Tewje der Milchmann. Scholem Alejchem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Scholem Alejchem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754941157
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verabschieden? Friede sei mit Euch!« sage ich. »Guten Abend wünsche ich Euch allen, die ihr da versammelt seid! Wohl bekomm es Euch!«

      »Kommt doch her«, sagt man mir. »Was steht Ihr dort im Finstern? Laßt Euch wenigstens anschauen, wir wollen wissen, wie Ihr ausschaut. Wollt Ihr vielleicht einen Schluck Branntwein?«

      »Wie heißt Ihr?« fragt mich der Hausherr selbst, ein stattlicher Mann, mit einem Käppchen auf dem Kopfe. »Wo seid Ihr her? Wo wohnt Ihr, was ist Euer Geschäft, seid Ihr verheiratet, habt Ihr Kinder und wieviel?«

      »Kinder?« sage ich. »Ich kann mich nicht beklagen! Wenn jedes meiner Kinder«, sage ich, »wirklich eine Million wert ist, wie es mir meine Golde einreden will, so bin ich reicher als der reichste Mann von Jehupez. Leider«, sage ich, »ist aber arm nicht reich, und verschieden nicht gleich, wie es auch geschrieben steht: ›Der da unterscheidet zwischen heilig und alltäglich.‹ – Wenn einer das Geld hat, so geht es ihm gut. Geld haben aber die Brodskij’s, und ich habe Töchter. Und wenn man hat Töchter«, sage ich, »so vergeht das Gelächter. Aber es macht nichts, Gott ist doch der Vater. Er regiert uns, das heißt, er sitzt oben, und wir quälen uns unten. Man rackert sich ab und schleppt Baumklötze – hat man denn die Wahl? Das ganze Unglück kommt vom Essen. Wie meine Großmutter, sie ruhe in Frieden, zu sagen pflegte: ›Wenn das Maul in der Erde läge, könnte sich der Kopf in Gold kleiden!‹ … Nehmt es mir nicht übel«, sage ich, »es gibt nichts Geraderes als eine schiefe Leiter, und nichts Schieferes als ein gerades Wort; besonders«, sage ich, »wenn man einen Schluck Branntwein auf den nüchternen Magen genommen hat.«

      »Gebt doch dem Mann etwas zu essen!« sagt der Hausherr, und im Augenblick trägt man mir zahllose Gerichte auf: Fisch und Fleisch, und Braten, und Gänsernes, und Hühner, und Lebern ohne Zahl.

      »Einen Kranken fragt man, einem Gesunden gibt man! Aber ich danke schön! Einen Schluck Branntwein kann ich noch nehmen; aber ich werde mich doch nicht hier hinsetzen und ein solches Mahl verzehren, wenn Weib und Kinder, sie sollen gesund sein, zu Hause fasten … Wenn ihr aber so gut sein wollt ...«

      Sie verstanden mich im Nu, und ein jeder packte mir in den Wagen, was er nur schleppen konnte: der eine – ein Brot, der andere – Fische, der dritte – Braten, der vierte – ein Viertel Gans, der fünfte – Tee und Zucker, der sechste – einen Topf Schmalz, der siebente – einen Topf Eingemachtes.

      »Das alles werdet Ihr Eurem Weib und Euren Kindern als Geschenk mitbringen«, sagen sie. »Und jetzt sagt uns, was verlangt Ihr für Eure Mühe und dafür, dass Ihr zwei Seelen aus einer Gefahr gerettet habt?«

      »Was heißt«, sage ich, »was ich verlange? So viel ihr mir geben werdet, so viel werde ich nehmen. Wir werden uns schon einigen, wie man sagt, einen Rubel herauf, einen Rubel herunter. Ein ausgetretener Schuh kann nicht noch mehr ausgetreten werden ...«

      »Nein«, sagen sie, »wir wollen Eure Ansicht hören, Reb Tewje, habt nur keine Angst, man wird Euch, Gott behüte, nicht köpfen!«

      ›Was soll ich da tun?‹ denke ich mir. ›Es ist doch wirklich nicht gut: verlange ich einen Rubel, so wird es mich vielleicht später reuen, dass ich nicht zwei verlangt habe. Und verlange ich zwei, so werden sie mich vielleicht für verrückt halten. Womit habe ich auch zwei Rubel verdient?‹

      »Drei Rubel!!!« … sage ich plötzlich ohne Überlegung. Alle fangen plötzlich zu lachen an, so dass ich vor Scham in die Erde versinken möchte.

      »Nehmt es mir nicht übel«, sage ich, »ich habe es mir nicht überlegt. Ein Pferd hat vier Beine und kann stolpern; um so mehr der Mensch, der nur eine Zunge hat.« ...

      Nun lachten sie noch lauter, sie kugeln sich einfach vor Lachen. »Genug schon zu lachen!« sagt der Hausherr und holt aus dem Busen eine große Brieftasche heraus. Und er nimmt aus der Brieftasche – nun, wieviel meint Ihr? – ratet einmal! – einen ganzen feuerroten Zehnrubelschein – so wahr wir beide gesund sein sollen! –, und er sagt zu mir: »Das gebe ich. Und ihr, Kinder, gebt dem Mann aus eurer Tasche, soviel jeder will!«

      Kurz und gut, was soll ich lange erzählen, es flogen auf den Tisch Fünfrubelscheine, Dreirubelscheine, Einrubelscheine, – Hände und Füße zitterten mir, ich meinte, ich müßte gleich in Ohnmacht fallen.

      »Nun, was steht Ihr so da?« sagt zu mir der Hausherr. »Nehmt doch die paar Rubel und fahrt nach Hause zu Weib und Kindern.«

      »Gott gebe euch«, sage ich, »das Zehnfache und das Hundertfache von dem, was ihr mir gegeben habt. Und ihr sollt alles Gute erleben und recht viel Freude!« Und ich scharre das Geld mit beiden Händen zusammen und stopfe es mir, ohne zu zählen, in die Taschen.

      »Gute Nacht!« sage ich. »Bleibt gesund und erlebt recht viel Freude an Euren Kindern und Eurer ganzen Familie!« Wie ich aber schon zum Wagen gehen will, sagt zu mir die Hausfrau, das ist die ältere Frau mit dem seidenen Tuch:

      »Wartet eine Weile, Reb Tewje; von mir bekommt Ihr noch ein Extrageschenk. Ich schicke es Euch morgen zu: ich habe«, sagt sie, »eine braune Kuh; sie war früher einmal eine wertvolle Kuh und gab jeden Tag vierundzwanzig Glas Milch. Heuer hat sie wohl ein böser Blick getroffen, und sie läßt sich nicht mehr melken, das heißt, melken läßt sie sich wohl, aber sie gibt keine Milch mehr.« ...

      »Lange leben sollt Ihr«, sage ich, »und nie im Leben Kummer erfahren! Bei mir wird sich Eure Kuh sowohl melken lassen wie auch Milch geben. Meine Alte ist, unberufen, eine gute Hausfrau und kann aus Nichts Nudeln machen und aus der hohlen Hand einen Brei kochen … Nehmt’s mir nicht übel«, sage ich, »wenn ich ein Wort zu viel gesagt habe. Ich wünsche euch allen gute Nacht und alles Gute, und bleibt gesund«, sage ich.

      Ich gehe aus dem Hause und schaue nach dem Pferd – ach und weh ist mir! Ein Unglück ist mir geschehen! Ich schaue nach allen Seiten – das Pferd ist verschwunden!

      »Nun, Tewje«, sage ich mir, »man hat dich schon in Behandlung genommen!« … Und es kommt mir eine schöne Geschichte in den Sinn, die ich einmal in irgendeinem Buche gelesen habe: die unsauberen Mächte erwischten einmal einen anständigen Juden, einen Chossid in der Fremde, lockten ihn in einen Palast und traktierten ihn dort mit allerlei Speisen und Getränken; plötzlich verschwanden sie alle und ließen ihn allein mit einem Frauenzimmer zurück. Das Frauenzimmer verwandelte sich sofort in ein reißendes Tier, das reißende Tier in eine Katze, und die Katze in eine Natter … »Paß auf, Tewje, dass dir nicht dasselbe geschieht und dass man dich nicht beschwindelt!«

      »Was schleicht Ihr dort herum und was brummt Ihr?« fragt man mich.

      »Was ich brumme?« antworte ich. »Ach und weh ist mir!« sage ich, »ich habe einen großen Schaden: mein Pferd ...«

      »Euer Pferd«, sagen sie zu mir, »steht im Stall. Bemüht Euch nur in den Stall.«

      Ich komme in den Stall und sehe: es stimmt, so wahr ich ein Jude bin! Mein Gaul steht recht vornehm unter den herrschaftlichen Pferden, ist ganz ins Kauen vertieft und frißt Hafer nach Herzenslust.

      »Hör nur«, sage ich zu ihm, »mein Kluger, es ist schon Zeit, nach Hause zu fahren! Man darf nicht«, sage ich, »sich so auf das Fressen stürzen: ein Bissen zu viel kann manchmal schaden.« ...

      Kurz und gut, es gelang mir mit großer Mühe, den Gaul zu überreden und, mit Verlaub zu sagen, vor den Wagen zu spannen. Und ich fuhr nach Hause, lustig und guter Dinge, und sang im Fahren gar fröhlich das Gebet: ›Melech Eljon‹; auch das Pferdchen war ein ganz anderes geworden, als ob ihm ein neues Fell gewachsen wäre: es wartete