Tewje der Milchmann. Scholem Alejchem. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Scholem Alejchem
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754941157
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obwohl ich eigentlich gar nicht weiß, was ich das brauche! Und was geht es mein Pferdchen an – es sei von mir wohl unterschieden! –, ob der Hafer teuer oder billig wird? So oder so – es bekommt doch niemals Hafer zu sehen! Aber Gott darf man mit solchen Fragen nicht kommen; am allerwenigsten darf es der Jude. Er muß alles als gut hinnehmen und zu allem sagen: »Auch dies ist zu meinem Besten, denn so will es wohl Gott. Und den Lästerern«, singe ich weiter, »sei keine Hoffnung, denn Gott zerbricht die Feinde und vernichtet die Übermütigen … Die Aristokraten, die da sagen, es gäbe keinen Gott auf der Welt, werden schön aussehen, wenn sie ins Jenseits kommen; dort werden sie es mit Zinseszinsen auskosten, denn Gott ist ein guter Zahler und läßt mit sich nicht spaßen. Man darf ihn nur anflehen und zu ihm schreien: ›Barmherziger Vater, höre unsere Stimmen, schone uns und erbarme dich unser‹, erbarme dich meines Weibes und meiner Kinder, denn sie haben, nebbich19, Hunger. Bewillige deinem Volk Israel«, singe ich, »wie einst den Tempel, und die Priester und die Leviten ...« Und plötzlich – halt! Das Pferdchen ist stehen geblieben.

      »Reb Jude! Hört doch, Reb Vetter!« schreit zu mir das eine der beiden Geschöpfe und winkt mir mit einem Tuche. »Bleibt doch einen Augenblick stehen, wartet ein Weilchen! Rennt nicht davon! Es wird Euch, Gott bewahre, gar nichts geschehen!«

      Beide haben feuerrote Gesichter und sind verschwitzt.

      »Guten Abend! Willkommen!« sage ich zu ihnen sehr laut und tue so, als ob es mir lustig zumute wäre. »Was ist euer Begehr? Wenn ihr etwas kaufen wollt, so werdet ihr bei mir nichts finden, höchstens Bauchweh, auf die Köpfe meiner Feinde sei es gesagt! Oder eine volle Woche Herzkrämpfe, oder etwas Kopfweh, trockene Schmerzen, nasse Plagen, heisere Wehen?« … »Beruhigt Euch!« sagen sie mir. »Sieh nur, wie er sich ins Zeug legt! Wenn man so einem Juden auch nur ein einziges Wort sagt, ist man seines Lebens nicht mehr sicher! Wir wollen«, sagen sie, »gar nichts kaufen. Wir wollen Euch nur fragen, ob Ihr uns vielleicht sagen könnt, wo der Weg nach Bojberik ist?«

      »Nach Bojberik?« sage ich und fange zu lachen an. »Es ist genau so«, sage ich, »wie wenn ihr mich fragen würdet, ob ich weiß, dass ich Tewje heiße.«

      »Ha-ha-ha! Ein schöner Räuber!« sage ich. »Habt ihr einmal die Geschichte vom jüdischen Räuber gehört«, sage ich, »der einen Wanderer überfiel und ihn um eine Prise Tabak bat? Wenn ihr wollt«, sage ich, »kann ich euch die Geschichte erzählen.«

      »Die Geschichte«, sagen sie, »wollen wir lieber ein andermal hören. Jetzt zeigt uns lieber den Weg nach Bojberik!«

      »Nach Bojberik?« sage ich. »Herr Gott! Das ist ja der richtige Weg nach Bojberik! Ihr mögt wollen oder nicht«, sage ich, »ihr müßt auf diesem Wege nach Bojberik kommen!«

      »Warum habt Ihr bisher geschwiegen?«

      »Sollte ich denn schreien?«

      »Wenn es sich so verhält«, sagen sie, »so wißt Ihr vielleicht auch, wie weit es noch nach Bojberik ist?«

      »Nach Bojberik«, sage ich, »ist es nicht weit, es sind nur einige Werst. Das heißt«, sage ich, »es sind fünf bis sechs Werst, oder sieben, oder vielleicht auch volle acht.«

      »Acht Werst!« schrien beide Weiber zugleich. Sie rangen die Hände und fingen beinahe zu weinen an. »Herr Gott, was redet Ihr? Wißt Ihr auch, was Ihr redet? Es ist doch keine Kleinigkeit – acht Werst!«

      »Nun«, sage ich, »was soll ich dagegen machen? Wenn das von mir abhinge, hätte ich den Weg ein wenig kürzer gemacht. Der Mensch«, sage ich, »muß auf der Welt alles ausprobieren. Es kommt vor«, sage ich, »dass man sich durch den Schmutz bergauf schleppen muß, und es ist kurz vor Sabbatanbruch, der Regen peitscht ins Gesicht, die Hände zittern, das Herz ist matt, und da bricht auch noch eine Achse ...«

      »Ihr redet wie ein Verrückter«, sagen sie. »Ihr seid wohl gar nicht recht bei Sinnen! Was erzählt Ihr uns für lange Geschichten, Märchen aus Tausendundeiner Nacht? Wir haben keine Kraft mehr, die Beine zu bewegen, wir haben heute den ganzen Tag außer einem Glas Kaffee und einer Buttersemmel nichts im Munde gehabt, und da kommt Ihr und erzählt uns solche Geschichten!«

      »Wenn es sich so verhält«, sage ich, »so ist es was anderes. Wie sagt man doch: Kein Tanz geht vor dem Essen. Ich weiß ganz gut, wie der Hunger schmeckt, und ihr braucht es mir nicht zu erklären. Es ist wohl möglich«, sage ich, »dass ich Kaffee und Buttersemmel seit einem Jahre nicht mehr gesehen habe ...« Und wie ich das sage, sehe ich vor mir ein Glas heißen Kaffee mit Milch, und eine frische Buttersemmel, und noch andere gute Sachen … »Unglücksmensch!« sage ich zu mir, »bist du denn mit Kaffee und Buttersemmeln großgezogen worden? Bist du krank, ein Stück Schwarzbrot mit Hering zu essen?« Doch der böse Trieb, nicht gedacht soll seiner werden, hält mir wie zum Trotz den Kaffee und die Buttersemmel vor die Nase, und ich spüre den Geruch vom Kaffee und den Geschmack der Buttersemmel, der frischen, wohlschmeckenden Buttersemmel, die die Seele erquickt!

      »Wißt Ihr was, Reb Tewje?« sagen zu mir beide Weiber. »Es wäre vielleicht gar nicht so dumm, wenn wir, wie wir hier stehen, zu Euch in den Wagen steigen und Ihr die Mühe auf Euch nehmt und uns, mit Verlaub zu sagen, nach Hause, nach Bojberik bringt? Was werdet Ihr dazu sagen?«

      »Der Vorschlag ist jetzt ebenso angebracht«, sage ich, »wie der Vers, dass das Leben einem zerbrochenen Topf gleicht: ich komme aus Bojberik, und ihr wollt nach Bojberik! Wie kommt die Katze über das Wasser?«

      »Nun, was ist denn dabei?« sagen sie. »Wißt Ihr denn nicht, was man in einem solchen Falle tut? Ein gelehrter Mann findet Rat: er wendet den Wagen und fährt zurück. Habt nur keine Angst, Reb Tewje«, sagen sie, »Ihr könnt sicher sein: wenn Ihr uns, so Gott will, wohlbehalten nach Hause bringt, wünschen wir uns soviel Kränke, wieviel Ihr an der Sache draufzahlt!« ›Sie reden auf Aramäisch‹, denke ich mir, ›es ist keine gewöhnliche Menschensprache!‹ Und es kommen mir in den Sinn Gespenster, Hexen, böse Geister, die Cholera. ›Narr, Sohn eines Spechts!‹ denke ich mir. ›Was stehst du wie ein Pflock da? Spring in den Wagen, zeige deinem Pferde die Peitsche und entflieh!‹ Doch gegen meinen Willen, es ist wohl ein Werk des Teufels, kommen mir aus dem Munde die Worte: »Steigt in den Wagen!«

      Als die Weiber dies hörten, ließen sie sich nicht lange bitten und sprangen schnell in den Wagen. Ich setzte mich auf den Bock, wendete den Wagen um und zog dem Pferdchen ein paar über: eins, zwei, drei vorwärts! Aber es hört auf mich wie auf den gestrigen Tag! Es will sich nicht vom Fleck rühren, und wenn ich es auch in Stücke schneide. ›So‹, denke ich mir, ›nun verstehe ich schon, was es für Weiber sind … Der Teufel hat mich verführt, mitten im Walde zu halten und mich mit den Weibern in Gespräche einzulassen!‹ … Stellt Euch