Wie dem auch sei, ich wasche Unterhosen und meine Klosterkluft alle drei Tage. Und um sie ganz weiß zu bekommen, lasse ich sie lange einweichen. Dann warte ich auf einen Moment, wo ich niemanden im Bad wähne und hänge die strahlenden Riesendinger zum Trocknen auf. Ich schäme mich immer noch ein bisschen für diese Teile. Meine stille Hoffnung, dass die Oma-Unterhosen mir nicht zuzuordnen sind, ist wahrscheinlich müßig, denn ich bin mal wieder die Älteste in diesem Retreat. Als meine Wäsche ein drittes Mal, von der tropischen Hitze sanft bewegt auf der Leine trocknet, ist sie auch Zeichen, dass das Ende des Retreats nicht mehr fern sein kann.
Ein Glück! In der letzten Zeit habe ich geradezu zwanghaft angefangen, die Tage zu zählen, die ich schon hier bin und die, die ich noch bleiben muss. Eine Rechenaufgabe, die zu lösen mir unmöglich schien. Mein Körper schmerzt vom vielen Sitzen und meine Konzentration bricht häufiger ab. Am letzten Tag gehe ich sogar duschen, während alle anderen unten in der Buddhahalle auf ihrem Kissen meditieren. Ich bin schon viel zu sehr damit beschäftigt, wie meine Reise mit Greta weitergehen wird und umso mehr bin ich überrascht, als es heißt, dass wir alle für die Schlusszeremonie zusammen kommen sollen.
Abschiedsritual
Der letzte Retreattag fällt auf den sogenannten Buddha Day. An diesen besonderen Sonntagen zu bestimmten Mondphasen findet sich die ganze Gemeinde schon frühmorgens im Kloster ein. Den ganzen Tag über gibt es Dhamma Talks, Klatsch und Tratsch und jede Menge Essen. Natürlich werden auch die Bettelschalen der Mönche gefüllt, die heute dafür nicht auf die Straße müssen.
Nach dem offiziellen Programmteil für die Sangha beginnt unsere Verabschiedung. Wir versammeln uns um ein mehrstöckiges Blumenbukett, das mit einem langen Baumwollfaden geschmückt ist. In handgelenklange Stücke geschnitten wird er sich später in die begehrten Sai Sins wandeln, die wir im Westen als Glücksbändchen kennen. Aus einem Knäuel windet sich der weiße Baumwollfaden von der Buddhastatue durch die Hände eines jeden Mönchs, umrundet mehrmals das Gesteck in unserer Mitte und berührt auf seinem Weg zurück zum Buddha die vielen Hände unserer Gruppe. Er steht symbolisch für einen Faden aus einer heiligen Mönchsrobe und verbindet uns nicht nur untereinander, sondern auch mit unserer Buddhanatur. Den Faden so haltend wird er von den Mönchen mit einem Chant gesegnet, damit er seine volle Kraft entfalten kann. Danach wird er eingeholt und geteilt.
Das Abschiedsritual beginnt mit einem Chant. Unser Zeremonienmeister, ein alter Mann aus der Gemeinde, kitzelt an einigen Stellen so schräge Obertöne aus seiner Kehle, dass die Gemeinde laut johlt und lacht. Die ganze Buddhahalle scheint überhaupt angefüllt zu sein mit glücklichen Gesichtern. Dann darf der Sänger seine stark strapazierten Stimmbänder schonen und unsere Gruppe vor dem Podest, auf dem die Mönche sitzen, Platz nehmen. Nacheinander rutschen Gemeindemitglieder jeden Alters auf Knien zu uns heran und bedanken sich bei jedem einzelnen von uns mit einem Sai Sin für den Mut und für die Arbeit, die wir mit unserer Meditation für die Welt geleistet haben. Den jungen Mädchen werden dabei Versprechungen von einer blühenden Zukunft mit tollem Ehemann und vielen Babies gemacht. Und immer wieder höre ich die Frage: “Where are you from?” sowie die begeisterten Reaktionen der Thais auf die unterschiedlichen Antworten unserer aus fünfzehn Nationen stammenden Gruppe. Sie sind entzückt, dass wir, diese merkwürdigen Langnasen, aus der ganzen Welt in ihr kleines Khon Kaen zum Meditieren kommen. Wieder rührt mich die Wärme und das Mitgefühl dieser Menschen so sehr, dass mir Tränen über das Gesicht laufen. Am Ende zähle ich mehr als vierzig Bändchen an meinem Arm. Jedes davon werde ich solange tragen, bis es von allein abfällt. Auch danach gehört es nicht in den Müll, sondern auf einen erhöhten Platz, um von dort weiter und auf ewig an die in mir liegende Buddhanatur zu erinnern.
In dem Moment, wo wir das Schweigen brechen, verändert sich die Geräuschkulisse augenblicklich in den Dezibelbereich eines tosenden Applauses. Ich kann kaum mein eigenes Wort und schon gar nicht das eines anderen verstehen. Es ist schwer zu glauben, dass dies die Normalität ist. Unser erster Gang in Freiheit und der letzte gemeinsame mit der Gruppe führt hinunter zum See von Khon Kaen. Fern vom Kloster ist Körperkontakt wieder erlaubt und ich umarme jeden in unserer Gruppe innig. Auch wenn wir uns gar nicht kennen, sind wir durch die außergewöhnliche Erfahrung, die wir geteilt haben, verbunden. Danach trennen sich unsere Wege. Vielleicht für immer.
Für die Teammitglieder des Mindfulness Projects, zu denen auch Greta und ich für die nächsten anderthalb Wochen gehören, geht es in ein nahegelegenes Café. Es hat Tradition, sich hier nach einem Retreat mit Lava Cake, heißer Schokolade mit Sahne und riesigen Eisportionen zu verwöhnen.
Richtung Norden zum Mindfulness Project
Wider meines erlernten Wissens, dass viel innere Arbeit notwendig ist, um sich aus der Tiefe von alten Mustern, Gewohnheiten und Vorstellungen zu befreien, fühlt sich der erste Schritt vor die Klostermauern nach größtmöglicher Freiheit an. Wir sind alle in Hochstimmung und geradezu euphorisch. Es scheint als würde der Körper sein ganzes Depot an Glückshormonen auf einmal ausschütten. Auch Greta ist komplett aufgekratzt. Mit geröteten Wangen redet sie ununterbrochen über ihre Erlebnisse. Sie hat das Gefühl, etwas ganz tief verstanden zu haben. Dass Licht auf eine Wahrheit gefallen ist, die ihr bisher verborgen blieb. Sie macht einen zutiefst glücklichen Eindruck. Fast als wäre sie von einer körperfremden Substanz berauscht.
In diesem Zustand checken wir in unser kleines angestammtes Hotel ein. Das Zimmer empfängt uns mit zwei richtigen Betten. Einmal darauf werfen, soviel Zeit muss sein. Die Aussicht, die kommende Nacht darin zu verbringen, ist einfach göttlich. Ansonsten ist dieser Raum aus westlicher Sicht alles andere als luxuriös. Für uns aber ist er luxuriöser als alles andere, was wir in der letzten Zeit erfahren haben. Es gibt ein En-Suite-Badezimmer mit Warmwasser und eine Toilette mit Spülung. Nachdem wir das alles ausgiebig genossen haben, wandern wir, von unserer Freiheit beschwingt, die mittlerweile dunkle Straße von unserem Hotel hinunter zu einer nur wenige Minuten entfernten Garküche. Es ist mehr ein Küchenwagen, der auf dem Gehsteig steht und von vier bestuhlten Tischen umgeben ist. An einem davon sitzen unsere Freunde und wir begrüßen uns, als hätten wir uns ewig nicht gesehen. Bei der Spezialität des Hauses, einer Fischsuppe namens Tom Yam Pla reden wir laut und durcheinander und lachen uns über Dinge kaputt, die wir normalerweise noch nicht mal lustig finden würden. Eine weitere Begleiterscheinung eines Schweigeretreats. Wir sind so sensibilisiert, dass es nur wenig braucht, um prustend loszulachen. Völlig erschöpft und glücklich machen wir uns nach zwei Stunden wieder auf den Weg in unsere himmlischen Betten.
Am nächsten Morgen geht es dreißig Kilometer Richtung Norden zum Mindfulness Project. In ein paar Tagen wird hier das Retreat mit Swami Atma beginnen. Das Grundstück des Mindfulness Projects liegt in der Nähe eines kleinen Dorfes mitten auf dem Land zwischen endlos scheinenden Feldern, Knicks und einzeln verstreuten Bäumen. In Thailand wird häufig in Monokultur angebaut, was dem Boden alle Nährstoffe entzieht und die rote Erde auslaugt. Das Mindfulness Project hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, mit Hilfe von Permakultur toten Boden fruchtbar zu machen und öde Steppen aufzuforsten. Permakultur ist ein nachhaltiges Gestaltungskonzept für Landwirtschaft und Gartenbau, das sich an natürlich gewachsenen Ökosystemen und fein aufeinander abgestimmten Kreisläufen der Natur inspiriert. In den letzten Jahrzehnten hat sich daraus eine Philosophie entwickelt, die sich auf alle Bereiche des menschlichen Lebens anwenden lässt. Zusammen mit dem Buddhismus bildet sie die Basis des Mindfulness Projects.
Die beiden Freunde aus Hamburg, die später noch in Richtung Heimat fliegen werden, haben Ähnliches für ihre Zukunft vor und sind mitgekommen, um sich das Projektland anzuschauen. Zwischen den Zeiten, in denen hier Volontäre wohnen und arbeiten, liegen immer ein paar Wochen des Müßiggangs, in denen das Team sich erholen kann. Diese Zeit nutzt auch die Natur, um durchzuatmen und sich ihr Terrain zurückzuerobern. In den letzten