Pralinen unter Palmen. Sandra Kudernatsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Kudernatsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754184394
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dem zweiten Glas wurde mir warm und ich merkte, wie mir die Hitze in die Wangen stieg.

      Nach dem dritten Glas fühlte sich die Theke bereits weniger klebrig an und ich fuhr mit dem Finger die Umrisse eines Bierglases nach, das vor Ewigkeiten mal hier gestanden haben musste. Kurti war zwar freundlich und sah aus wie der Weihnachtsmann, aber schien wohl nicht der putzfreudigste Mensch zu sein.

      Nach dem vierten Glas fand ich die Kneipe äußerst gemütlich und auch der Zigarettenrauch in meinen Lungen störte mich nicht mehr im Geringsten.

      Nach dem fünften Glas hörte ich mich plötzlich in die Stille verkünden: „Mein Verlobter hat mich betrogen“.

      Der Mann neben mir drehte sich vorsichtig auf seinem wackligen Hocker um und sah mich mitleidig mit vom Alkohol glasigen Augen an. Die anderen beiden Männer waren vor einiger Zeit mit den Köpfen auf der Theke eingeschlafen und schnarchten lautstark vor sich hin. Das Radio hörte man nicht mehr. Mein zittriges Stimmchen schien ihren Schönheitsschlaf nicht zu stören.

      „Kurz vor der Hochzeit“, jammerte ich. „Mit meiner besten Freundin. Auf meinem Esstisch. Wir wollten doch in ein paar Tagen in den Urlaub fliegen.“

      Die Worte strömten jetzt unaufhörlich aus meinem Mund. Ich merkte, wie die Tränen, die ich so tapfer zurückgehalten hatte, warm über meine Wangen und hinunter zu meinen hängenden Mundwinkeln liefen. Sie schmeckten salzig.

      Ich hätte Mike schlagen sollen, ging es mir durch den Kopf. Ich hätte Anna schubsen sollen. Schreien, eine Szene machen und mit Geschirr um mich werfen. Die guten Möbel zertrümmern, mir Luft machen. Ich hätte zumindest irgendetwas tun sollen außer Verschwinden. Aber vermutlich würde es mir dann auch nicht besser gehen.

      Jedenfalls löste der Alkohol offenbar meine mittlerweile schwere Zunge und ich schüttete im Laufe der Nacht bei Kurti und Frank mein in tausend scharfe Teile zerbrochenes Herz aus. Kurti war der beste Zuhörer, nickte verständnisvoll an den richtigen Stellen, drückte meine Hand zur Aufmunterung, füllte mein Glas regelmäßig auf, seufzte hin und wieder und warf Schimpfwörter in den Raum, die mir vorher noch nie zu Ohren gekommen waren. Wäre ich nicht schon über den angetrunkenen Zustand hinaus, wäre ich bei einigen Ausdrücken mit Sicherheit dunkelrot bis in die Haarspitzen geworden.

      Frank dagegen hörte still und regungslos zu.

      Als ich erschöpft war vom vielen Erzählen, sackte ich auf dem Barhocker zusammen wie ein Häufchen Elend. So emotional ausgelaugt wie ich zu diesem Zeitpunkt war, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als ins warme Bett zu kriechen, die Decke über mein rotes Haupt zu ziehen und nie wieder hervorzukommen.

      Ich wollte keine Gesellschaft, bloß niemanden sehen, um dann erklären zu müssen, was geschehen war. Ich wollte meinen Kopf ausschalten, am liebsten alle Erinnerungen an Mike, unsere gemeinsame Zeit und das Gesehene löschen. Wo war ein Vampir, wenn man ihn brauchte? Sie konnten einen doch angeblich so verzaubern, dass man vergaß und ein herzschmerzfreies Leben führen konnte.

      Oh verdammt, ich war verrückter als verrückt geworden.

      Ich würde mein weiteres Leben allein mit sieben Katzen, wirrem Haar und Tena Lady im Schlüpfer verbringen, weil ich vor lauter Trauer inkontinent geworden war.

      Mein Kopf war ein Trümmerhaufen, doch plötzlich unterbrach Frank mein Gedankenkarussell.

      Mit ruhiger Stimme ließ er verlauten: „Weißt du, Mädchen, ich bin nicht besser als dein Freund. Ich habe meine Frau vor vielen Jahren mit einer Arbeitskollegin betrogen und nicht mal ein Fünkchen schlechtes Gewissen gehabt. Ich war mir sicher, dass sie es sowieso nie herausbekommen würde.“

      Er lächelte.

      Mich regte seine Erzählung bis jetzt nicht zum Lächeln an.

      „Natürlich hat sie es herausgefunden, schlau wie sie ist.“ Er griff in seine Jackentasche und zog ein zerknittertes Schwarz-Weiß-Foto hervor, das er mir reichte. Es zeigte eine junge Brünette mit Dauerwelle und dickem Lidstrich. Seine Frau? Oder seine Geliebte?

      „Sie war zutiefst verletzt und erst als sie die Scheidung einreichte, habe ich kapiert, was ich ihr angetan habe.“

      Ich gab ihm die Fotografie zurück.

      Er strich mit dem Zeigefinger liebevoll über das abgebildete Gesicht, bevor er das Bild vorsichtig wieder wegsteckte. Es handelte sich also um seine Frau.

      „Ich habe ihr Zeit gelassen, sauer auf mich zu sein und danach mit allen Mitteln gekämpft. Blumen, Parfüm, Schmuck… das ganze Programm eben.“

      Er machte eine wegwerfende Handbewegung und ich nickte als Zeichen, dass ich ihm folgen konnte. Was ich nicht tat.

      „Und was soll ich sagen? Wir haben ein zweites Mal geheiratet. Und es hält. Bis heute.“

      Er hob sein Glas und forderte mich zum Anstoßen auf.

      Doch ich hob nur mühsam meinen schweren Kopf und schaute ihn verwirrt an. Er trank allein und lächelte, aber seine Augen wirkten abwesend. Ganz so, als ob er seine Geschichte, seinen Fehler, seinen Kampf und seinen Triumpf, erneut durchleben würde.

      Sollte mir das Hoffnung geben? Mich aufbauen? Meine Gedanken beruhigen? Was wollte er mir damit erklären? Sollte ich mich nach der Story besser fühlen? Wenn das Franks Absicht war, war der Schuss ordentlich nach hinten los gegangen.

      Doch als er sah, dass ich keinen Schimmer hatte, was er mir zu sagen versuchte, fuhr er mit fester Stimme fort: „Ich will nur sagen, dass es auch so ausgehen kann. Was du daraus machst, liegt allein bei dir. Entscheide aus dem Bauch heraus. Der Kopf ist oftmals zu stolz, um zu vergeben“.

      Mit dieser Weisheit auf den Lippen zwinkerte Frank mir zu und stand auf. Mit Schal und Lederjacke in der Hand verabschiedete er sich mit einem kurzen Nicken von Kurti und ging.

      Durch die geöffnete Kneipentür zog die kalte Nachtluft herein, aber ich nahm sie nicht wahr.

      Frank hatte mir mehr als genug Gedankenfutter hinterlassen. Die Möglichkeit, Mike und Anna irgendwann zu vergeben, war mir nämlich noch gar nicht in den Sinn gekommen. Wollte ich das? Konnte ich das überhaupt?

      „So Mädchen, ich werde jetzt dicht machen, was auch für dich heißt, dass es Zeit ist, zu gehen.“

      Was? Nein, das konnte Kurti doch nicht machen? Wo sollte ich denn hingehen?

      Ich rutschte langsam vom Barhocker, zuppelte mein Kleid gerade und streifte schwerfällig meinen Mantel über. Kurti weckte währenddessen die beiden Schlafenden, schaltete das Radio aus und kam zu mir zu Tür.

      „Es wird schon werden, andere haben das auch überlebt. Du wirst sehen“, sagte er ernst. Und für die Dauer einer Sekunde glaubte ich ihm sogar. Mit seinen rot unterlaufenen Wangen und dem dicken Bauch wirkte er wahnsinnig vertrauensvoll. Ich war froh, in die Kneipe gekommen zu sein.

      Nachdem Kurti die Verbliebenen abkassiert hatte und alle draußen waren, schaltete er das Licht aus und schloss die nun leere Kneipe ab, bevor er seines Weges ging.

      Vermutlich hatte er keine Partnerin. Mir schien, als wäre Kurti mit seiner Kneipe verheiratet. Aber ich konnte mich auch irren. Vielleicht würde ich irgendwann wiederkommen und ihn genau das fragen.

      28. Februar

      Da stand ich nun planlos und unentschlossen mit hängenden Armen neben meinem Fahrrad.

      Die Luft war klirrend kalt und klar. Der Himmel funkelte voller Sterne, keine Wolke trübte die Sicht.

      Ich blickte erwartungsvoll nach oben, als ob dort irgendwo die Antworten auf alle Probleme zu finden wären. Aber es war vergebens. Ich bekam kein Zeichen. Ich wurde nicht erhellt. Mir wurde kein außerirdischer Helfer zugesandt.

      Ich wünschte mir Herrn Nielsson herbei, aber den Affen hatte ich bei dem anderen Affen namens Mike zurückgelassen. Also ergab ich mich mit einem Schulterzucken meinem Schicksal und löste mein Fahrradschloss.

      Ich