Nun konnte Mr. Earnshaw bei seinen Kindern keinen Scherz vertragen. Er war stets streng und zurückhaltend zu ihnen gewesen. Catherine ihrerseits begriff dagegen nicht, wieso ihr Vater in seinem kranken Zustand noch reizbarer und ungeduldiger war als früher. Seine Verdrießlichkeit, seine Vorwürfe erweckten in ihr eine unkindliche Freude, ihn herauszufordern. Sie war nie so glücklich, als wenn wir alle sie ausschalten und sie uns mit ihren kecken Blicken und schlagfertigen Antworten ärgerte. Sie verstand es, Josefs salbungsvolle Reden lächerlich zu machen, reizte meine Geduld aufs äußerste und tat, was ihr Vater am meisten haßte: sie zeigte ihm, wie ihr Hochmut mehr Macht über Heathcliff besaß als selbst seine Güte, wie der Knabe ihren Befehlen stets nachkam, seinen Bitten jedoch nur dann, wenn es ihm paßte. Manchmal, wenn sie den Tag über so ungezogen als nur möglich gewesen war, kam sie am Abend, um es wieder gut zu machen, und umschmeichelte ihn. »Nein, Cathy«, sagte dann der alte Mann, »ich kann dir nicht gut sein; du bist schlimmer als dein Bruder. Geh, sag dein Gebet, Kind, und bitte Gott um Verzeihung.« Zuerst weinte sie, wenn er so sprach, später wurde sie trotzig und lachte nur, wenn ich ihr riet, ihre Fehler zu bedauern und um Vergebung zu bitten.
Doch es kam die Stunde, die Mr. Earnshaws irdische Leiden endete. Er starb friedlich in seinem Lehnstuhl in der Ofenecke, an einem Oktoberabend.
Ein heftiger Wind blies ums Haus und heulte im Kamin. Es war ein stürmischer, doch milder Abend. Wir waren alle beisammen: ich ein wenig abseits vom Feuer, fleißig strickend, und Josef am Tisch in der Bibel lesend; denn wenn die Arbeit getan war, saßen die Dienstleute gewöhnlich mit der Herrschaft im Wohnraum. Miß Cathy war den Tag über etwas unpäßlich gewesen und verhielt sich daher außergewöhnlich ruhig. Sie lehnte an ihres Vaters Knie, und Heathcliff lag auf dem Boden, den Kopf in ihrem Schoß.
Ich entsinne mich, daß der Herr ihr wundervolles Haar streichelte – es gefiel ihm so sehr, sie sanft zu sehen – und sagte: »Warum kannst du nicht immer ein guter Kerl sein, Cathy?« Und sie sah zu ihm hinauf und lachte und antwortete: »Warum kannst du nicht immer ein guter Vater sein?« Als sie aber sah, daß sie ihn erzürnt hatte, küßte sie seine Hand und sagte, sie wolle ihn in Schlaf singen.
Und sie sang sanft und leise, bis seine Finger sich aus den ihren lösten und sein Kopf auf die Brust sank. Da sagte ich ihr, sie solle nun schweigen und sich nicht rühren, damit er nicht erwache. Wir verhielten uns alle eine volle halbe Stunde lang so still wie Mäuschen. Dann stand Josef auf und sagte, er wolle den Herrn wecken, denn es sei Zeit zur Abendandacht und zum Schlafengehen. Er trat an Mr. Earnshaw heran, rief ihn bei Namen und berührte seine Schulter. Aber der regte sich nicht. Da nahm Josef die Kerze und leuchtete ihm ins Gesicht. Als er das Licht wieder niedersetzte, schien mir etwas nicht in Ordnung zu sein. Ich nahm die Kinder beim Arm und flüsterte: »Geht hinauf, geht schlafen und macht keinen Lärm. Wir werden heut allein beten.«
»Erst will ich dem Vater gute Nacht sagen«, entgegnete Catherine und legte die Arme um seinen Hals, ehe wir sie daran hindern konnten. Das arme Mädchen entdeckte sogleich ihren Verlust – sie schrie auf: »O, er ist tot! Heathcliff, er ist tot!« Und sie begannen beide herzbrechend zu weinen.
Da kam auch mein Schmerz zum Ausbruch, und ich schluchzte bitterlich. Josef aber fragte, was wir uns denn dächten, über einen Heiligen im Himmel solche Heulerei anzustimmen. Er hieß mich meinen Mantel nehmen und nach Gimmerton laufen, um den Doktor und den Pfarrer zu holen.
Ich konnte nicht recht begreifen, was diese beiden hier noch helfen sollten; ich gehorchte jedoch und lief durch Regen und Wind und brachte den einen, den Arzt, gleich mit zurück. Der andere sagte, er wolle am folgenden Morgen kommen.
Ich überließ alle weiteren Maßregeln dem alten Diener und rannte zum Kinderzimmer hinauf. Oben angekommen, schlich ich leise zur Tür; sie war nur angelehnt, und ich sah, daß die Kinder sich nicht niedergelegt hatten, trotzdem es nach Mitternacht war. Aber sie waren nun ruhiger und bedurften meiner Trostworte nicht. Die kleinen Seelen trösteten einander mit besseren Gedanken, als ich gehabt hätte: in ihrem kindlichen Gespräch malten sie sich den Himmel so herrlich aus, wie es ein anderer kaum verstanden hätte. Während ich schluchzend lauschte, konnte ich nicht anders als wünschen, daß wir alle schon dort vereinigt sein möchten.
VI.
Mr. Hindley kam zum Begräbnis heim, und – ein Umstand, über den wir sehr bestürzt waren und der den Nachbarn rechts und links viel zu schwatzen gab – er brachte ein Weib mit sich. Was sie war und woher sie stammte, verriet er uns nie. Wahrscheinlich hatte sie zu ihrer Empfehlung weder Namen noch Geld, sonst hätte er die Ehe wohl kaum vor seinem Vater geheim gehalten.
Sie war keine, die irgendwie störend im Hause gewirkt hätte. Alles, was sie dort sah, schien sie zu entzücken, ebenso alles, was um sie her vorging – ausgenommen die Vorbereitungen für das Begräbnis und die Anwesenheit des Trauergeleites. Sie benahm sich in dieser Zeit so sonderbar, daß ich sie für halb einfältig hielt. Sie lief in ihr Zimmer hinauf und hieß mich mitkommen, trotzdem ich eigentlich die Kinder hätte ankleiden sollen. Und da saß sie nun bebend und fragte nur immer: »Sind sie jetzt fort?« Dann beschrieb sie mit hysterischer Lebendigkeit den Eindruck, den Trauerkleidung auf sie auszuüben pflege, und sprang auf und zitterte und weinte schließlich. Und als ich sie fragte, was ihr denn fehle, sagte sie, sie wisse es selbst nicht, aber sie fürchte sich sehr vor dem Sterben. Dabei schien sie mir dem Tode ebenso fern zu sein, als ich selbst. Sie war wohl überschlank, aber jung und von blühender Farbe, und ihre Augen funkelten wie Diamanten. Gewiß bemerkte ich auch, daß ihr das Treppensteigen den Atem benahm, daß irgend ein unerwartetes Geräusch sie in krankhafte Furcht versetzte, und daß sie manchmal jammervoll hustete, aber ich kannte nicht die Bedeutung dieser Zeichen und fühlte keine Veranlassung, ihr Mitgefühl entgegenzubringen. Wir hier im Norden pflegen für Fremde keine Zuneigung zu fassen, Mr. Lockwood, es sei denn, daß diese zuerst uns Zuneigung bezeigen.
Der junge Earnshaw hatte sich in den drei Jahren seiner Abwesenheit außerordentlich verändert. Er war magerer geworden und hatte die frische Farbe verloren und sprach und kleidete sich anders. Und am Tage seiner Heimkehr sagte er zu Josef und mir, wir müßten uns hinfort mit der Küche bescheiden und das Wohnzimmer, die Diele nämlich, ihm überlassen. Ja, er wollte sogar ein kleines unbenutztes Zimmer tapezieren und mit Teppichen belegen lassen, um es als Staatszimmer einzurichten, aber seine Frau bezeigte solch Vergnügen an der Diele mit dem weißen Steinboden, dem riesigen, traulich wärmenden Kamin und den blinkenden Zinngeschirren, daß er diese neue Idee bald wieder fallen ließ.
Sie bezeigte auch Freude, eine Schwester zu finden, und sie schwatzte mit Catherine und küßte sie und lief mit ihr herum und gab ihr eine Menge Geschenke. Doch bald erkaltete ihre Liebe, und während sie launisch wurde, wurde Hindley tyrannisch. Ein paar Worte von ihr, die ein Mißfallen an Heathcliff verrieten, genügten, in ihm all den alten Haß gegen den Knaben neu zu erwecken. Er verbannte ihn aus der Nähe der Familie ins Dienstbotenzimmer, beraubte ihn der Unterrichtsstunden beim Pfarrer und bestand darauf, daß er statt dessen Feldarbeit tue, und zwar ließ er ihn ebenso hart arbeiten, wie irgend einen der anderen Hofknechte.
Heathcliff ertrug anfangs seine Herabsetzung ganz gut, denn Cathy lehrte ihn, was sie gelernt hatte, und arbeitete oder spielte mit ihm im Feld. Sie wuchsen beide auf wie Wilde, da der junge Herr sich nicht darum kümmerte, wie sie sich betrugen und was sie taten, wenn sie ihm nur nicht in den Weg kamen. Er hätte nicht einmal dafür gesorgt,