Denn heute Abend werden viele Schiffsangehörige nach Kamatipura,
in das Stadtviertel der Freudenmädchen, hinausfahren, so dass morgen den Fleischträgerinnen weitaus geringere Chancen an Bord sich bieten werden.
– Zuvörderst pflegen sich die Mädchen in der Nähe der Kabinen aufzuhalten, die den Schiffsoffizieren und anderen Besatzungsmitgliedern höheren Grades gehören. Denn die zahlen besser. Nachdem die Mädchen mit oder ohne Erfolg hier gewartet haben, wenden sie sich gegebenenfalls dem Schiffsvorderteil zu, den Räumen der Matrosen, der Heizer, der Küchenbediensteten, der Kellner. Auf dieser Etappe ihres Werbens lassen sie sich wohl noch zu einer Ermäßigung des erwähnten dürftigen Liebeslohnes herbei.
Insonderheit pflegen die Hindu-Mädchen, die nicht als besoldete Trägerinnen des Küchenproviants, sondern lediglich zum Zwecke des Sich-Preisgebens an Bord kommen, den Weg von der Offizierskabine zum Schiffsvorderteil zu vollführen. Die Fleischmädchen seltener oder gar nicht; weil sie weniger vom Stachel der Geldnot gespornt sind.
Ich bemerke das Mädchen, das eine Weile vor meiner Kabinentür gesessen, noch um die Mittagstunde an Bord, in der Nähe der Küche. Jemand vom Küchenpersonal hat dem Mädchen zur Mittagszeit einen Teller mit Speise gereicht, sei's aus uneigennütziger Menschenliebe, sei's aus honorierender Vor- oder Nach-Erkenntlichkeit.
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Vor Jahren, als ich zum ersten Mal nach Bombay kam, betrachtete ich diese Hindu-Mädchen mit minder gleichmütigen Blicken als heute. Aber es ist betrüblich, – oder erfreulich? – dass die exotische Frau, die im Anfang unserer Reisezeit eine beträchtliche Anziehungskraft auf uns ausübt, uns nach und nach weniger anreizend ist, in dem Maße, wie sie den Reiz der Neuheit verliert, wie sie aufhört, dem Orientfahrer etwas Exotisches zu sein. Exotik und Erotik, eine direkte Proportion.
Nicht zu vergessen des Gesetzes, dass gegebenenfalls im Sexualleben die Besitzergreifung einen Wertsturz des in-Besitzgenommenen Gegenstandes herbeiführt. Man hat die andauernde Gelegenheit, jederzeit die exotische Frucht genießen zu können, man hat sie oft genug genossen, daher hat man weniger Sehnsucht nach der exotischen Frucht als vormals. Die Stabilität des Habens, die Zahl des Gehabt-habens steht in umgekehrtem Verhältnis zur Intensität des Begehrens.
Dazu eine Reihe anderer hemmender Umstände: Bin ich's nicht, wird's der Heizer sein; werde ich nicht die braune Maid nehmen, wird sie der Heizer nehmen; einer der Heizer, die dort von der nahen Kesselfeuerstelle zu meiner Kabinentür herüberlugten, neugierig, ob ich das Hindu-Mädchen in die Kabine lassen würde. Ich und der Heizer, Kollegen an der Tafel der Liebe. Man verzichtet auf die Mahlzeit von wegen des unerwünschten Tischgenossen.
Dann Erinnerungen an Passagierinnen der eben beendeten Seefahrt, Erinnerungen und Stimmungen, die mit der Meinung der Hindu-Mädchen, als müssten sechzehn Meerfahrt-Tage eine Zeit entsagungsvoller Askese sein, nicht ganz im Einklang sind.
Überdies wäre es möglich, dass ich nicht mehr vollständig frei bin von der Suggestion des Wortes „Native“ Native – das ist: Der Eingeborene: etwas von der geringschätzigen Klangfarbe, womit der Engländer vom Native, vom Einheimischen, vom Inder spricht, könnte mir im Ohr haften geblieben sein. Semper aliquid haeret (irgendwas klebt immer).
Tatsache ist, dass gar mancher Europäer, der den Orient aufsucht, anfangs die eingeborenen asiatischen Landeskinder mit sehr freundlichen Augen betrachtet, man sieht in den dunkelhäutigen, morgenländisch gekleideten Leuten sympathische Kuriosa und lässt ihnen ein ähnliches Wohlwollen zuteilwerden, wie man's in den Ausstellungsgärten europäischer Hauptstädte einem Somali-Dorf widmet, einer Aschanti-Truppe und allem, was man für kindlich und naiv hält. Die Kinder der fernen, fernen Fremde bringen die romantische Saite in uns zum Klingen und die zum Mitschwingen rasch bereite Saite sympathisierender Wohlgeneigtheit.
Wenn dann der Europäer im Orient heimischer wird, schleicht sich in diese freundliche Zuneigung nach und nach eine Abkühlung ein, es entwickeln sich im europäischen Gemüt Gefühle, die sich mehr oder minder der nicht gar liebreichen Stimmung nähern, womit der Herr von Indien, der Engländer, das Wort „Native“ ausspricht.
Wer die Schuld trägt? Vermutlich beide Teile; sowohl der Europäer wie der Eingeborene. Die Situation entwickelt sich wohl auf Grund des folgenden Circulus:
– Europäer: Ich bin dir nicht übermäßig zugetan, weil ich weiß, dass du mir nicht allzu hold gesinnt bist.
= Inder: Ich bin dir nicht allzu hold gesinnt, weil ich weiß, dass du mir nicht übermäßig zugetan bist.
Und so weiter im Kreise, mit Steigerung der gegenseitigen Verstimmung.
Die Besatzung unseres Dampfers bedient sich nicht der englischen, sondern der italienischen Umgangssprache, (Triest, der Heimathafen des Dampfers, liegt in einem Gebiet italienischer Verkehrssprache), die „Natives“ werden an Bord unseres Schiffes als „Indiani“ bezeichnet; und unser Herr Küchengehilfe oder Herr Kellner legt in das Wort „Indiani“ eine ungefähr ebenso geringschätzige Tonfarbe, wie irgendein englischer Passagier erster Klasse in sein „Natives“.
So haben denn auch die indischen Mädchen, die im Dienste der Liebe aufs Schiff kommen, ihren Anteil an der spezifischen Geringschätzung, die man den „Indiani“, zumal den Indern der unteren Bevölkerungsschichten, widmet.
Und es ist ein sonderbarer Widerspruch, dass diese Hindu-Mädchen das bisschen Gewogenheit, dessen sie an Bord teilhaftig werden, just einer Eigenschaft verdanken, die in der „Gesellschaft“ unerbittliche Achtung nach sich zieht: ihrem Buhlgewerbe.
Aus der unverfänglichen Eigenschaft „Indiana“ ersteht ihnen Misswertung, aus einem sonst missgeschätzten Metier ernten sie eine Sympathie.
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Bombay, Viktoria-Dock des Hafens, 9¼ abends.
Ich sitze hier mutterseelenallein beim Licht einer Stehlampe im einsamen Speisezimmer auf dem Hinterdeck unseres Dampfers und lasse den stenographierenden Bleistift über die Seiten meines Tagebuches eilen.
Vor einer Viertelstunde wurde an Bord das elektrische Licht außer Tätigkeit gesetzt, Petroleumlampen und Kerzen bemühen sich, Ersatz zu sein. Leider ist mit der Quelle des elektrischen Lichtes auch die Kraftquelle versiegt, welche den Ventilatoren unserer Kabinen Bewegung gibt; die wackeren kleinen Maschinen, die uns mit ihren metallenen Windmühl-Flügeln während des Tages Kühlung zugewirbelt und einigermaßen für den Luftwechsel gesorgt haben, sind jetzt still und regungslos, und mit Unbehagen denke ich an die bevorstehende Nacht, an die kleine schwüle Kabine, die durch die kleine runde Fensteröffnung kein Übermaß an frischer Luft erhält.
– Es wäre keine üble Idee, jetzt abendlicherweile einen Ausflug nach Kamatipura in das Stadtviertel der Freudenmädchen von Bombay zu unternehmen.
Ich will aber die Exkursion doch lieber auf morgen Abend verschieben. Heute, am Ankunftstag, wird wahrscheinlich die Besatzung unseres Dampfers draußen in Kamatipura reichlich vertreten sein und ich habe immer noch die Schwäche, „mich zu genieren“, wenn ich von Bekannten an derlei „verrufenen“ Orten gesehen werde.
Eine Schwäche, ein Zugeständnis an die Beschränkten, so da alles, was mit Hetärentum zusammenhängt, für etwas Beschimpfendes erklären, wenngleich sie selber zu Zeiten insgeheim recht gerne nach „verrufenen“ Orten pilgern.
Immerhin, ich werde erst morgen Abend, wenn der Andrang unserer Schiffsleute schwächer sein wird, mich in die Nativetown, nach Kamatipura, begeben. Und ich hoffe, im Interesse meines „Prestiges“, dass ich morgen weniger der Möglichkeit ausgesetzt bin, von den Matrosen oder sonstigen Mannen unseres Dampfers an so kompromittierenden Örtlichkeiten erblickt zu werden.
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