»Er?« – »Ja, er.«
»Wieso?« – »Speist mit mir zu Nacht, und ich erzähle Euch die Geschichte während des Mahles.«
»Ich kann nicht; ich speise mit ihm.«
»In der Tat, er erwartet jemand.«
»Das bin ich, und da ich bereits zu spät komme, so erlaubt Ihr mit, daß ich Euch verlasse, nicht wahr, Baron?«
»Nein, Donner und Teufel! ich erlaube es nicht!« rief Canolles. »Ich habe mir in den Kopf gesetzt, in Gesellschaft zu speisen, und Ihr eßt mit mir, oder ich esse mit Euch. Meister Biscarros, zwei Gedecke!«
Aber während Canolles sich umwandte, um zu sehen, ob dieser Befehl vollzogen werde, hatte Richon die Treppe erreicht und stieg rasch die Stufen hinauf. Als er auf die letzte Stufe gelangte, begegnete seine Hand einer kleinen Hand, die ihn in das Zimmer des Vicomte von Cambes zog, dessen Tür sich hinter ihm schloß und durch zwei Riegel gesichert wurde.
»In der Tat,« murmelte Canolles, während er vergeblich mit seinen Augen den verschwundenen Richon suchte und sich an seinen einsamen Tisch setzte, »in der Tat, ich weiß nicht, was man in dieser verfluchten Gegend gegen mich hat. Die einen laufen mir nach, um mich zu töten, die andern fliehen mich, als ob ich die Pest hätte. Beim Teufel, mein Appetit stirbt dahin. Ich fühle, daß ich traurig werde, und bin fähig, mich zu betrinken wie ein Landsknecht. Hollah, Castorin, hierher, damit ich dich durchprügle! Sie schließen sich da oben ein, als ob sie sich verschwören wollten! Ah, doppelter Ochs, der ich bin, in der Tat, sie konspirieren! Ja, damit erklärt sich alles. Nun denn, Castorin, laß auftragen und schenke mir ein; ich verzeihe dir.«
Während er sich darein ergibt, sein Mahl einsam zu verzehren, wollen wir sehen, was inzwischen bei Nanon von Lartigues vorging.
Nanon war, was ihre Feinde auch gesagt und geschrieben haben mögen, zu jener Zeit ein reizendes Geschöpf von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, klein von Wuchs, mit brauner Haut, aber mit geschmeidigem, anmutigem Wesen, mit lebhaften, frischen Farben, mit tiefschwarzen Augen, deren durchsichtige Hornhaut in allen Regenbogenfarben, in allen Lichtern und Funken spielte, wie die der Katzen. Heiteren Angesichts, scheinbar lachend, war Nanon doch weit entfernt, ihren Geist allen Launen, allen Nichtswürdigkeiten hinzugeben, die mit tollen Arabesken den seidenen und goldenen Einschlag sticken, aus dem gewöhnlich das Leben einer Petite-Maitresse sich zusammenwebt. Reiflich und lange in ihrem eigensinnigen Kopf abgewogen, nahmen im Gegenteil die ernsthaftesten Erörterungen ein im höchsten Grad verführerisches Äußere an, wenn sie sich durch ihre vibrierende Stimme mit dem stark gascognischen Akzent vernehmbar machten. Niemand hätte unter dieser rosigen Maske mit den seinen, lachenden Zügen, unter diesem glühenden Blicke voll wollüstiger Versprechungen die unermüdliche Beharrlichkeit, die unüberwindliche Standhaftigkeit und Tiefe des Staatsmannes erraten, und dennoch waren Nanons Eigenschaften oder Fehler, je nachdem man sie von der Vorderseite oder von der Rückseite der Medaille betrachten will, dennoch war dies der berechnende Geist, das ehrgeizige Gemüt, dem ein Körper voll Eleganz als Hülle diente.
Nanon war von Agen. Der Herzog von Epernon, der Sohn des unzertrennlichen Freundes von Heinrich IV., hatte, zum Gouverneur der Guienne ernannt, wo sein hochmütiges Wesen, seine Anmaßungen und seine Erpressungen ihn allgemein verhaßt machten, dieses unbedeutende Bürgermädchen, die Tochter eines einfachen Advokaten, ausgezeichnet. Er machte, ihr den Hof und siegte mit großer Mühe und nach einer Verteidigung, die mit der Geschicklichkeit eines großen Taktikers ausgehalten wurde, der seinen Sieger den Preis des Sieges fühlen lassen will. Aber als Lösegeld für ihren nun verlorenen Ruf beraubte Nanon den Herzog seiner Macht und seiner Freiheit. Nach einer sechsmonatlichen Verbindung mit dem Gouverneur der Guienne regierte sie die schöne Provinz und gab allen, die sie einst verletzt oder gedemütigt hatten, die empfangenen Beleidigungen mit Wucher heim. Königin aus Zufall, wurde sie Tyrannin aus Berechnung. Bei ihrem feinen Geist hatte sie das Vorgefühl, daß man die wahrscheinliche Kürze der Herrschaft durch die gewissenloseste Ausnutzung ersetzen müsse.
Sie bemächtigte sich demzufolge alles dessen, was in ihren Bereich kam, riß Schätze, Einfluß, Ehrenstellen an sich, Sie wurde reich, sie vergab die Ämter und empfing die Besuche von Mazarin und den ersten Herren des Hofes. Sie besaß schließlich ein Vermögen von zwei Millionen.
Sie hatte wohl gefühlt, wie der Volkshaß flutähnlich stieg und mit seinen Wellen gegen die Machtstellung des Herrn von Epernon anprallte, der, an einem Tage des Zorns von Bordeaux vertrieben, Nanon mit sich zog, wie die Barke dem Schiffe folgt. Nanon beugte sich unter dem Sturme, bereit, sich wiederzuerheben, sobald der Sturm vorübergegangen wäre. Sie nahm Herrn von Mazarin zum Muster und trieb die Politik des gewandten, geschmeidigen Italieners. Der Kardinal bemerkte diese Frau, die durch dieselben Mittel, die ihn selbst zum ersten Minister und zum Besitzer von fünfzig Millionen gemacht haben, sich hob und bereicherte. Er bewunderte die kleine Gascognerin; er tat noch mehr, er ließ sie gewähren. Man wird vielleicht später erfahren, warum.
Die Bekanntschaft zwischen Nanon und Canolles hatte sich auf die natürlichste Weise gebildet. Canolles, Leutnant im Regiment Navailles, wollte Kapitän werden. Er mußte daher an Herrn von Epernon, den kommandierenden General, schreiben. Nanon las den Brief, sie antwortete wie gewöhnlich, im Glauben, sie behandle eine Geschäftssache, und bewilligte Canolles eine Zusammenkunft in diesem Sinne. Canolles wählte unter seinen Familienjuwelen einen prachtvollen Ring, der wenigstens fünfhundert Pistolen wert war – es war dies immer noch minder teuer, als sich eine Kompanie zu kaufen – und begab sich sodann zu der Zusammenkunft. Aber der Sieger Canolles, dem sein prunkhafter Ruf von Liebesglück voranging, machte diesmal die fiskalischen Berechnungen des Fräulein von Lartigues zu Schanden. Es war das erstemal, daß er Nanon sah, es war das erstemal, daß Nanon ihn sah. Sie waren beide jung, schön und geistreich. Die Zusammenkunft ging in gegenseitigen Artigkeiten hin, von dem Geschäfte war mit keiner Silbe die Rede, und dennoch wurde das Geschäft abgemacht. Am andern Morgen erhielt Canolles sein Kapitänspatent, und als der kostbare Ring von seinem Finger an Nanons überging, war es nicht mehr der Preis des befriedigten Ehrgeizes, sondern das Pfand glücklicher Liebe.
Als Nanon mit dem Herzog aus Bordeaux weichen mußte und der Pöbel sie in ihrem vergoldeten Wagen am liebsten zerrissen hätte, wählten sie das kleine Landhaus als Aufenthaltsort für Nanon, bis man ihr ein Haus in Libourne eingerichtet hätte. Canolles erhielt einen Urlaub, scheinbar, um einige Familienangelegenheiten in der Heimat abzumachen, in Wirklichkeit aber, um sein Regiment verlassen zu können, das nach Agen zurückgekehrt war, und um sich nicht zu weit von Matifou zu entfernen, wo seine beschützende Gegenwart notwendiger wurde, als je. Die Ereignisse wurden nämlich beunruhigend ernst. Die Gefangennahme der Prinzen von Condé, von Conti und Longueville bot den vier oder fünf Parteien, die damals Frankreich zerrissen, einen vortrefflichen Vorwand zum Bürgerkriege. Der Widerwille des Volkes gegen den Herzog von Epernon, von dem man wußte, daß er ganz und gar dem Hofe angehörte, wuchs immer mehr, obgleich man hätte meinen sollen, er könnte nicht mehr zunehmen. Eine von allen Parteien gewünschte Katastrophe stand nahe bevor. Nanon verschwand wie die Vögel, die den Sturm kommen sehen, vom Horizont und kehrte in ihr Blätternest zurück, um das Ereignis abzuwarten.
Sie gab sich für eine Witwe aus, welche die Einsamkeit sucht; als solche hatte sie auch, wie man sich erinnern wird, Meister Biscarros bezeichnet.
Herr von Epernon war also am Tage vorher zu der reizenden Einsiedlerin gekommen und hatte ihr angekündigt, er würde eine achttägige Rundreise antreten. Sobald er sich entfernt hatte, schickte Nanon durch den Einnehmer, ihren Günstling, ein Wort an Canolles, der sich während seines Urlaubs in der Gegend aufhielt. Nur verschwand dieses Wort im Original, wie wir erzählt haben, unter den Händen des Boten. Der sorglose Baron beeilte sich, der Einladungsabschrift Folge zu leisten, als ihn der Vicomte von Cambes vierhundert Schritte von seinem Ziele zurückhielt.
Das übrige ist bekannt.
Als Nanon, die Canolles wie eine liebende Frau, das heißt zehnmal in der Minute ans Fenster eilend, erwartete, Canolles' Billett erhielt, war sie wie vom Blitze getroffen.
Sie liebte Canolles sehr, aber bei ihr war der Ehrgeiz ein Gefühl, das der