»In der Tat,« murmelte der alte Edelmann, »er war, wenn ich mich nicht täusche, eine Kreatur Nanons. Und was ist aus diesem Elenden geworden?«
»Ah, Ihr sollt sehen, ob wir wohlgetan haben, diesen Elenden, wie Ihr ihn nennt, in das Wasser zu tauchen; sonst hätte er sicherlich die ganze Erde in Aufruhr gebracht; denn denkt Euch, als wir ihn aus dem Flusse zogen, war er, obgleich er kaum eine Viertelstunde darin verweilt hatte, vor Wut gestorben.«
»Ja, aber dann ist ja Herr von Canolles nicht in Kenntnis gesetzt und wird daher nicht zu dem Stelldichein kommen?«
»Oh! nur Geduld, ich führe den Krieg gegen die Mächte und nicht gegen Privatleute. Herr von Canolles hat ein Duplikat von dem Briefe bekommen, der ihn einlud. Nur glaubte ich, die eigene Handschrift habe einigen Wert, und behielt sie.«
»Was wird er denken, wenn er die Handschrift nicht erkennt?«
»Die Person, die ihn zu sehen wünscht, habe sich aus größerer Vorsicht der Hilfe einer fremden Hand bedient.«
Der Fremde betrachtete Cauvignac mit einer gewissen Bewunderung, die er dieser mit Geistesgegenwart gepaarten Unverschämtheit zollte.
Er wollte sehen, ob es kein Mittel gäbe, den Verwegenen einzuschüchtern.
»Aber die Regierung, aber die Nachforschungen,« sagte er, »denkt Ihr nicht zuweilen daran?«
»Die Nachforschungen?« versetzte der junge Mann lachend, »ah, ja wohl! Herr von Epernon hat ganz anderes zu tun, als Nachforschungen anzustellen; und dann habe ich Euch ja gesagt, daß das, was ich tat, geschehen sei, um mich bei ihm in Gunst zu setzen. Er wäre also sehr undankbar, wenn er mir diese nicht bewilligte.«
»Ich verstehe nicht ganz,« erwiderte der alte Edelmann ironisch. »Euch, der nach eigenem Geständnisse die Partei des Prinzen ergriffen hat, ist der seltsame Gedanke gekommen, Herrn von Epernon einen Dienst zu leisten?«
»Das ist die einfachste Sache von der Welt; die Einsicht der Papiere, die ich bei dem Einnehmer vorfand, hat mich von der Reinheit der Absichten des Königs oder vielmehr seines Ministers, Herrn von Mazarin, und seines Statthalters, des Herzogs von Epernon, überzeugt. Hier ist also die gute Sache, und deshalb habe ich für die gute Sache Partei ergriffen.«
»Das ist ein Räuber, den ich hängen lassen werde, wenn er je in meine Hände fällt,« brummte der alte Edelmann und zog dabei an den krausen Haaren seines Schnurrbarts. »Was werdet Ihr mit dem Blankett machen, das Ihr von mir fordert?« fuhr er laut fort.
»Der Teufel soll mich holen, wenn ich einen Entschluß hierüber gefaßt habe. Ich forderte ein Blankett, weil es das Bequemste, das Tragbarste, das Elastischste von der Welt ist. Wahrscheinlich werde ich es für irgendeinen außerordentlichen Umstand aufbewahren; Möglicherweise verschleudere ich es auch in der nächsten besten Laune, die mir in den Kopf kommt; vielleicht lege ich es Euch schon vor Ende dieser Woche vor; vielleicht gelangt es auch erst in drei bis vier Monaten mit einem Dutzend von Indossenten wie ein umgehender Wechsel zu Euch. Aber seid unbesorgt, jedenfalls werde ich es nicht zu etwas mißbrauchen, worüber wir, Ihr und ich, zu erröten hätten, so etwas kann man als Edelmann nicht tun.«
»Ihr seid Edelmann?« – »Ja, mein Herr, und zwar einer von den besten.«
»Dann lasse ich ihn rädern,« murmelte der Unbekannte; »das soll ihm sein Blankett einbringen.«
»Seid Ihr entschlossen, mir das Blankett zu geben?« – »Ich muß wohl.«
»Ich nötige Euch nicht, wohlverstanden. Es ist ein Tausch, den ich Euch vorschlage. Behaltet Euer Papier, und ich behalte das meinige.«
»Den Brief!« – »Das Blankett!«
Und er streckte mit einer Hand den Brief aus, während er mit der andern eine Pistole spannte.
»Laßt Eure Pistole in Ruhe,« sagte der Fremde und öffnete seinen Mantel, »denn ich habe auch Pistolen, und zwar ebenfalls gespannte.«
»Hier ist Euer Brief.«
Der Austausch der Papiere wurde nun vorgenommen, und jede der beiden Parteien prüfte stillschweigend, mit Muße und Aufmerksamkeit, was man ihr zugestellt habe.
Da beide nach dem entgegengesetzten Ufer als das, von dem sie gekommen waren, zu gelangen wünschten, machte der Fremde dem Fährmann ein Zeichen, seine Barke loszubinden und ihn auf das andere Ufer in der Richtung eines Gebüsches zu führen, das sich bis an die Straße ausdehnte.
Der junge Mann erwartete vielleicht irgendeinen Verrat und erhob sich halb, um ihm mit den Augen zu folgen, die Hand stets an seine Pistole gelegt und bereit, bei der geringsten verdächtigen Bewegung Feuer auf den Fremden zu geben. Aber dieser ließ sich nicht einmal herbei, das Mißtrauen, dessen Gegenstand er war, zu bemerken, sondern kehrte dem jungen Manne den Rücken zu, begann den Brief zu lesen und war bald gänzlich in die Lektüre versunken.
»Erinnert Euch wohl des Augenblicks,« rief Cauvignac, »es ist heute abend um acht Uhr.«
Der Fremde antwortete nicht und schien nicht einmal gehört zu haben.
»Ah,« sagte Cauvignac leise und mit sich selbst sprechend, während er beständig den Kolben seiner Pistole streichelte, »bedenkt man, daß ich jetzt die Erbfolge des Gouverneurs von Guienne eröffnen und dem Bürgerkrieg Einhalt tun könnte! Aber ist der Herzog von Epernon tot, wozu soll mir dann sein Blankett nützen, und ist der Bürgerkrieg geendigt, wovon soll ich leben? In der Tat, es gibt Augenblicke, wo ich glaube, daß ich ein Narr werde! Es lebe der Herzog von Epernon! Es lebe der Bürgerkrieg! Vorwärts, Schiffer, an deine Ruder, wir wollen rasch nach dem rechten Ufer steuern und diesen würdigen Herrn nicht lange auf seine Eskorte warten lassen.«
Drittes Kapitel
Eine halbe Stunde nach der soeben von uns erzählten Szene öffnete sich dasselbe Fenster, das so rasch geschlossen worden war, vorsichtig wieder, und auf das Gesims dieses Fensters lehnte sich, nachdem er zuvor aufmerksam rechts und links geschaut hatte, mit dem Ellenbogen ein junger Mensch, von sechzehn bis achtzehn Jahren in schwarzer Kleidung und mit bauschigen Manschetten. Ein feines, gesticktes Batisthemd trat stolz aus seinem Leibrocke hervor und fiel wellenförmig auf seine mit Bändern überladenen Beinkleider. Seine kleine, zierliche, fleischige Hand zerknitterte ungeduldig damlederne, auf den Nähten gestickte Handschuhe. Ein perlgrauer Filzhut, der sich an seinem Ende unter der Krümmung einer herrlichen blauen Feder bog, beschattete seine langen goldschimmernden Haare, die ein ovales Gesicht mit weißer Hautfarbe, rosigen Lippen und schwarzen Brauen umgaben. Aber dieses anmutige Ganze, das aus dem jungen Manne einen der reizendsten Kavaliere machen mußte, war für den Augenblick durch einen Ausdruck übler Laune verdüstert, die ohne Zweifel von vergeblichem Warten herrührte, denn der junge Mann befragte mit seinen weit geöffneten Augen die in der Ferne bereits in den Abendnebel getauchte Landstraße.
In seiner Ungeduld schlug er seine linke Hand mit den Handschuhen. Bei dem Lärm schaute der Wirt, der seine Feldhühner vollends gerupft hatte, empor, nahm seine Mütze ab und fragte: »Um welche Stunde werdet Ihr zu Nacht speisen, gnädiger Herr? Man erwartet nur Eure Befehle, um aufzutragen.«
»Ihr wißt wohl, daß ich nicht allein zu Nacht speise und daß ich einen Gefährten erwarte,« versetzte der Gefragte. »Wenn Ihr ihn kommen seht, könnt Ihr Euer Mahl auftragen lassen.«
Mit diesen Worten zog sich der Jüngling in sein Zimmer zurück, ließ einen Augenblick seine Stiefel auf dem Boden klingen, ging aber bei dem entfernten Geräusche von Pferdetritten, das er gehört zu haben glaubte, abermals an das Fenster.
»Endlich,« rief er, »endlich ist er da, Gott sei gelobt!« Er sah wirklich jenseits des Gebüsches, wo die Nachtigall sang, den Kopf eines Reiters erscheinen. Zu seinem Erstaunen aber erwartete er vergebens, der Reiter würde dem Wege folgen. Der Ankömmling zog sich nach rechts, drang ins Gehölz, oder vielmehr sein Hut versank darin, ein sicherer Beweis, daß er abgestiegen war. Einen Augenblick nachher gewahrte der Beobachter durch die