Im Englischen Garten beobachtete sie die Passanten. Zahlreiche junge Mütter tobten sich dort meist am Vormittag mit ihren Kindern aus. Eigentlich hatte sie auch irgendwann eine Familie im Sinn gehabt. Aber der Stress der letzten Jahre drängte diesen Wunsch in den Hintergrund. Und sie wollte eine andere Mutter werden, als es ihre eigene gewesen ist. Sie wollte für das Kind da sein. Tina wünschte sich nur dann ein Kind, wenn es auch einen Vater dazu gab, der mit dem Kind Rad fuhr, die Enten fütterte und auch mal eine Windel wechselte. Sie schlenderte über den Rasen und ihre Gedanken purzelten wild herum.
Nervös wartete sie, ob sich jemand auf ihre Anzeige melden würde. In der Zwischenzeit räumte sie ihre Reisetaschen hervor und begann Stapeln mit Kleidung zu machen, die sie mit nach Österreich nehmen wollte. Sie hatte einen Teil ihrer Kleidung bereits in einen Secondhandladen gebracht, wofür sie einen kleinen Betrag erhalten hatte. Auch viele andere Dinge, die sie nicht mehr benötigte, hatte sie zu einem Trödelladen getragen. Dieses Loslassen hatte sie befreit und das kleine Geld, welches sie für ihre Sachen erhalten hatte, bereicherten ihren Speiseplan. Obwohl sie doch bald zum Arzt gehen sollte, da ihr Magen noch immer verrückt spielte.
Aus der größeren Reisetasche fiel ein Foto heraus. Sie und Jo lachend in Mailand. Es kam ihr vor, als ob es vor Urzeiten gemacht worden war. Und dabei war es erst fünf Wochen her. Sie sahen so glücklich auf dem Bild aus. Schade, dass sie seine Nummer nicht hatte. Er war ein toller Typ. Bisher hatte keine ihrer Beziehungen lange gehalten, da sie immer viel Zeit mit ihrer Arbeit verbracht hatte. Aber mit Jo hätte es anders sein können. Für ihn wäre sie auch bereit gewesen, etwas kürzer zu treten. Er hatte sich nicht mehr gemeldet.
Ein Pling riss sie aus ihren Gedanken.
„Dear Tina …“ Eine Interessentin! Sie und eine Freundin würden die Wohnung schon ab Montag nehmen! Für drei Monate! Ihre Wangen fühlten sich ganz heiß an. War es die richtige Entscheidung? Drei Monate ohne Wohnung? Eine Fremde in ihrer Wohnung? Was sollte schon groß passieren. Sie hatte nicht so viele Wertsachen.
Kurzentschlossen schrieb sie Loreen zurück. Nach Kolumbien. Und danach überschlugen sie ihre Gedanken. Was war zu erledigen? Postnachsendeantrag. Oma informieren. Alles Private noch verräumen. Die Hausverwaltung verständigen. Inspektor Eigner benachrichtigen.
Ihren Arbeitgeber informieren. Sollte sie bei Hagis anrufen? Warum eigentlich? Sie war unbefristet in Urlaub. Anfangs hatte Kathrin noch zwei Mal angerufen, aber seither hatte sie von Niemandem gehört. Sie würde auch nicht anrufen.
Tina war eine Freundin von To-Do-Listen und machte sofort eine, damit sie auch ja nichts vergessen konnte.
Der Tag verflog im Eiltempo. Abends räumte sie gerade ihr Badezimmer, als ihr eine Schachtel Tampons in die Hände fiel. Die hatte sie in diesem Monat noch gar nicht gebraucht? Verwundert und entsetzt zugleich starrte sie auf die Schachtel. Was hatte das zu bedeuten? Bisher hatte sich ihre Monatsblutung immer sehr pünktlich eingestellt. Sie wollte noch am nächsten Tag ihre Frauenärztin aufsuchen.
„Frau Schubert, ich darf Ihnen mitteilen, dass Sie wahrscheinlich in der vierten oder fünften Woche schwanger sind. Noch kann man den Embryo nicht erkennen. Ich würde vorschlagen, Sie kommen zu einer weiteren Untersuchung in cirka drei bis vier Wochen.“
„Wie kann das sein? Ich habe die Pille immer ordnungsgemäß eingenommen!“
„Das glaube ich Ihnen schon. Ich darf Ihnen gratulieren. Sie sind eine von 1000 Frauen, die trotzdem schwanger geworden ist. Die Pille ist einfach keine 100 prozentige Garantie.“
„Schwanger. Sicher?“
„Sicher. Der Test ist positiv und Ihre Gebärmutter verändert sich bereits.“
„Danke Frau Doktor. Ich melde mich wieder.“
Wie auf Wolken verließ Tina die Ordination. Sie wusste nicht, ob sie weinen oder hysterisch lachen sollte. Eine von tausend Frauen wurde trotz Pille schwanger. Und das traf genau sie! Da war ein Lottotreffer ein Kinderspiel dagegen!
Kopfschüttelnd setzte sie sich auf eine Bank. Schwanger. Arbeitslos. Kein Vater für das Kind. Bald ohne Wohnung. Das war ja fast nicht mehr zu toppen! Wie sollte es nur weitergehen? Was konnte sie dem Baby bieten? Sie dachte bereits an ihr Baby. Wollte sie es überhaupt? Wie sollte sie es erziehen? Und wo? Wie sollte sie genug Geld für sei beide aufbringen?
Positiv denken! Ein Baby wuchs in ihr. Ehrfürchtig strich sie sich über den Bauch. „Kleines, ich verspreche dir, ich laufe nicht davon. Ich bleibe bei dir und ich liebe dich täglich für zwei.“ Mit 26 Jahren glaubte sie, doch etwas vernünftiger als ihre eigene Mutter zu handeln. Tapfer, aber schwummrig im Kopf, ging sie nach Hause und versuchte ihre Sachen weiter zu ordnen Es waren nur mehr wenige Tage, bis die beiden Studentinnen aus Kolumbien ihre Wohnung übernahmen und sie nach Walding zurückkehren würde. In dem Ort, von dem sie sich sicher gewesen war, ihn nicht mehr wiederzusehen.
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