Karla schien ihr Erstaunen nicht zu entgehen – es war vielleicht doch ein bisschen zu offensichtlich - und verschränkte die Finger auf dem Tisch. „Okay Linnea, ich sag dir wie’s ist: Ich habe einen Haufen Journalisten da draußen, deren Portfolio weit besser war als deines.“ Das war Linnea nur zu bewusst. „Aber dieses Interview ist eine etwas delikate Angelegenheit. Haydn Cavendish ist vielleicht einer der schwierigsten Interviewpartner überhaupt.“ Und Linneas Unerfahrenheit war da natürlich von großem Vorteil. „Und ich brauche ein hübsches, junges Mädchen für den Job.“ Linnea kannte den Ruf, der dem jungen Kanadier mehr als vorausgeeilt war. Ein Mädchen in jedem Hafen und mehr als ein Gerücht über seine Beziehung zu Männern. Auch wenn sie sich nicht wirklich für Mode interessierte, sie hatte von ihm gehört: dem neuen Enfant Terrible der Glamourwelt. Der junge Mann, der die Straße zum Laufsteg machte und Skandale liebte. Sie räusperte sich und straffte ihren Rücken. „Karla“, begann sie und ihre Stimme klang nicht ganz so fest, wie sie es sich wünschte. Sie würde gleich die Chance ihres Lebens ausschlagen. „Karla, so sehr ich mich auch geehrt fühle…“ Karlas Blick machte die Sache auch nicht einfacher. „Denkst du nicht, dass es kontraproduktiv wäre, einen jungen Grünschnabel wie mich auf ihn anzusetzen? Ich meine“, räusperte sie sich wieder, „wäre es nicht besser, du würdest Bengt oder Gustaf den Job geben? Die wissen was sie tun und er flirtet nicht mit ihnen.“ „Haydn Cavendish hat eine grundsätzliche Aversion gegen Journalisten“, zuckte Karla die Schultern, als wäre das eine Entschuldigung. „Er bezeichnet sie als Spione. Ich glaube, eine Frau hätte bei ihm bessere Chancen…“ „Wird er nicht versuchen mit mir zu flirten?“ „Natürlich wird er das!“, lachte Karla. „Aber er wird dir auch deine Fragen beantworten, um dich zu beeindrucken.“ „Und du gibst mir den Job nicht nur, weil alle anderen zu feige sind?“ „Ich gebe dir hier eine Chance, Linnea. Das wolltest du doch.“ Ja, das wollte sie. Nach dem Studium hatte sie lange überlegt, was man eigentlich mit Schwedisch anfangen konnte. Etwas, das sie vielleicht vorher hätte tun sollen, aber es hatte zu aufregend geklungen Bücher zu lesen, zu analysieren, die Sprachgeschichte zu studieren. Es war ihre Mutter, die sie daran erinnerte, dass sie immer wieder nicht gänzlich unmögliche Artikel für die Universitätszeitung geschrieben hatte und versuchen sollte, bei einem Magazin unterzukommen. Zufällig hatte Sonic gerade eine freie Stelle, wie ihre Mutter durch ihre Kontakte erfahren hatte und Linnea kannte sich doch ganz gut aus mit Musik.
„Wenn du Hilfe brauchst, wende dich an Ulla oder Stena“, tippte Karla auf die Mappe, die immer noch vor Linnea auf dem Tisch lag. Das Foto schien sie ein bisschen zu verspotten, sofern das möglich war. „Ansonsten habe ich dir in dieser Mappe alles zusammensuchen lassen, was dir von Nutzen sein könnte. – Ich erwarte dein Konzept in drei Tagen auf meinem Tisch.“ Das war’s also. Linnea bekam keine wirkliche Gelegenheit sich zu rechtfertigen, sie würde einfach in den sauren Apfel beißen müssen. Und verdammt, war der sauer!
Als sie wieder vor der Tür stand, fühlte sie sich als hätte sie gerade einen Dauerlauf hinter sich und wankte zurück zu ihrem Schreibtisch, wo sie sofort von Kristina in Beschlag genommen wurde. „Was hat sie gesagt? Bist du gefeuert?“ Linnea kam schlagartig in die Wirklichkeit zurück und sah ihre Freundin strafend an. „Warum sollte sie mich feuern?“ „Was wollte sie dann von dir?“ Linnea seufzte und begann mit einem Kugelschreiber auf ihrer Schreibtischunterlage zu kritzeln. „Sie möchte, dass ich ein Interview mit Haydn Cavendish führe.“ „Du machst Witze?“ Nein, sie war nie gut darin gewesen, Witze zu erzählen. Sie konnte sie sich einfach nicht merken.
2
Haydn Cavendish beugte sich nach vor und begutachtete sein Make-up in dem großen Garderobenspiegel, dann presste er die Lippen auf ein Taschentuch und leckte sich über die Zähne. „Noch zehn Minuten!“, tauchte Freddy Hampton, Tourmanager, hinter ihm im Spiegel auf und tippte auf seine Uhr. „Junot, kann ich dein Capo haben?“, kam Lafayette Roche, Leadgitarre, aus einer der unzähligen Truhen im Raum zum Vorschein. „Ich kann meines nicht finden.“ „Greg!“, schnippte Freddy sofort nach einem der Roadies. „Greg! – Verdammt, muss man hier alles selber machen?“ Er stutzte und starrte auf Haydns Hand, die ihm ein Capo vor die Nase hielt. „Mit freundlichen Grüßen“, grinste Haydn und warf es Lafayette zu. „Aber ich will es wieder haben!“ „Natürlich, Teddybär“, fing der Gitarrist es ab und schwang sich auf einen der Garderobentische, um an seiner Gibson herumzudrehen.
„Hannah, wo ist mein Hut?“ Bobby Strachan, Schlagzeug, war damit beschäftigt seine Hände zu tapen. „Komme gleich!“, zwängte Hannah Lawson, Garderobiere, sich zwischen zwei Roadies hindurch, die die Gitarren nach draußen trugen. Überall waren Leute. Agents Provocateurs beschäftigten eine Unmenge an Personal für ihre Stageshow. Abgesehen von all den Fans mit Backstagepässen, der Presse und den VIPs, die die letzten Zentimeter Platz hinter der Bühne einnahmen.
„Noch fünf Minuten!“ hob Freddy die Hand. „Jetzt macht mal, dass ihr alles in Ordnung habt.“ „Sind wir schon jemals zu spät raus, Freddy?“, klopfte Ian Campbell, Flöte und Violine, ihm von hinten auf die Schulter und stellte dann sein Bein auf einer halbleeren Bierkiste ab, um seine Schuhe zuzubinden. Haydn ließ sich in seinen Mantel helfen und platzierte den Hut auf seinem Kopf. „Irgendwann“, drehte er sich herum, „bekommt der arme Freddy unseretwegen noch eine Glatze, weil er sich immer wegen uns die Haare raufen muss.“ „Das ist gar nicht so unwahrscheinlich“, nahm Freddy ihm die Zigarette aus dem Mund und drückte sie aus. „Und jetzt raus mit euch, bevor ich euch einen Arschtritt gebe und ihr quer über die Bühne fliegt.“ „Das würde dir gefallen!“, lachte Lafayette und jeder der fünf Jungs drückte ihm auf dem Weg nach draußen eine Kuss auf die Wange. Da sie alle Lippenstift trugen, konnte man Freddy am Bühnenrand beobachten, wie er sich fluchend mit einem Taschentuch das Gesicht rieb.
3
„Was für ein Tag!“ Linnea ließ ihre Tasche schwungvoll auf den Flurboden fallen und stöhnte auf. Albin Törnkvist, Fotograf, saß auf der Couch und tippte in seinen Laptop, als seine Freundin hinter ihm bäuchlings aufs Bett fiel. „Ist was passiert?“, sah er von seinem Fotobearbeitungsprogramm auf und Linnea schüttelte sich. „Karla hat mir ein Interview gegeben“, stöhnte sie in die Decke und Albin drehte sich herum. „Was ist passiert?“ „Karla hat mir ein Interview gegeben“, setzte Linnea sich wieder auf, nur um sich dann auf den Rücken fallenzulassen. „Ich soll ihr in drei Tagen das Konzept vorlegen.“ „Erm… Noch mal von vorne!“, klappte Albin seinen Laptop zu und stand auf. „Karla hat dir ein Interview gegeben?“ „Ja, das hab ich doch gerade gesagt“, nickte Linnea, die es ja selbst genauso wenig glauben konnte. „Dir?“, setzte Albin sich neben sie und sie schnellte hoch. „Was soll denn das heißen?“ „Was?“, stutzte er. „Na dieser Tonfall. So als hätte man einen Bettler gebeten, König zu spielen.“ „Entschuldige. Ich dachte… Du hast es doch so klingen lassen, als wäre es etwas Schlimmes.“ „Das ist es ja auch“, seufzte sie und fuhr sich durch die Haare. „Ja, also…“ „Aber es ist etwas anderes, wenn ich nicht an mich glaube, als wenn du es mir nicht zutraust.“ „Streiten wir jetzt darum, wer von uns dich als größeren Idioten sieht?“ „Offensichtlich.“ „Verdammt, Linni!“, stand er wieder auf. „Ich wollte doch nur… Ach, vergiss es.“ Er ging zurück zur Couch und klappte seinen Laptop wieder auf. Linnea stöhnte erneut und hievte sich hoch, um ins Bad zu gehen. Sie hatte das Bedürfnis nach einer heißen Dusche. Vielleicht konnte sie den Tag von sich waschen.
„Okay, erzähl mir von dem Interview“, schloss Albin die Tür hinter sich und setzte sich auf die Toilette. Linnea stellte das Duschgel zurück und verzog das Gesicht. „Karla hat mich heute ins Büro bestellt