„Vorgestern, es war eine spontane Geschichte. Wir sind Kollegen und er hat mich gefragt, ob wir noch etwas trinken gehen wollen. Da ich wusste, dass ihr eh noch nicht zu Hause sein werdet, wenn ich da bin, habe ich zugesagt.“
Erneut öffnet sich mein Mund und dieses Mal bin auch ich überrascht. Niemals hätte ich gedacht, dass er sich wirklich irgendwann mit einem Kollegen treffen würde. Lucas hat in der Vergangenheit mehr als einmal klargemacht, dass er diesen Schritt nicht gehen wird. Umso mehr verwundert es mich nun.
„Ich muss mehr über ihn wissen“, stelle ich fest.
„Da gibt es eigentlich nicht viel zu wissen. Wir sind Kollegen, aber das habe ich ja bereits gesagt. Außerdem ist er lustig und sieht verdammt heiß aus.“ Bei seinen letzten Worten fächert er sich theatralisch Luft zu, als würde er sich abkühlen müssen.
Avery kichert nur, während ich wieder ein Bild von dem Mann vor Augen habe, mit dem ich gestern zusammen gestoßen bin. Auch er sah verboten gut aus, daher kann ich es gerade nachvollziehen.
„Ich werde gleich einkaufen gehen“, sage ich also und versuche die Unterhaltung so in eine andere Richtung zu lenken.
Ich habe keine Lust mich weiterhin über gutaussehende Männer zu unterhalten. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich gerne mehr über ihn erfahren würde, so vertage ich das lieber.
„Braucht ihr etwas Bestimmtes?“
„Wollen wir nicht alle zusammen gehen?“ Avery sieht mich an.
„Ich mach das schon, kein Problem“, gebe ich schnell von mir, bevor sich Lucas auch noch anschließen kann. Allerdings macht er auch nicht den Eindruck auf mich, als hätte er Lust dazu.
Bevor er es sich doch noch anders überlegen oder Avery etwas sagen kann, lasse ich die beiden in der Küche zurück, gehe ins Schlafzimmer und mache mich fertig.
In diesem Moment habe ich nur noch den Wunsch von hier zu verschwinden. Ich will den beiden, und vor allem Avery, ausweichen. Denn ich weiß, dass früher oder später wieder dieses Thema auf den Tisch kommen wird. Und wenn ich es wenigstens etwas herauszögern kann, mache ich das gerne.
4
„Aria“, dröhnt die schrille Stimme von Theresa durch das Büro, sodass ich erschrocken zusammenzucke.
Alleine von der Art und Weise, wie sie meinen Namen ausspricht, macht sich eine Gänsehaut auf meinem Körper breit. Ich kenne diesen Ton mittlerweile von ihr und weiß, dass er nichts Gutes zu bedeuten hat. Alleine deswegen kann ich schon nicht verhindern, dass ich die Augen verdrehe. In diesem Moment bin ich nur froh, dass es keiner gesehen hat, auch wenn ein paar der Kollegen in meine Richtung blicken.
In den letzten Tagen musste ich mich ein paar Mal zusammenreißen, um ihr nicht die Meinung sagen. Ich kenne sie nicht sonderlich gut, eigentlich habe ich noch keine vernünftige Unterhaltung mit ihr geführt. Das einzige, was ich über sie weiß sind die Dinge, die ich in Erfahrung gebracht habe, als ein paar der anderen sich über sie unterhalten haben. Und eigentlich habe ich dabei nur oberflächliche Dinge erfahren. Doch sie hat etwas an sich, was dafür sorgt, dass ich wütend werde. Eine leise Stimme tief in meinem Inneren sagt mir aber auch, dass sie sich keine Mühe gibt, um freundlich mit mir zu sprechen. Vom ersten Tag an hat sie sich auf mich eingeschossen und ich bezweifle, dass das in absehbarer Zukunft besser wird.
„Ja?“, frage ich sie, nachdem ich mich zu ihr umgedreht habe. Ich versuche so freundlich zu bleiben, wie es nur geht. Allerdings fällt mir das wirklich schwer.
Ich erkenne, dass sie mit großen und energischen Schritten, die keinen Widerspruch dulden, auf mich zukommt. Ihre großen Brüste hüpfen beinahe schon aus der Bluse heraus, die eindeutig mindestens eine Nummer zu klein ist, und ihre Haare fliegen von einer Seite zur anderen, so schwungvoll läuft sie.
Ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit, als ich sie dabei beobachte. Und das gefällt mir überhaupt nicht. Ich schlucke und versuche es so loszuwerden. Doch es hält sich beharrlich.
„Was ist los?“, frage ich sie, als sie vor mir stehen bleibt und mich mit einem Blick betrachtet, den ich nicht genau einordnen kann.
„Ich muss hier gleich pünktlich raus, da ich einen wichtigen Termin habe, den ich leider auch nicht verschieben kann. Es würde erneut ein halbes Jahr dauern, bis ich einen neuen habe. Deswegen müsstest du diese Übersetzung noch fertig machen und sie dann an den Kunden schicken. Es sind nur noch zwei Absätze“, eröffnet sie mir und hält mir ein paar Unterlagen unter die Nase.
Ein hinterhältiges Grinsen hat sich auf ihr Gesicht geschlichen. Auch jetzt muss ich mir Mühe geben, damit ich ihr nicht unter die Nase halte, dass man das mit Sicherheit auch freundlicher sagen kann. Doch ich rufe mir schnell in Erinnerung, dass ich die Neue bin und es mir nicht sofort mit allen verscherzen sollte.
Und schon gar nicht mit ihr.
Mir ist klar, dass sie ein Nein nicht akzeptiert. Ich würde es ihr sogar zutrauen, dass sie zu unserem Chef geht und ihm irgendwelche Lügen erzählt, nur damit ich rausgeschmissen werde. Und das kann ich überhaupt nicht gebrauchen. Ich habe noch keine Ersparnisse zur Seite legen können und wenn ich diesen Job verliere, würde es außerdem nicht gut auf meinen nächsten Bewerbungen aussehen. Schließlich ist es meine erste Arbeitsstelle nach dem Studium und hier wäre ich dann gerade einmal zwei Wochen gewesen.
Deswegen atme ich einmal tief durch und nehme dann die Unterlagen an mich. Allerdings nehme ich mir vor, dass ich ihr beim nächsten Mal sagen werde, dass ich auch ein Privatleben habe und sie sich vielleicht erst einmal erkundigen könnte, ob ich auch pünktlich das Büro verlassen muss.
Ein letztes Mal lächelt sie mich zuckersüß an, ehe sie sich umdreht und genauso schwungvoll wieder verschwindet, wie sie gekommen ist.
Ich hingegen bleibe noch einige Sekunden sitzen und sehe ihr nach, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwunden ist. Dann verfluche ich mich selber dafür, dass ich anscheinend zu nett bin.
Ich weiß, dass ich die Neue im Büro bin. Dementsprechend stehe ich in der Hackordnung auch ganz weit unten und muss auch mal die ungeliebten Arbeiten machen. Und das ist auch in Ordnung für mich. Ich habe mich darauf vorbereitet und es war auch nie schlimm für mich. Ganz im Gegenteil. Ich versuche aus jeder Situation das Beste zu machen und etwas zu lernen. Allerdings macht sie mittlerweile auf mich den Eindruck, als würde sie mir mit Absicht eins reinwürgen wollen. Und dagegen sage ich etwas. Schließlich arbeite ich nicht hier, um ihr alles abzunehmen.
Als ich sie das erste Mal gesehen und mehr oder weniger mit ihr aneinander geraten bin, dachte ich noch, dass sie vielleicht einen schlechten Tag hatte. Das kann jedem passieren und ich weiß, dass man dann schnell auf jemand anderen losgeht. Mir selber ist es auch schon passiert.
Nachdem ich die letzten Tage allerdings die Chance hatte sie besser kennenzulernen, bin ich mir nun sicher, dass sie keinen schlechten Tag hatte, sondern anscheinend immer einen hat.
Bevor ich doch noch Gefahr laufe, dass ich ihr endlich etwas hinterherrufe, von dem ich mir sicher bin, dass es nur zu einem Streit führen wird, drehe ich mich um und gehe zu meinem Schreibtisch. Die nächste Stunde bleibe ich daran sitzen und arbeite konzentriert. Zum Glück sind es wirklich nur noch zwei Absätze, doch das heißt nicht, dass sie schnell gehen. Der Text ist so kompliziert verfasst, dass es länger dauert, als ich es erwartet habe.
Nachdem ich endlich alles abgeschickt habe, lasse ich mich nach hinten sinken und schließe die Augen. Ich gönne mir ein paar Sekunden Ruhe, ehe ich den Computer ausschalte und ebenfalls das Büro verlasse, um mich mit meinen Freunden zu treffen.
Auch jetzt herrscht wieder geschäftiges Treiben auf den Straßen, obwohl es bereits nach acht Uhr ist, als ich endlich auf die Straße trete. So schnell es geht, versuche ich mir einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen, doch so einfach ist das nicht. Ich komme nur langsam voran, sodass ich es schließlich aufgebe und mit