo er ihn einsperrte und zweifellos seinen Wutausbruch derb bestrafte, denn als er wiederkam, war er rot und atemlos.
Ich nahm ein Tuch und rieb recht unsanft des vorwitzigen Edgar Mund und Nase und versicherte ihm, daß er für seine Einmischung diese Strafe wohl verdient habe. Seine Schwester verlangte weinend nach Haus, und Cathy stand verlegen dabei und schämte sich für alle.
»Du hättest nicht mit ihm sprechen sollen«, verwarnte sie den jungen Linton. »Er war schlechter Laune, und nun hast du unsere Festfreude verdorben, und er wird durchgeprügelt werden; ich kann es nicht ertragen, daß er geprügelt wird. Ich kann jetzt kein Mittagbrot mehr essen. Warum hast du zu ihm gesprochen, Edgar?«
»Ich habe es gar nicht getan«, schluchzte der Junge, indem er sich von mir losriß und die Reinigung mit seinem Battisttaschentuch vollendete. »Ich habe Mama versprochen, daß ich nicht ein Wort mit ihm sprechen würde, und ich hab es auch nicht getan.«
»Also weine nicht«, antwortete Catherine ärgerlich; »du bist nicht daran gestorben. Mach die Sache nicht schlimmer, als sie ist. Mein Bruder kommt, sei still! Still, Isabella! Hat dir denn jemand was getan?«
»Kommt, Kinder, kommt! Nehmt Platz!« rief Hindley schnaufend. »Der Kerl hat mich in Hitze gebracht! Ein andermal, Mr. Edgar, mögen Ihre eigenen Fäuste sich Recht erkämpfen, das wird Ihnen Appetit machen.«
Die kleine Gesellschaft fand beim Anblick der festlichen Tafel ihren Gleichmut wieder. Sie waren nach ihrem weiten Ritt hungrig und, da ihnen ja schließlich kein ernstliches Unglück widerfahren war, bald getröstet. Mr. Earnshaw reichte ihnen gehäufte Teller, und seine Frau wußte die Unterhaltung fröhlich zu leiten. Ich wartete hinter ihrem Stuhl auf und war bekümmert, zu sehen, daß Catherine trockenen Auges und mit gleichgültiger Miene das Fleisch auf ihrem Teller zerteilte. »Welch fühlloses Geschöpf«, dachte ich bei mir selbst; »wie leicht sie die Mißhandlung ihres alten Kameraden nimmt. Ich hätte sie nicht für so selbstsüchtig gehalten.«
Sie führte einen Bissen zum Munde – und ließ ihn wieder sinken: ihre Wangen flammten, und Tränen strömten drüber hin. Sie ließ die Gabel zu Boden fallen und bückte sich danach, um ihre Bewegung zu verbergen. Ich nannte sie nicht mehr gefühllos, denn ich bemerkte, daß sie nachher den ganzen Tag ruhelos war und angstvoll nach Gelegenheit suchte, allein zu sein oder Heathcliff zu sehen. Ich war zu ihm hinaufgegangen, um ihm etwas Essen zuzustecken, doch der Herr hatte ihn eingeschlossen.
Abends wollten die Kinder tanzen, und da Isabella Linton keinen Partner hatte, bat Cathy darum, Heathcliff herunterholen zu dürfen. Ihr Bitten war vergebens, und ich mußte Isabellas Herrn abgeben. In der Freude des Spiels vergaßen wir bald allen Kummer, und unser Fest wurde durch die Ankunft der Spielleute von Gimmerton noch erhöht. Es waren dreizehn Mann: eine Trompete, eine Posaune, ein paar Klarinetten und Hörner, eine Baßgeige und einige Sänger. Diese Leute wandern jedes Jahr zu Weihnachten auf die Gutshöfe hinaus und bekommen für ihr Spiel kleine Festgeschenke, und wir fanden es damals ein herrliches Vergnügen, ihnen zuzuhören. Nachdem die üblichen Choräle gesungen worden waren, baten wir sie um Volkslieder und Balladen. Mrs. Earnshaw liebte Musik, und so bekamen wir viel zu hören.
Catherine gefiel es auch sehr; aber sie sagte, am süßesten klinge das Singen, wenn man hoch oben vom Ende der Treppe aus zuhöre, und sie stieg im Dunkeln hinauf. Ich folgte. Drunten schlossen sie die Wohnstubentür und bemerkten unsere Abwesenheit gar nicht; es waren so viel Leute drunten.
Catherine blieb nicht auf dem Treppenabsatz stehen, sondern stieg noch höher hinauf: sie kletterte die Leiter empor, die zur Bodenkammer führte, in der Heathcliff eingesperrt war, und rief ihn an. Ein Weilchen verweigerte er trotzig jede Antwort. Doch sie bat unermüdlich und brachte ihn schließlich dahin, sich durch die Bretterwand mit ihr zu unterhalten.
Ich ließ die armen Dinger ungestört plaudern, bis ich annahm, daß das Singen nun ein Ende haben werde. Da stieg ich die Leiter hinauf, um Cathy zu warnen. Statt sie draußen zu finden, hörte ich ihre Stimme von drinnen ertönen. Die kleine Katze war durch die Dachluke der einen Kammer hinaus am Dach entlang in die Luke der anderen Kammer hineingekrochen, und nur mit großer Mühe konnte ich sie wieder herausbekommen. Heathcliff kam mit ihr, und sie bestand darauf, daß ich ihn zu mir in die Küche nehmen solle, da ich ja allein dort sei. Mein Dienstgenosse war zu einem Nachbar gegangen, um unserem »Teufelsgeplärre«, wie er sagte, zu entgehen. Ich antwortete ihnen, daß ich durchaus nicht gesonnen sei, ihre Streiche zu unterstützen; aber da der Gefangene seit gestern Mittag gefastet habe, so wolle ich ein Auge zudrücken.
Er kam mit hinunter. Ich stellte ihm einen Stuhl ans Feuer und tischte ihm eine Menge guter Sachen auf. Doch er fühlte sich krank und aß nur wenig. Er stützte die Ellbogen auf die Kniee und das Kinn in die Hände und blieb in dumpfes Brüten versunken. Auf meine Frage nach dem Gegenstand seiner Gedanken entgegnete er ernst:
»Ich überlege, wie ich es Hindley heimzahlen werde. Es ist mir gleich, wie lange ich warten muß, wenn ich's ihm nur endlich geben kann. Ich hoffe, er wird nicht vorher sterben.«
»Schäme dich, Heathcliff«, sagte ich. »Es ist Gottes Sache, böse Menschen zu bestrafen; wir sollten lernen zu verzeihen.«
»Nein, Gott würde nicht die Genugtuung haben, die ich haben werde«, erwiderte er. »Wenn ich nur den besten Weg wüßte! Laß mich in Frieden, und ich werde es schon herauskriegen; solange ich daran denke, fühle ich keinen Schmerz.« –
»Aber, Mr. Lockwood, ich habe ja gar nicht bedacht, daß diese Geschichten Sie nicht interessieren können. Ich begreife gar nicht, wie ich so ins Schwatzen gekommen bin. Und Ihr Haferbrei ist kalt, und Sie sehnen sich nach dem Bett. Ich hätte Heathcliffs ganze Geschichte, alles was in Betracht käme, in einer halben Stunde erzählen können.«
Die Haushälterin erhob sich und legte ihre Näharbeit beiseite. Doch ich fühlte mich unfähig, meinen Platz am warmen Kamin zu verlassen, und ich war weit entfernt davon, schläfrig zu sein. »Bleiben Sie sitzen, Mrs. Dean«, rief ich, »bleiben Sie doch sitzen! Ein halbes Stündchen nur! Sie haben gerade in der rechten Weise erzählt; gerade so ist es mir lieb, und Sie müssen so fortfahren. Ich interessiere mich übrigens mehr oder weniger für jeden Charakter, den Sie da gezeichnet haben.«
»Die Uhr schlägt elf, Herr.«
»Macht nichts. – Ich gehe nie schlafen, wenn der Zeiger eine so hohe Zahl zeigt; ein oder zwei Uhr ist früh genug für einen, der bis zehn Uhr im Bette bleibt.«
»Sie sollten nicht so lange liegen bleiben, Herr. Wer um zehn Uhr nicht schon sein halbes Tagewerk vollbracht hat, der riskiert, daß auch die andere Hälfte ungetan bleibt.«
»Und dennoch, Mrs. Dean, setzen Sie sich wieder; denn morgen gedenke ich bis in den Nachmittag hinein zu schlafen. Ich prophezeie mir nämlich eine gehörige Erkältung.«
»Ich hoffe nicht, Herr. – Also, dann gestatten Sie mir, einen Zeitraum von etwa drei Jahren zu überfliegen, während welcher Zeit Mrs. Earnshaw ...«
»Nein, nein! Ich erlaube nichts dergleichen! Fahren Sie nur fort, Ihre Geschichte mit allen Einzelheiten zu erzählen. Ich sehe schon, die Menschen hier sind den Stadtmenschen weit überlegen. Sie leben ernster, mehr in und für sich selbst und weniger oberflächlich. Ich könnte mir hier eine Liebe fürs ganze Leben vorstellen, und ich war bisher überzeugt, daß keine Liebe länger als ein Jahr bestehen könne.«
»O, wir sind hier nicht anders als die Menschen da draußen. Sie müssen uns nur erst kennen lernen«, bemerkte Mrs. Dean, der meine Worte wohl etwas unverständlich waren.
»Verzeihen Sie«, entgegnete ich, »aber Sie, meine liebe Freundin, sind ein schlagender Beweis für meine Meinung. Abgesehen von einigen Provinzialismen ist Ihr Benehmen durchaus abweichend von dem Ihrer Standesgenossen. Ich bin überzeugt, Sie haben viel mehr gedacht, als die Mehrzahl der Dienstboten das tun. Sie sind genötigt gewesen, Ihre Gedanken zu sammeln, aus Mangel an Gelegenheit, Ihr Leben an dumme Kleinigkeiten zu