»Sie wollen das Probestück mit flüssigem Kohlenwasserstoff behandeln?« fragte Saraku unsicher.
»Das will ich, Saraku. Es ist das nächstliegende Mittel, um den Zusatzstoff aus dem Metall herauszuwaschen.«
Mit methodischer Sorgfalt ging Yatahira daran, eine geringe Menge des Flascheninhaltes in eine gläserne Schale zu gießen und genau abzuwiegen. Bevor Saraku ihn daran hindern konnte, ließ er das kleine, von der größeren Scherbe abgesprengte Stückchen in die Schale fallen.
Unwillig blickte er auf, als Saraku die Schale mit einer Zange faßte und in einen starkwandigen Tiegel aus feuerfester Schamotte stellte.
»Warum tun Sie das?« fragte er.
»Ich halte Ihr Experiment für gefährlich. Das Lösungsmittel könnte den Prozeß in unerwünschter Weise beschleunigen . . .«
Er brach seine Rede jäh ab. An der Stelle, wo eben noch in dem Tiegel die gläserne Schale mit ihrem Inhalt gestanden hatte, brodelte eine feurigflüssige Masse und strahlte nach allen Seiten hin eine von Minute zu Minute unerträglicher werdende Hitze aus. Während Yatahira regungslos, wie versteinert auf den Tiegel starrte, eilte Saraku zu den großen Fenstern des Raumes und riß sie auf, sprang danach zur Schalterwand und ließ den Ventilator an. In kräftigem Schwall trieb das wirbelnde Flügelrad die heiße Luft ins Freie, während kühlere, frischere von außen her in das Laboratorium drang. Eine Linderung wurde merkbar, aber immer noch blieb es mit einigen vierzig bis fünfzig Grad drückend heiß im Raum, denn als ein Ofen von gewaltiger Heizkraft erwies sich der Tiegel mit seinem glühenden Inhalt. Yatahira, der langsam aus seiner Erstarrung erwachte, fühlte den Schweiß aus allen Poren brechen und riß sich Rock und Weste auf. Freute sich einen kurzen Augenblick der Linderung, um dann zu sehen, wie Saraku sich selbst in einen starken Bleischutz hüllte. Er wollte etwas sagen, wollte protestieren, als Saraku auch ihm die Schutzkleidung überwarf. Wie aus weiter Ferne vernahm er dessen Worte.
»Ich habe es befürchtet, Yatahira. Es ist ein Glück, daß Sie nur eine winzige Probe in das Lösungsmittel warfen. Der Atomzerfall geht rapide vor sich. Wir wissen nicht, wie stark die so schnell zerfallende Materie strahlt. Wir müssen uns schützen, wenn wir diese Stunde überleben wollen.«
Es strahlt, es strahlt unfaßbar stark . . . Erst auf die Worte Sarakus hin kam dem anderen der Gedanke. Sorgfältig hüllte er sich in den schweren, bleigefütterten Stoff und barg auch sein Gesicht hinter einer starken Bleiglasmaske. Noch unerträglicher wurde die Wärme dadurch. Am offenen Fenster, wo die Frischluft Kühlung brachte, suchte er Zuflucht, und Saraku folgte ihm dorthin. Unbeweglich und stumm standen sie dort lange Zeit, vor den Augen das Bild des glühenden Tiegels, in den Ohren das Brodeln der glühenden Masse und das tiefe Brummen des Ventilators. Besorgt überflogen ihre Blicke den Raum, ob nicht die strahlende Glut an irgendeiner Stelle das Holzwerk entzünden und Unheil stiften konnte. Sie wußten nicht, wie viele Minuten, wie viele Viertelstunden darüber verstrichen, hörten hin und wieder die Werkuhr eine neue Stunde schlagen, nur von dem Gedanken bewegt, daß jetzt keiner von ihren Kollegen hierherkommen möchte, bis schließlich nach langem Harren und Bangen eine Erleichterung über sie kam. Schwächer wurde die Glut in dem Tiegel, schwächer auch die drückende Hitze in dem Raum. Mattrot glimmte es jetzt noch aus dem Schamotteblock, bis bald auch das letzte Leuchten erlosch und nur noch eine leichte Wärme verriet, daß dort noch immer Energie frei wurde.
Tief aufatmend streifte Yatahira die Gesichtsmaske ab und warf den Bleimantel von den Schultern.
»Ein gefährlicher Stoff«, sagte Saraku mit einem scheuen Seitenblick auf den Tiegel. »Was wollen Sie jetzt tun, Yatahira?«
»Den Rest der Probe nach Nippon schicken, Saraku. Wir haben hier nicht die Ruhe, auch nicht die Zeit, den Stoff zu untersuchen. Doktor Hidetawa in Tokio wird das besser können.« Er ging zu seinem Arbeitstisch und griff nach einem Schreibblock. Hastig jagte die Feder in seiner Hand über das Papier. Zeile für Zeile legte er die Geschichte der mysteriösen Scherbe fest, schrieb nieder, unter welchen Begleitumständen sie in ihre Hände kam und was sie selbst mit einem winzigen Stückchen davon erlebten.
Die Miene Sarakus ließ erkennen, daß er mit dem Vorgehen des anderen nicht ganz einverstanden war. »Ich hoffte, Yatahira«, begann er nach kurzem Überlegen, »daß wir das Stück analysieren und daraus Nutzen für unsere Arbeit ziehen würden.«
Fast schroff unterbrach ihn Yatahira. »Es kommt nicht darauf an, wer den Nutzen zieht; nur darauf, daß es auf die beste Art geschieht, und das wird bei Hidetawa der Fall sein.«
* * *
Am nächsten Morgen nach dem Ausflug zum Memorial Highway war Henry Watson bei seiner Morgentoilette. Er mußte sich sputen, wenn er noch rechtzeitig zu seiner Arbeitsstätte kommen wollte, und merkte im letzten Augenblick, daß er in der Eile beinahe das Wichtigste vergessen hätte. Er ging zu dem Stuhl, über den er am vergangenen Abend seinen Rock gehängt hatte, steckte das Notizbuch mit dem Protokoll über den gestrigen Vorfall zu sich und wollte dann den Metallbrocken aus der Rocktasche herausnehmen.
Als er danach griff, stäubte der feste Wollstoff in der Umgebung der Rocktasche wie mürber Zunder auseinander, und das Zeitungspapier, in das er seinen Fund gestern eingeschlagen hatte, wirbelte in Form einer weißen Staubwolke auf.
Watson versuchte, sich mit Gewalt zu logischem Denken zu zwingen. Eine zerstörende Kraft mußte von diesem geheimnisvollen Metall ausgehen. Mit dem geübten Blick des Physikers erkannte er auch, daß sie nicht nach allen Richtungen hin gleichmäßig wirkte. Nur nach der Außenseite hin waren Anzugstoff und Zeitungspapier zermürbt, während sie nach innen hin keine Spur einer Zerstörung zeigten.
Halb im Unterbewußtsein ging Watson der Gedanke durch den Kopf, daß er gestern viel Glück hatte, als er das Metallstück gerade so und nicht anders herum in seine Tasche steckte. Wer weiß, so wanderten seine Gedanken weiter, was geschehen wäre, wenn diese unheimliche Kraft den langen Tag über nach der anderen Seite hin auf seinen Körper gewirkt hätte . . . Wie durch eine Ideenassoziation . . . fast zwangsläufig kam ihm im gleichen Augenblick auch die Erinnerung an jene Strahlungen, die von Röntgenröhren und radioaktiven Substanzen ausgehen und manchem Forscher Siechtum und vorzeitigen Tod gebracht haben. Diesmal hatte das Unheil nur ein Kleidungsstück betroffen, aber die Art der Zerstörung ließ über die Gefährlichkeit der Kräfte, die hier im Spiele waren, keinen Zweifel zu.
Als Watson mit seinen Überlegungen bis zu diesem Punkt gekommen war, brachte er den Metallbrocken mit großer Vorsicht wieder an seine alte Stelle, faltete den so schwer beschädigten Rock zusammen und schob ihn in seine Aktentasche. Sorgsam trug er die Tasche während des Weges zu dem Carnegie Building der Howard-Universität so, daß die gefährliche Seite des Metallstückes von seinem Körper abgewandt war.
Die letzten Beobachtungen und Überlegungen in seiner Wohnung hatten doch so viel Zeit in Anspruch genommen, daß er verspätet zum Dienst kam. Seine erste Frage im Institut war nach Robert Jones.
»Mr. Jones ist bei Professor O'Neils«, wurde ihm geantwortet.
Ohne sich weiter aufzuhalten, griff Watson wieder nach seiner Aktentasche, ging über den Flur und klopfte an O'Neils' Tür . . .
»Da kommt er ja!« unterbrach Jones sein Gespräch mit Professor O'Neils. »Jetzt werden Sie das Corpus delicti selber sehen, Herr Professor. Pack aus, Henry!«
Watson öffnete die Aktentasche und zog den zusammengewickelten Rock heraus.
»Was bringen Sie da?« fragte O'Neils und zog die Brauen in die Höhe.
»Was ist das, Henry?« fragte auch Jones. »Warum schleppst du den alten Rock mit?«
»Um Ihnen etwas Interessantes zu zeigen, Herr Professor.« Watson breitete das Kleidungsstück auf der Tischplatte