„Du würdest deine arme kleine Freundin doch nicht so auf den Arm nehmen, oder?“, stammelte sie, nachdem sie für einen schier endlosen Moment lang absolut sprachlos gewesen war. In ihren zitternden Händen hielt sie zwei VIP Tickets für ein Alice Cooper Konzert in Toronto. „Ich habe mich vage daran erinnert, dass du mal erwähnt hast, dass du ein Poster von ihm gegenüber deinem Bett hattest.“ „Ich wollte ihn heiraten! – Ihn oder Nikki Sixx.“ Beinahe hätte sie ihn darum gebeten sie zu kneifen, um sicher zu gehen, dass das kein Traum war. Und Haydn hatte sich daran erinnert und er hatte sie ihr geschenkt. Das war vielleicht eine noch größere Überraschung – und Freude. „Bei Alice könnte nicht mal ich landen“, zuckte Haydn die Schultern, „aber Nikki ist immer offen für Vorschläge, soweit ich weiß.“ „Haydn Cavendish?“, sah sie auf und ihre Schultern sackten nach vor. Wenn es nicht zu kitschig gewesen wäre, hätte sie Tränen in den Augen gehabt. „Ich liebe dich.“ „Ich hab dich auch lieb, Babydoll“, streichelte er ihre Wange mit der Gerte und stellte dann die Kiste auf den Boden. „Und jetzt komm her, damit ich auch noch was von deiner Freude habe.“ Er schmeckte nach Pfefferminzzahnpasta und Linnea musste sich eingestehen, dass sie es unheimlich erregend fand, wie er das harte Leder der Gerte über ihre Brüste und Schenkel wandern ließ.
„Du hast aber nicht ernsthaft Alice Cooper angemacht?“, verschränkte sie ihre Finger mit seinen, als sie durch das winterlich graue Wien spazierten. Haydn blieb stehen und zuckte die Schultern. „Vielleicht?“ „Oh…!“, gab sie vor, ihm ins Schienbein zu treten und biss dann in ihr Stück warmen Apfelstrudel, das sie in einer kleinen Bäckerei auf dem Weg vom Hotel in die Altstadt gekauft hatten. Sie war zwar erst wenige Stunden zum ersten Mal hier, aber sie konnte schon jetzt sagen, dass ihr die Stadt wirklich gut gefiel. Sie mochte vor allem die Pferdekutschen, die trotz der Kälte auf zahlkräftige Touristen warteten, wie auch die Tatsache, dass sogar Schaufensterpuppen als Mozart verkleidet waren.
„Hmmm, was hältst du davon?“, waren sie vor den Temperaturen in ein Musikgeschäft geflüchtet und sie zeigte ihm eine CD. Haydn hielt darin inne, den Buchstaben D zu durchsuchen und warf einen schnellen Blick auf das Cover. „Angeblich sind sie ziemlich gut.“ „All wankers“, zuckte er die Schultern und grinste. Sie ließ sie CD sinken. „Wie ist es eigentlich, wenn man seine eigene Musik in den Regalen findet?“, fragte sie dann und sah ihn an. „So wie ein Blick in den Spiegel?“, zog er die Augenbrauen hoch. „Sei ehrlich“, öffnete sie die CD, um das Booklet heraus zu holen. „Haydn Cavendish“, las sie daraus laut. „Vocals, Guitar, Drums. ‚Silk Wire’, Lyrics/Music: Cavendish, Roche. Erhöht das nicht wenigstens deinen Puls?“ „Okay“, nahm er seine Hände von den CDs. „Ich gebe zu, beim ersten Mal wäre ich fast ohnmächtig geworden.“ Sie kicherte. „Aber“, griff er nach ihrem Schal und zog daran. „Aber du kennst mich: Natürlich finde ich unser Album in den Regalen. I know how fabulous I am.“ „Ach du“, winkte sie ab und steckte die Cd zurück. Plötzlich fand sie sich in Haydns Armen wieder, in einen äußerst leidenschaftlichen Kuss verwickelt. „Whoohaa…“ schnappte sie nach Luft und zog ihre Mütze zurecht. „Ey baby, wir sind hier nicht im Schlafzimmer.“ „Jemand hat unsere Alben durchstöbert. Ich wollte nur sichergehen, dass man mich nicht erkennt…“ Sie zog ihm die Mütze vom Kopf.
Nach einem Bummel durch die Altstadt, einem Besuch im Museum und einem Rundgang durch Schloss Schönbrunn – das sich nun auch wieder nicht so großartig vom Stockholmer Stadtschloss unterschied, aber für einen Kanadier war jede Burg ein Schloss -, kehrten sie kurz in ihr Hotelzimmer zurück, um Sex unter der Dusche zu haben und sich für den Abend herzurichten. Ein weiterer Teil ihres Geburtstagsgeschenks beinhaltete Opernkarten. Linnea war noch nie in der Oper gewesen. Sie mochte klassische Musik und sie kannte auch ein paar Namen, aber es hatte noch nicht zu ihren gewöhnlichen Freizeitbeschäftigungen gehört. Umso überraschter war sie, dass Haydn sich sogar ein wenig mit den Inhalten einzelner Werke auszukennen schien. Und ihr gefiel die Idee, sich ein bisschen hübsch zu machen, um in ein Theater zu gehen – vor allem als sie Haydn zum ersten Mal, seit sie sich kannten, in einem Anzug sah. Okay, schwarze Hosen, schwarzes Sakko und ein dunkelblaues Hemd, an dem er geflissentlich vergessen hatte die obersten Knöpfe zuzuknöpfen. „My oh my“, drehte sie sich herum, die sie gerade beschäftigt war, ihren Lidschatten im Garderobenspiegel aufzutragen und musterte ihren Ehemann, der sich, ganz das Topmodel, gekonnt herumdrehte. „Yes, I do scrub up quite nicely sometimes“, zwinkerte er dann und legte seine Armbanduhr an. „Aber ich muss neidlos zugeben, du hast auch keine schlechte Wahl getroffen.“ Sie sah an ihrem lila Kleid hinunter und streifte den Stoff glatt. „Und dabei hab ich es mir selbst gekauft.“
Ihre Plätze waren nicht die besten, aber das Linnea hatte vergessen, kaum dass der erste Akt vorüber war. Sie hatte sich schnell daran erinnert, dass sie Die Zauberflöte einmal im Stockholmer Schlosstheater aufgeführt hatten und sie Teile davon in einer Fernsehübertragung gesehen hatte, aber so, live, war es geradezu mitreißend. Sie mochte die Musik und die verschiedenen Charaktere und sie erschauderte innerlich, als die Königin der Nacht sich in schwindelnde Höhen sang.
Haydn hatte ihre Finger in seinem Schoß mit den seinen verschränkt und beobachtete vielmehr Linneas Reaktion zu den einzelnen Szenen auf ihrem Gesicht als das Geschehen auf der Bühne und spürte den unterschiedlichen Druck ihrer Hand. Es war schwer zu sagen, was er empfand, als er das tat oder woran er dachte. Eigentlich dachte er überhaupt nicht, was es umso angenehmer für ihn machte.
Linnea konnte hingegen gar nicht fassen, dass es ihnen gelungen sein sollte, zwei beinahe normale Wochenenden miteinander zu verbringen, in denen er sie tatsächlich behandelte, als wäre sie mehr als ein Mädchen das er bei einem Interview aufgerissen hatte. Hatte sie ihn etwa in ihrer Gegenwart tatsächlich ein wenig gezähmt? Doch alle Hoffnung zerfiel in winzig kleine Stückchen, als sie in der Pause von der Toilette zurückkam und ihn lachend und flirtend an der Bar vorfand, völlig in das Dekolleté einer jungen Frau neben ihm vertieft, die ihm auch noch an den Po fasste. Hatte sie eigentlich das Recht, ihm eine Szene zu machen? Sie waren immerhin nicht in seiner Öffentlichkeit und sie war seine Frau.
Die junge Frau hatte sich neben Haydn wiedergefunden, als sie zwei Glas Sekt für sich und ihre Freundin holen wollte. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid, das jedoch kaum etwas der Phantasie überließ und sie zwinkerte ihm zu, als sie sich über die Theke beugte, um die Aufmerksamkeit der Kellner auf sich zu ziehen. „Argh, bis die sich bewegen ist die Pause längst vorbei“, brummte sie und Haydns Deutsch war gut genug, um zumindest die Umstände zu verstehen, auch wenn ihm der Dialekt Probleme bereitete. „Was darf’s denn sein?“, fragte er und versuchte seinen holländischen Akzent zu verstecken, den man meistens raushörte, wenn er Deutsch sprach. Sie hatte kurze metallicblonde Haare und war eigentlich so gar nicht sein Typ. Aber sie hatte dieses Blitzen in den Augen, als sie sich zu ihm drehte. „Zweimal Sekt.“