Ob Madame Blifil sich an den Süßigkeiten des Ehestandes den Magen verdorben, oder vor seinen Bitterkeiten einen Ekel hatte, oder was sonst die Ursache sein mochte, will ich nicht entscheiden, aber man konnte sie nicht dahin vermögen, sich zu einer zweiten Verbindung zu entschließen. Unterdessen geriet sie am Ende mit Quadrat in einen so genauen Umgang, daß boshafte Zungen anfingen, solche Dinge von ihr herumzuflüstern, denen wir, sowohl der Dame wegen, als, weil sie sich keineswegs mit der Regel des Rechts und der ewigen Harmonie der Dinge reimen ließen, keinen Glauben beimessen, und also damit unser Papier nicht beflecken wollen. Der Pädagog, das ist gewiß, peitschte immer frisch zu, ohne einen Schritt auf seinem Wege weiter zu kommen.
In der That hatte er einen großen Irrtum begangen. Dies entdeckte Quadrat viel früher, als er selbst. Madam Blifil (wie vielleicht der Leser vorhin erraten hat) war nicht gar zu außerordentlich mit der Aufführung ihres Gemahls zufrieden; ja um es ganz ehrlich zu gestehen, sie haßte ihn recht treuherzig, bis endlich der Tod ihm ihre Liebe ein wenig wieder erwarb. Daher ist es denn eben nicht sonderlich zu verwundern, daß sie nicht die höchste Zärtlichkeit gegen das edle Reis hegte, was von ihm entsprossen war. Und in der That hegte sie von dieser Zärtlichkeit so wenig, daß sie ihren Sohn in seiner Kindheit sehr selten sah, oder im geringsten sich um ihn bekümmerte, und daher ließ sie sich, nach ein paar sauren Mienen, alle die Gunstbezeigungen gefallen, welche Herr Alwerth auf den Findling gleichsam regnen ließ, den der gute Mann seinen eignen lieben Jungen nannte, und in allen Dingen mit dem jungen Blifil in völliger Gleichheit hielt. Diese nachgebende Gefälligkeit der edlen Witwe ward von den Nachbarn und von den Hausgenossen als ein Zeichen betrachtet, daß sie sich gerne in ihres Bruders Einfälle fügte, und alle sowohl wie auch Schwöger und Quadrat, dachten nicht anders von ihr, als daß sie im Grunde ihres Herzens den Findling haßte; ja, je freundlicher sie ihm begegnete, je mehr, meinten sie, wäre sie auf ihn erbittert, und desto sichrer reifte der Plan, den sie zu seinem Untergang ersönne; denn weil sie dachten, sie müßte ihn ihres eignen Nutzens wegen hassen, so wurde es ihr um so schwerer, die Leute vom Gegenteil zu überzeugen.
Schwöger war um so mehr in seiner Meinung bestärkt, weil sie ihn mehr als einmal unter der Hand vermocht hatte, den armen Tom zu peitschen, wenn Herr Alwerth, der diese Handarbeit haßte, ausgegangen war; und weil ihr in Ansehung des jungen Blifils dergleichen Zumutungen niemals eingefallen waren. Dies hatte auch den Quadrat zu einem falschen Urteil verleitet. In Wahrheit, ob sie gleich ihren eignen Sohn gewißlich haßte, worin es, so unnatürlich es auch scheint, gewiß mehrere Mütter ihresgleichen giebt, so schien sie doch, ungeachtet ihrer äußerlichen Nachgiebigkeit, in Ansehung aller Wohlthaten, welche Herr Alwerth dem Findling angedeihen ließ, in ihrem Herzen mißvergnügt zu sein. Sie klagte oft darüber hinter ihres Bruders Rücken, und tadelte ihn deswegen sehr scharf gegen beide Herren, Schwöger und Quadrat; ja sie warf es selbst Herrn Alwerth ins Angesicht vor, wenn ein kleines Mißverständnis vorfiel, oder wenn, wie der gemeine Mann sagt, die Sonne auf den Schornstein schien.
Unterdessen, als Tom heranwuchs, und von der wackern Gemütsart Zeichen gab, durch welche die Männer bei den Weibern so hoch ans Brett kommen, verminderte sich nach und nach diese Abneigung, welche sie gegen ihn, da er noch ein Kind war, hatte blicken lassen, und zuletzt zeigte sie höchst deutlich und zwar so deutlich, daß es länger unmöglich war, sich darüber zu irren, daß sie für ihn eine weit größere Gewogenheit habe, als für ihren eigenen Sohn. Sie war so begierig darauf, ihn oft bei sich zu haben, und fand eine solche Freude an seiner Gesellschaft, daß er, bevor er noch das achtzehnte Jahr erreicht hatte, Schwögers und Quadrats Nebenbuhler geworden war; und was noch ärger ist, so begann die ganze Nachbarschaft, ebenso laut von ihrer Neigung gegen Tom zu sprechen, als sie vorher sich über die gegen Quadrat lustig gemacht hatte; worüber denn der Philosoph auf unsern armen Helden einen unversöhnlichen Haß warf.
Worinnen der Autor in eigner Person auf der Bühne erscheinet.
Obgleich Herr Alwerth von Haus aus eben nicht der Schnellste war, die Sachen in einem nachteiligen Lichte zu besehen, und von dem öffentlichen Gerede nichts wußte, weil solches einem Bruder oder Ehemann selten zu Ohren kommt, ob es gleich in der ganzen Nachbarschaft von Haus zu Haus erschallt; so ward doch dieser Vorliebe seiner Schwester zum Tom, und der Vorzug, welchen sie ihm in zu sichtbarer Weise vor ihrem Sohne gab, dem armen Tom höchst nachteilig.
Denn so stark war das Mitleiden, welches Herrn Alwerths Gemüte innewohnte, daß solches bloß vom Schwerte der Gerechtigkeit besiegt werden konnte. Auf irgend eine Art unglücklich sein, wofern nur kein grobes Verbrechen das Gegengewicht hielt, reichte hin, die Schale des Mitleidens bei ihm zu senken und seine Freundschaft und Güte in Thätigkeit zu setzen.
Als er daher deutlich sah, sein Neffe Blifil würde von seiner Mutter ordentlich gehaßt (denn das ward er), so begann er, bloß deßwegen, ihn mit mitleidigen Augen zu betrachten, und was für Wirkungen das Mitleiden bei edlen gutherzigen Menschen hervor bringt, das darf ich den meisten meiner Leser hier nicht vorerklären.
Von dieser Zeit an sah er jeden Schein von Tugend an diesem Jüngling durch die vergrößernde Seite des Glases, und alle seine Fehler durch die verkleinernde, so daß er solcher kaum gewahr wurde. Und das mag vielleicht wegen der Liebenswürdigkeit eines mitleidigen Gemüts noch alles Lobes wert sein. Den nächsten Schritt aber kann nur allein die Schwachheit der menschlichen Natur entschuldigen. Denn nicht sobald bemerkte er den Vorzug, welchen Madame Blifil dem Tom gab, als dieser arme Jüngling (bei aller seiner Unschuld) in seiner Neigung, so wie er in der ihrigen stieg, zu sinken begann. Dies, es ist wahr, würde für sich allein niemals vermögend gewesen sein, den Tom aus seiner Brust zu reißen, aber es war ihm doch höchst nachteilig und breitete Herrn Alwerths Gemüt auf jene Eindrücke vor, welche nachher die großen Begebenheiten veranlaßten, welche die Folge dieser Geschichte enthalten wird, und wozu, wie ich gestehen muß, der unglückliche junge Mensch durch seine Ausschweifungen, seine Wildheit und seinen Mangel an Vorsicht so vieles beitrug.
Indem wir davon einige Beispiele aufzeichnen, werden wir, wofern man uns richtig versteht, der gutgesinnten Jugend, welche einst unser Werk lesen wird, eine sehr nützliche Lektion geben; denn solche wird hier finden, daß Güte des Herzens und Unbefangenheit des Gemüts, ob solche gleich ihnen großen innerlichen Trost verleihen und ihrem eignen Bewußtsein einen edlen Stolz geben können, jedoch leider gar nicht hinreichen, in der Welt ihr Glück zu machen. Klugheit und Behutsamkeit sind selbst dem besten Menschen unentbehrlich. Sie sind in der That gleichsam eine Leibwache der Tugend, ohne welche sie niemals in Sicherheit ist. Es ist nicht genug, meine lieben jungen Leser, daß Sie es gut meinen, daß sogar Ihre Handlungen innerlich gut sind; Sie müssen auch dafür sorgen, daß sie so scheinen. Ihr Inwendiges mag noch so schön sein, Sie müssen auch eine schöne Außenseite beibehalten. Hierauf muß man beständig achthaben, sonst werden Bosheit und Neid Sorge tragen, sie dergestalt anzuschwärzen, daß die Einsicht und Herzensgüte eines Alwerths nicht vermögend sein wird, hindurch zu sehen und die Schönheit des Inwendigen zu bemerken. Lassen Sie dies, meine jungen Leser, Ihre beständige Maxime sein, daß kein Mensch gut genug sein kann, um berechtigt zu sein, die Regeln der Klugheit zu vernachlässigen, auch wird selbst seine Tugend von ihrer Schönheit verlieren, wenn solche nicht mit der äußeren Zierde des Anständigen und Schicklichen ausgeschmückt ist. Und wenn Sie, meine würdigen Jünger, diese Lehre mit gehöriger Aufmerksamkeit fassen, so werden Sie solche, wie ich hoffe, durch die in den folgenden Blättern enthaltenen Beispiele hinlänglich bestätigt finden.
Ich bitte wegen dieses meines kurzen Auftritts, in der Manier eines Chors der Griechen auf der Bühne, um Verzeihung. Es ist wirklich meiner selbst wegen, damit, wenn ich die Klippen entdecke, woran oft Unschuld und Gutherzigkeit scheitern, man mich nicht dahin mißverstehen möge, als ob ich meinen Lesern gerade die Mittel anempföhle, wodurch sie ihr Verderben befördern. Und da ich dieses zu sagen von keiner meiner handelnden Personen erhalten konnte, so war ich genötiget, diese Erklärung selbst zu thun.