Gottessuche – oder die Angst ein Mensch zu sein
„Es gibt keinen Gott auf Shakespeares Bühne, nur menschliche Komplikationen ...“
Adi Da
Die heutige Sichtweise in Bezug auf den Sinn des Lebens, wie sie allgemein in den Medien verkündet wird, oder auch die Vorraussetzungen für politische und zwischenmenschliche Entscheidungen, ist geprägt von reinem Materialismus, sogenannter wissenschaftlicher Erkenntnis und dem Willen zur vollständigen Kontrolle über die Welt und den Menschen, der als anderer oder im schlimmsten Falle als Feind und Gegner angesehen wird. Das rational-materialistische Denken der westlichen Staaten hat die Führung der gesamten Menschheit übernommen. Alles wird zum Gegenstand von Geschäft und wissenschaftlicher Untersuchung. Jedes Ereignis wird „materialisiert“, dem Egoismus und seiner Gier in Form von Konsum unterworfen, um sich die vollständige Kontrolle über die Masse der Menschen zu sichern und die Ressourcen der Erde, zum scheinbaren Wohle aller, rücksichtslos auszubeuten.
All dieses absurde Streben ist zum tragischen Scheitern verurteilt, eine komplette Illusion. Der menschliche Geist und seine Schaffenskraft ist nicht das Maß der Dinge. Das unabhängige Individuum, die „eigene Firma“, die Propaganda, dass jeder Mensch getrennt existiert und nach dem eigenen Glück und Selbsterfüllung als eine Art „natürlicher Impuls“, suchen oder streben muss, ist ein fataler Trugschluss und eine Lüge. Weder die Suche nach absoluter Kontrolle über die manifeste Welt, noch der „heilige“ Weg durch spirituelle Suche die absolute Wahrheit zu finden wird jemals von Erfolg gekrönt sein. Die Zeichen der Zeit und aller vorangegangener Zeiten sind der Beweis. Alle Suche ist unnötig und es gibt nicht „etwas“ was es zu erreichen gilt. Es existiert nur die Wahrheit – vor allen Dingen - ohne unser zu tun, und ohne dass daraus irgendein Nutzen entstehen kann. Sie ist immer schon frei und an keinen Weg und an keine Sichtweise gebunden.
Als Adi Da offensichtlich und mit göttlicher Vehemenz in mein Leben trat, war ich gerade dreißig Jahre alt. Mein Leben davor war geprägt von spiritueller Suche und Flucht vor den Herausforderungen und den Schrecken der Welt.
Ich „erinnere“ mich an die Geschehnisse vor meiner Geburt, als ich wieder in diese Wirklichkeit der körperlich-materiellen Existenz hineingezogen wurde, beziehungsweise, wie meine Anhaftungen an diese Welt diesen Prozess der Wiedergeburt einleiteten.
Mein zukünftiger Vater besuchte zur Zeit, als die Schwangerschaft meiner Mutter nahte, einen Jahrmarkt. Er wollte nach einem Geschenk für meine Mutter Ausschau halten und wählte bei einem Händler die Skulptur einer schwarzen Frau mit hochgesteckten Haaren, wundervollen nackten Brüsten, einer goldenen Halskette und einer goldene Schale, die fest neben ihren Beinen ruhte. Sie saß elegant auf ihren Fersen, hatte knallrote Lippen und strahlte pralle Erotik aus. Alles in allem recht schön, geschmackvoll und kitschig – eben vom Jahrmarkt. Die Shakti1 oder Energieform, die diese Skulptur auf mysteriöse Weise für mich verkörperte und der Wunsch meines Vaters ein Kind zu zeugen, zog mich zu diesem Paar, meinen zukünftigen Eltern, und ich „wählte“ diese Familie. Diese schwarze Frau, die eine ungeheure Attraktivität für mich ausstrahlte, stand in späteren Jahren auf unserem Wohnzimmertisch und die goldene Schale wurde unerfreulicherweise als Aschenbecher benutzt, der täglich geleert werden musste, weil er überquoll. Ich schaute die Skulptur immer gerne an, liebte ihre Anwesenheit, hasste den Zigarettengestank und die verdreckte goldene Schale und wusste noch nicht, dass sie viele, viele Jahre später eine wichtige Rolle in meinem Leben spielen sollte. Ich trug sie regelmäßig zum Mülleimer, drehte sie auf den Kopf, um sie von Asche, Gestank und Zigarettenstummeln zu befreien.
Das Signal oder der Impuls in das Wieder-Geboren-Werden einzutreten, war mit dem simplen Erwerb dieser schwarzen Skulptur endgültig eingeleitet worden. Irgendwann, nach Monaten im Bauch meiner Mutter, kam mir schlagartig zu Bewusstsein, dass dieser bis dahin unbewusste Prozess Menschwerdung bedeutete. Es trat ein augenblicklicher vitaler Schock2 ein, der meine ganzen Körperzellen und ebenso die meiner Mutter erfasste. Während der letzten Phase der Schwangerschaft lag meine Mutter mehrere Wochen nieder, weil ihr ein Abgang drohte und sie das Kind nicht halten konnte. Ich wollte diesen Prozess umgehend abbrechen. Ich wollte nicht wieder in diese Welt und trotzdem zog es mich mysteriöserweise hinein. Kurz vor meiner tatsächlichen Geburt träumte meine Mutter den Namen des Kindes: Petrus. Sie erzählte meinem Vater davon. Der, zuerst schockiert, stimmte zu und ergänzte, dass das Kind Priester werden sollte. So bekam ich, bevor ich überhaupt das Licht der Welt erblickte, meine Berufung und Vorbestimmung, die ich auf keinen Fall erfüllen würde.
Meine Eltern vermittelten mir keinen Glauben oder die Weisheit einer Religion. Beide hatte der Bann der katholischen Kirche getroffen, da mein Vater geschieden war und meine Mutter einen geschiedenen Mann geheiratet hatte, beziehungsweise ein uneheliches Kind in die Ehe mitbrachte. Sie waren trotz dem Ausschluss von den Sakramenten sehr gläubige Menschen und besuchten regelmäßig Gottesdienste in den Kirchengemeinden außerhalb unseres Dorfes um „unerkannt“ am Abendmahl teilnehmen zu können.
Meine Erinnerungen an die früheste Kindheit bestehen hauptsächlich aus Zigarettengestank – meine beiden Eltern waren Kettenraucher – ständigen Angstattacken und dem Geruch von Alkohol, dazu die warme Stimme meines Vaters, die Liebe und Geborgenheit bedeutete, obwohl er auch schrecklich prügeln konnte.
Die Familiengeschichte meiner Eltern war geprägt von den grausamen Auswirkungen des 2. Weltkrieges, der ihre Kindheit und Jugend zu einem Alptraum machte. Meine Mutter wuchs mit neun Geschwistern in einer Großfamilie auf. Sie hatte ihren Lieblingsbruder und ihren Vater im Krieg verloren. Ihr Vater weigerte sich den Hitlergruß zu leisten und sympathisierte mit den kommunistischen Ideen. Er wurde in Dachau in ein Erziehungslager gesteckt und starb in den ersten Kriegsjahren in Polen. Die zehnköpfige Familie wurde mit schwersten Restriktionen des Naziregimes gequält und jegliche staatliche Unterstützung verweigert. Zwei ihrer Brüder kamen mit schwersten Verletzungen aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Sie selbst erlebte Krieg und Soldaten als eine ständige Bedrohung von Übergriffen und sexuellen Belästigungen und als lebenslanges Stigma, da sie kurz nach Kriegsende ein uneheliches Kind zur Welt brachte. Dieser Umstand kam in der katholisch-ländlich geprägten Umgebung einer Todsünde gleich. Sie wurde selbst in ihrer Familie als Hexe beschimpft und musste zusammen mit ihrer älteren Schwester und ihrer Mutter für das Überleben der Familie in den Nachkriegsjahren sorgen. Sie war eine unglaublich leidenschaftliche Frau, sehr attraktiv, mit langen roten Haaren und einem unbändigen Lebenswillen.
Meine Vater stammte aus einer angesehenen und wohlhabenden Familie, die in einem kleinen Dorf am Fuße des Schwarzwaldes lebte. Im Alter von fünfzehn Jahren wurde er in den letzten Kriegsmonaten an die Front beordert und kam schwer verwundet, mit wandernden Granatsplittern und chronischen Schmerzen in seinem Körper zurück. Er fasste nie richtig Fuß im Leben, hatte viele Jobs, verehrte und liebte die Frauen, zog oft durch die Gasthäuser und Tanzsäle und starb im Alter von zweiundvierzig Jahren in den Armen meiner Mutter. Ich war damals fünf Jahre alt.
Durch den überraschenden Tod meines Vaters erlitt meine Mutter eine tiefe Depression, von der sie sich nie mehr ganz erholte. Sie arbeitete weiter am Fließband in einer Montagefabrik und die Schichtarbeit teilte nun ihr und mein Leben in „früh“ und „spät“ ein. „Spät“ hieß, wir sahen uns morgens beim Frühstück und dann den ganzen Tag nicht mehr. „Früh“ bedeutete, wir sahen uns am Nachmittag, wenn meine Mutter erschöpft und entnervt von der Akkordarbeit nach Hause kam und dann den Abend gemeinsam hatten.
Nachdem plötzlichen Tod meines Vaters, veränderte sich mein Leben dramatisch. Jetzt gab es nicht nur die Angst, die mein ständiger Begleiter war, sondern dazu das Alleinsein. Ich hatte Zeit alles zu tun – oder nichts. Zumeist war ich auf der Straße und in den Wäldern unterwegs. Ich rannte, ich musste rennen, ich lebte in einer anderen Welt, die sehr energetisch und für die meisten Menschen in meinem Umfeld fremd oder sogar verrückt war. Es gab keine Begrenzungen, weder was die Erziehung, noch die Imagination betraf. Ich konnte mich mit meiner Vorstellungskraft überallhin halluzinieren und mir alles erdenkliche