„Lucky! Dich gibt es ja auch noch!“, ruft sie begeistert und beugt sich sofort zu dem Tier hinab, um ausgiebig das dicke Fell zu kraulen. Dabei umschmeichelt sie den Vierbeiner unermüdlich mit Komplimenten darüber, was für ein feiner Hund er sei und so ein lieber Kerl und vieles mehr.
Josh ist erleichtert. Er kennt es absolut nicht von sich, dass er verlegen wird. Aber er muss zugeben, dass genau das gerade passiert ist! Es ist ihm tatsächlich unangenehm, auf den Grund seines Hierseins angesprochen zu werden. Dabei ist doch gar nichts dabei, wenn er hier Urlaub macht. Warum soll er es nicht tun? Andere machen das schließlich auch!
Dennoch weiß er, dass das nicht ganz dasselbe ist. Er muss ehrlicherweise zugeben, dass er – so großartig dieser Ort in Italien auch ist – vermutlich nicht hier wäre, wenn Elli nicht angekündigt hätte, hierherzukommen. Aber selbst dann, wenn Elli ein Grund für seine Reise hierher ist, warum hat er das nicht einfach gesagt? Warum hat er Julie nicht ganz cool geantwortet: „Du wusstest vielleicht nicht, dass ich kommen würde, aber ich wusste, dass du hier sein würdest – von Elli.“ Was ist schon dabei? Sie haben sich hier kennengelernt und nun treffen sie sich wieder hier! So what?
Aber genau das konnte er eben nicht einfach sagen. Er hätte das Gefühl gehabt, etwas erklären zu müssen. Deshalb hat er geschwiegen und er ist dem Hofhund Lucky sehr, sehr dankbar dafür, dass dieser die Situation gerettet hat und Josh nicht in die Verlegenheit kam, irgendetwas erläutern zu müssen!
Dankbar schaut Josh zu dem Hund hinunter, der sich mittlerweile auf ein gemütliches Wellnessprogramm eingerichtet zu haben scheint und sich zu Julies Füßen austreckt, um ihre Zuwendungen in maximal entspannter Position genießen zu können.
Als Josh sich unbeobachtet fühlt, blickt er hoch, den Schotterweg entlang, der zwischen dem Haupthaus zur Linken und einer Schafwiese zu Rechten zum Parkplatz führt und von dort zu einer von Zypressen gesäumten Allee wird, die an Büschen, Gemüsebeeten und Stallungen vorbei nach ungefähr hundert Metern im Wald verschwindet. Von dort werden in nicht allzu ferner Zukunft Elli und auch die anderen Gäste mit ihren Autos anreisen.
Elli! Ein bisschen aufgeregt ist er schon, dass er sie gleich wiedersehen wird. Sie ist ihm nicht gleichgültig, keineswegs! Er mag sie, sehr sogar, wie er sich eingestehen muss. Die Zeit, die sie damals, nach der gemeinsamen Urlaubswoche hier, miteinander in Deutschland verbracht hatten, war wunderschön gewesen. Dennoch war für ihn immer klar gewesen, dass ihre Beziehung keine auf Dauer sein kann. Wie auch, wenn sein Lebensmittelpunkt in Neuseeland liegt und ihrer in Deutschland?
Doch warum ist er dann hier? Was will er von ihr und wie soll er sich ihr gegenüber verhalten?
Diese Frage stellt er sich, seit er die Reise gebucht hat. Bis heute hat er allerdings keine Antwort darauf gefunden. Sucht er vielleicht doch unbewusst nach einer festen Partnerin und will herausfinden, ob Elli das sein kann? Würde sie das überhaupt wollen?
Vermutlich schon, denkt er nach kurzem Überlegen. Er weiß nicht warum, aber er fühlt es, auch wenn sie das Thema natürlich niemals angeschnitten, sondern weiträumig umgangen haben – damals in Deutschland und natürlich erst recht in ihrem unverbindlichen E-Mail-Wechsel danach. Wie hätte eine Beziehung auch funktionieren sollen bei der Entfernung, die zwischen ihren beiden Welten liegt? Obwohl, wo ein Wille ist … ist da ein Wille?
Er merkt, wie eine altvertraute Anspannung in ihm hochkriecht, ein unangenehmes Gefühl, das ihm die Luft zum Atmen zu nehmen scheint und das immer dann auftaucht, wenn seine Gedanken sich in eine Richtung bewegen, die mit „fester Beziehung“ zu tun hat. Er fühlt sich plötzlich wie eingesperrt, auch wenn er längst ahnt, dass das nichts mit Elli zu tun hat, sondern mit ihm selbst.
Will er, dass das ewig so weitergeht? Will er sich immer wieder von irgendetwas abhalten lassen, sein Leben mit jemandem zu teilen? Ist die Unabhängigkeit, die er sucht, nicht nur ein anderes Wort für Einsamkeit? Will er so den Rest seines Lebens verbringen? Und falls nicht, wäre Elli dann nicht genau die Richtige?
Statt eine Antwort auf diese Frage zu finden, hört er von Ferne Motorengeräusche. Ein, nein zwei Autos nähern sich dem Gut. Ob sie in einem davon sitzt?
„Ich glaube, wir bekommen Gesellschaft!“
Julie horcht auf.
„Das könnten Elli und Monika sein! Oder Matthias! Die drei kommen nämlich auch!“, erklärt sie ihm.
Wieder spürt Josh Verlegenheit in sich hochsteigen, jetzt sogar noch mehr als vorhin. Er sollte ganz schnell etwas dazu sagen, dass er das alles sehr wohl weiß, nämlich von Elli. Er öffnet den Mund, um etwas Entsprechendes möglichst gelassen von sich zu geben, da läuft Julie schon los, ungeachtet des sehr enttäuschten Blickes aus zwei großen, dunklen Hundeaugen, die das weder verstehen noch gutheißen können.
Josh dagegen muss zugeben, dass er erleichtert ist. Er hat versucht, es ihr zu sagen – ehrlich!
Etwas langsamer folgt er der davoneilenden Julie, die schon fast am Haupthaus vorbei und auf dem Parkplatz angekommen ist. In diesem Moment taucht erst ein und dann noch ein weiteres Auto aus dem Wald auf, durch den der Weg vom Anwesen zur Schotterstraße führt. Tatsächlich: Am Steuer des ersten Wagens sitzt Elli. Sein Herz schlägt für einen kurzen Moment schneller, als er die Fahrerin erkennt. Ihre Haare sind länger geworden. Sie sieht … großartig aus!
Dann fällt sein Blick auf die Beifahrerin, die ihn verblüfft anstarrt: Es ist Monika.
In diesem Moment schießt Josh durch den Kopf, dass nicht nur er vermieden hat, Julie darüber aufzuklären, dass er sehr wohl weiß, dass Elli, Monika und Matthias hierher kommen werden. Auch Elli hat es augenscheinlich vermieden, ihren beiden Freundinnen gegenüber den Umstand zu erwähnen, dass Josh hier sein wird, und das, obwohl sie stundenlang mit Monika im selben Auto unterwegs war. Soso!
Monika kann es nicht fassen. Dass Julie hier sein würde, wusste sie. Aber Josh? Was macht der hier? Der kommt doch aus Neuseeland, wenn sie sich richtig erinnert? Unglaublich! Was für ein Zufall, dass er in genau derselben Kurswoche hier ist wie die drei Mädels und Matthias!
„Das gibt’s nicht! Schau dir an, wer da ist!“, sagt sie zu Elli gewandt.
„Unfassbar!“, murmelt diese und parkt ihr Auto sorgfältig neben Julies blauem Kastenwagen, der durch das weiße Kreuz auf rotem Grund am Nummernschild unverkennbar der Eidgenossin zuzuordnen ist.
„Das finde ich auch!“, gibt Monika zurück.
Dann stutzt sie. Urplötzlich tauchen Bilder vor ihrem inneren Auge auf, die sie fast vergessen hatte. Doch jetzt steht ihr alles so deutlich vor Augen, als wäre es gestern gewesen. Sie sieht die Szene von vor drei Jahren ablaufen, als sich alle voneinander verabschiedeten. Das war genau hier gewesen, auf diesem Parkplatz. Es war der Abreisetag und die Kursteilnehmer hatten sich vor dem Haupthaus versammelt, um ihre Autos zu beladen und sich Lebewohl zu sagen. Dabei sah sie Elli, wie sie neben ihrem Wagen stand und auf Matthias wartete, mit dem sie zurück nach Deutschland fahren wollte. Dann sie sah Josh, wie er sich Elli näherte. Zu dumm, dass Monika dann für einen Moment woanders hingesehen hatte! Doch als ihr Blick wieder in die Richtung der beiden fiel, sah sie, wie Josh Elli an sich zog und küsste – jedoch nicht nur auf die Wange, wie man es vielleicht in einigen Teilen der Welt und in einigen Kreisen zu tun pflegt, sondern auf den Mund! Das war definitiv keine unverbindliche Verabschiedung gewesen, wie man sie irgendwo anders praktizieren mochte – bestimmt auch nicht in Neuseeland. Das hatte mehr zu bedeuten!
Monika ist perplex. Sie schaut von Elli zu Josh und wieder zu Elli.
Ob es da etwas gibt, was ihre Freundin ihr nicht erzählt hat? Wie es wohl damals weitergegangen ist mit den beiden? Ist es überhaupt weitergegangen? Josh ist nie ein Thema gewesen in den E-Mails, die sie sich von Zeit zu Zeit schrieben. Hätte sie vielleicht mal nachfragen sollen?
Misstrauisch blickt sie nach links zur Fahrerin. Doch Elli springt bereits aus dem Auto, bevor Monika irgendetwas in ihrem Gesicht ablesen kann. Eilig steigt sie selbst aus dem Wagen und sieht,